Die Cybersicherheitslage in Deutschland hat sich in den letzten Jahren zunehmend verschärft, besonders im Gesundheitssektor. Apotheken, die zunehmend auf digitale Lösungen setzen, sind verstärkt ins Visier von Hackern geraten. Die Digitalisierung des Gesundheitssystems, insbesondere durch die Einführung von E-Rezepten, elektronischen Patientenakten und cloudbasierten Systemen, hat die Verwundbarkeit für Cyberangriffe signifikant erhöht. Hacker nutzen diese Entwicklungen, um gezielt Apotheken anzugreifen, die oft nicht über ausreichende IT-Sicherheitsmaßnahmen verfügen. Die finanziellen und operativen Schäden solcher Angriffe sind erheblich, wie die Vorfälle in den vergangenen Monaten gezeigt haben. Besonders gravierend war der Fall von Apothekerin Anne Rhein, die seit Februar vergeblich versucht, eine Erstattung für eine Summe von 15.000 Euro zu erhalten, die durch den Verlust von E-Rezepten entstanden ist. Dieser Fall verdeutlicht die finanziellen Risiken, denen Apotheken durch technische Ausfälle oder Cyberangriffe ausgesetzt sind.
Im Rahmen eines Treffens mit Apothekerinnen und Apothekern in Berlin warnte Gesundheitsminister Karl Lauterbach eindringlich davor, die von ihm vorgeschlagene Reform des Apothekenwesens zu blockieren. Lauterbach stellte klar, dass, sollten die Apotheken den Reformkurs nicht unterstützen, der Versandhandel, insbesondere große Online-Apotheken, die Lücke füllen würden. Seine Aussagen spiegeln den wachsenden Druck wider, der auf den Apotheken lastet, sich in einem zunehmend digitalisierten und wettbewerbsorientierten Umfeld zu behaupten.
Die wirtschaftliche Belastung der Apotheken ist ein weiteres drängendes Thema. Apotheker Andreas Binninger kritisiert, dass der Staat bei der Versorgung mit hochpreisigen Arzneimitteln auf Kosten der Apotheken verdient. Diese fungieren oft nur als Steuereintreiber, während sie selbst mit geringen Margen auskommen müssen. Besonders bei teuren Arzneimitteln, die oft in großen Mengen abgegeben werden müssen, bleibt für die Apotheken wenig übrig, obwohl die Logistik und Abwicklung dieser Arzneimittel erhebliche Ressourcen in Anspruch nehmen.
Zusätzlich zu diesen wirtschaftlichen Herausforderungen sehen sich die Apotheken mit einer neuen Retaxwelle konfrontiert. Nach der Kündigung der Hilfstaxe durch die Krankenkassen hat sich eine Welle von Retaxationen über die Apotheken ergossen, da die Kassen eine andere Auffassung vertreten als der Deutsche Apothekerverband (DAV). Diese Retaxationen betreffen vor allem die Rezeptur und führen dazu, dass Apotheken auf Erstattungen verzichten müssen, was ihre wirtschaftliche Situation weiter verschärft.
Trotz dieser Schwierigkeiten bleibt die Notdienstpauschale weiterhin auf einem hohen Niveau. Im zweiten Quartal des Jahres 2024 erhielten die Apotheken für jeden voll erbrachten Notdienst eine Pauschale von 474,02 Euro. Diese Pauschale soll zumindest die Kosten decken, die während eines Notdienstes entstehen, doch für viele Apotheken stellt der Notdienst weiterhin eine erhebliche Belastung dar, da Personalmangel und steigende Betriebskosten die Wirtschaftlichkeit beeinträchtigen.
Der Fachkräftemangel, der sowohl Arztpraxen als auch Apotheken betrifft, hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch zugespitzt. Auf dem ZI-Kongress zur Versorgungsforschung in Berlin wurde erneut darauf hingewiesen, dass die Gesundheitsversorgung in Deutschland in ernsthafte Gefahr gerät, wenn nicht bald Maßnahmen zur Behebung dieses Mangels ergriffen werden. Sowohl in Arztpraxen als auch in Apotheken fehlen qualifizierte Fachkräfte. Diese Situation wird durch den demografischen Wandel, die Zunahme von Teilzeitarbeit und die unattraktiven Arbeitsbedingungen weiter verschärft. Besonders in ländlichen Gebieten ist die Lage bereits prekär, da es zunehmend schwieriger wird, offene Stellen zu besetzen und die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Apotheken und Arztpraxen müssen zudem mit den steigenden Erwartungen an digitale Kompetenz und Verwaltung kämpfen, was den Druck auf das ohnehin knappe Personal weiter erhöht.
