Christoph Werner, der Chef des Karlsruher Drogeriekonzerns dm, hat erneut mit scharfen Aussagen zur Apothekenlandschaft in Deutschland für Aufsehen gesorgt. In einem Interview stellte er infrage, ob inhabergeführte Apotheken mit persönlicher Beratung durch approbierte Apotheker in Zeiten des E-Rezepts und der elektronischen Patientenakte (ePA) noch zeitgemäß seien. Seine Kernaussage: Das Apothekensterben mit finanziellen Mitteln aufzuhalten, sei der falsche Ansatz. Werner plädiert stattdessen für eine grundlegende Neustrukturierung der Gesundheitsversorgung, in der Drogerieketten verstärkt Aufgaben übernehmen könnten, die bisher den Apotheken vorbehalten sind.
Laut Werner sei die Digitalisierung der Schlüssel zu einer effizienteren und kostengünstigeren Gesundheitsversorgung. Insbesondere digitale Plattformen und Apps könnten eine Beratung bieten, die personalisiert, aber gleichzeitig skalierbar ist. "Der persönliche Kontakt zu einem Apotheker ist in den meisten Fällen nicht notwendig", argumentierte Werner. Drogeriemärkte könnten durch standardisierte Prozesse und eine breite Produktpalette viele Gesundheitsdienstleistungen übernehmen, während komplexere Fragen durch digitale Lösungen oder Ärzte beantwortet werden könnten.
Diese Aussagen treffen auf heftigen Widerspruch aus der Apothekerschaft. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) reagierte mit deutlicher Kritik und verwies darauf, dass Arzneimittel keine gewöhnlichen Konsumgüter seien. „Die sichere Anwendung von Medikamenten erfordert fundiertes Fachwissen, das nur approbierte Apotheker gewährleisten können“, erklärte ein Sprecher des Verbands. Besondere Risiken lägen bei der Beratung zu Wechselwirkungen und bei der Abgabe von Medikamenten, die spezifische Einnahmehinweise erfordern. Drogeriemärkte könnten diese Verantwortung weder übernehmen noch die regulatorischen Anforderungen erfüllen, die für Apotheken gelten.
Politische Vertreter äußerten sich ebenfalls kritisch zu Werners Vorschlägen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach betonte, dass Apotheken einen unverzichtbaren Bestandteil der Gesundheitsversorgung darstellen. Gleichzeitig forderte er die Branche auf, sich stärker den Herausforderungen der Digitalisierung zu stellen. Es müsse gelingen, digitale Angebote und persönliche Beratung miteinander zu kombinieren, um die Vorteile beider Ansätze zu nutzen.
Die wirtschaftliche Lage vieler Apotheken bleibt indes angespannt. Hohe Betriebskosten, sinkende Margen und die Konkurrenz durch Versandapotheken setzen die Branche zunehmend unter Druck. Während einige Apotheken auf spezialisierte Dienstleistungen und digitale Lösungen setzen, stehen andere vor dem Aus. Für Betreiber stellt sich die Frage, wie sie in einem zunehmend digitalen und wettbewerbsorientierten Markt bestehen können.
Christoph Werners Äußerungen mögen als Provokation gemeint sein, doch sie spiegeln auch reale Herausforderungen wider. Der Wandel im Gesundheitswesen zwingt Apotheken dazu, ihre Rolle neu zu definieren. Die Einführung digitaler Services wie des E-Rezepts ist dabei nur ein Schritt. Entscheidend wird sein, wie Apotheken ihre Alleinstellungsmerkmale – Kompetenz, Sicherheit und die Nähe zum Patienten – in einer digitalisierten Welt bewahren und ausbauen können.
Kommentar:
Christoph Werners Aussagen sind mehr als nur eine kontroverse These – sie sind ein Weckruf für die Apothekenbranche. Während seine Forderung, Apotheken nicht mit finanziellen Mitteln zu retten, provokant klingt, wirft sie eine entscheidende Frage auf: Wie kann eine moderne Gesundheitsversorgung aussehen, die den Herausforderungen der Digitalisierung gerecht wird und gleichzeitig die bewährte Qualität der Apothekenleistungen sichert?
Werners Ansatz, Drogeriemärkte als Alternative zu Apotheken zu positionieren, greift jedoch zu kurz. Arzneimittel sind keine gewöhnlichen Handelsgüter. Ihre sichere Anwendung erfordert weit mehr als algorithmengesteuerte Beratung oder standardisierte Verkaufsgespräche. Wechselwirkungen, individuelle Dosierungsanpassungen und akute Gesundheitsrisiken lassen sich nur durch das fundierte Fachwissen von Apothekern sicher bewältigen. Drogerien mögen kostengünstig und leicht zugänglich sein, doch sie können keine adäquate Lösung für die komplexen Anforderungen der Arzneimittelsicherheit bieten.
Dennoch hat Werner recht, wenn er auf die Notwendigkeit von Innovation hinweist. Die Apothekenbranche steht zweifellos vor einem Paradigmenwechsel. Die Digitalisierung verändert nicht nur die Erwartungen der Patienten, sondern auch die Anforderungen an eine moderne Gesundheitsversorgung. Es liegt an den Apotheken, sich dieser Entwicklung anzupassen und ihre Stärken in einem veränderten Umfeld neu zu positionieren.
Dazu gehört, digitale Angebote wie das E-Rezept oder Telepharmazie nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu begreifen. Gleichzeitig müssen Apotheken ihre Rolle als Vertrauensinstanz stärken. Persönliche Beratung, die Möglichkeit zur direkten Rückfrage und das schnelle Bereitstellen dringend benötigter Medikamente sind unschätzbare Vorteile, die keine App und kein Algorithmus ersetzen kann.
Die Politik darf sich dieser Verantwortung ebenfalls nicht entziehen. Es reicht nicht, die Bedeutung der Apotheken zu betonen, während gleichzeitig die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unverändert bleiben. Honoraranpassungen, Investitionen in digitale Infrastruktur und klare Abgrenzungen zu Drogeriemärkten und Versandapotheken sind notwendig, um den Apotheken die Möglichkeit zu geben, ihre unverzichtbare Rolle auch in Zukunft zu erfüllen.
Christoph Werner hat eine Diskussion angestoßen, die unbequem, aber notwendig ist. Apotheken müssen sich wandeln, doch dieser Wandel darf nicht auf Kosten der Arzneimittelsicherheit oder der individuellen Patientenbetreuung gehen. Die Zukunft der Gesundheitsversorgung liegt in einer intelligenten Kombination aus digitaler Effizienz und persönlicher Kompetenz – eine Herausforderung, der sich Apotheken und Politik gleichermaßen stellen müssen.
Von Engin Günder, Fachjournalist