Die Kombination aus wirtschaftlichem Druck, zunehmenden Cyberangriffen und einem immer dramatischeren Fachkräftemangel stellt die Apotheken vor große Herausforderungen, die dringend angegangen werden müssen, um eine stabile und verlässliche Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.
Kommentar:
Die jüngsten Entwicklungen im Apothekensektor offenbaren eine gefährliche Zuspitzung von Herausforderungen, die das gesamte Gesundheitssystem in Deutschland unter Druck setzen. Besonders alarmierend ist die zunehmende Bedrohung durch Cyberangriffe, die Apotheken, ohnehin schon durch den Fachkräftemangel und wirtschaftliche Zwänge belastet, vor zusätzliche existenzielle Risiken stellen. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist zweifellos notwendig, um langfristig effizienter und patientenorientierter zu arbeiten. Doch ohne adäquate Cybersicherheitsmaßnahmen gleicht diese Transformation einem Drahtseilakt. Der Fall der Apothekerin Anne Rhein zeigt eindrücklich, wie anfällig das System derzeit ist. Der Verlust von E-Rezepten und die damit verbundenen finanziellen Schäden machen deutlich, dass viele Apotheken nicht ausreichend gegen solche Risiken geschützt sind.
Karl Lauterbachs Warnung, dass der Versandhandel die Lücke füllen werde, sollten die Apotheken seine Reformpläne nicht unterstützen, verstärkt den Druck zusätzlich. Es ist richtig, dass sich der Apothekensektor den digitalen Veränderungen anpassen muss. Doch die Art und Weise, wie diese Reformen eingeführt und kommuniziert werden, erweckt den Eindruck, dass Apotheken mit dem Rücken zur Wand stehen. Die Apotheken dürfen nicht in die Rolle eines bloßen Abwicklers und Steuereintreibers gedrängt werden, wie es Andreas Binninger treffend formuliert hat. Stattdessen braucht es eine ehrliche und faire Partnerschaft zwischen Apotheken und dem Staat, die nicht nur auf Gewinnmaximierung und Einsparungen zielt, sondern die wertvolle Rolle der Apotheken im Gesundheitswesen anerkennt und unterstützt.
Die Welle der Retaxationen nach der Kündigung der Hilfstaxe setzt ein weiteres Signal der Unsicherheit und zeigt, wie stark die Kassen und die Apotheken in ihrer Auffassung auseinanderliegen. Diese Retaxationen wirken wie ein Nadelstich in ein ohnehin schon fragiles System, das sich zunehmend am Limit bewegt.
Besonders schwer wiegt jedoch der Fachkräftemangel, der sich dramatisch zuspitzt. Ohne ausreichend qualifiziertes Personal werden weder Arztpraxen noch Apotheken in der Lage sein, ihre essenziellen Aufgaben weiterhin in vollem Umfang zu erfüllen. Der demografische Wandel und die sich verändernden Arbeitspräferenzen – insbesondere der Wunsch nach mehr Teilzeitoptionen – haben zwar die Situation verschärft, doch es fehlt nach wie vor an wirksamen politischen und strukturellen Maßnahmen, um diese Probleme zu beheben.
Der Apothekensektor steht somit vor einer Zeitenwende. Es wird entscheidend sein, wie Politik, Krankenkassen und Apotheken in den kommenden Jahren zusammenarbeiten, um diese Herausforderungen anzugehen. Ein Versagen auf politischer Ebene oder ein weiteres Auseinanderdriften der Interessen wird die Versorgungssicherheit gefährden und könnte langfristig zu einem massiven Rückgang der Apothekenlandschaft führen. Angesichts dieser Entwicklungen ist ein Umdenken erforderlich: Die Apotheke muss als unverzichtbarer Bestandteil der Gesundheitsversorgung geschützt und gestärkt werden – durch bessere Absicherung gegen Cyberangriffe, durch faire wirtschaftliche Rahmenbedingungen und durch wirksame Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel. Andernfalls droht ein Verlust, der weit über wirtschaftliche Schäden hinausgeht.
Von Engin Günder, Fachjournalist