Stellen Sie sich vor, die Chefs der Krankenkassen beschließen eines Tages, dass ihre Büros – mit ergonomisch geformten Stühlen und klimatisierten Räumen – einfach zu behaglich sind. „Zu Weihnachten wollen wir mal was Neues ausprobieren“, sagen sie und setzen sich das Ziel, den wahren Alltag in einer Apotheke zu erleben. Warum? Um Bodenhaftung zu beweisen und vielleicht auch ein wenig Sympathiepunkte bei der Bevölkerung zu sammeln. Der Auserwählte Tag? Nikolaus, natürlich!
Am Morgen des 6. Dezember tauchen also zehn hochrangige Kassenbosse in einer durchschnittlichen Stadtapotheke auf – unangekündigt, aber dafür in makellosen Anzügen und mit einem Kamerateam im Schlepptau, das jeden ihrer Schritte dokumentiert. „Das wird ein Spaß!“, denkt sich der Kamerateamleiter, während er bereits die viralen Hits auf YouTube zählt.
Die erste Herausforderung stellt sich bereits beim Betreten der Apotheke: Die automatische Tür ist kaputt. Nach einigen vergeblichen Versuchen und hilflosen Blicken muss die Apothekerin eingreifen und die Tür manuell öffnen. „Herzlich willkommen in der Realität“, murmelt sie unter ihrem Atem.
Die Vorstände werden schnell auf verschiedene Stationen verteilt. Einer soll Hustensaft auffüllen, ein anderer das Lager sortieren und ein dritter darf sich am Beratungsschalter versuchen. Der Hustensaft-Boss beginnt enthusiastisch, doch schon bald klebt mehr Sirup auf dem Boden als in den Regalen landet. „Ist das immer so klebrig hier?“, fragt er mit einem Blick, der halb Ekel, halb Bewunderung ausdrückt.
Am Beratungsschalter erklärt der zuständige Vorstand einem Kunden geduldig, dass er ohne Rezept leider keine verschreibungspflichtigen Medikamente herausgeben kann. „Aber in meiner App steht, dass das geht!“, insistiert der Kunde. Der Vorstand, derartige Diskussionen aus seinem Vorstandsbüro nicht gewohnt, blickt hilfesuchend zur Apothekerin, die nur mit den Schultern zuckt: „Willkommen in meinem Alltag.“
Währenddessen versucht der Lagerist unter den Vorständen, eine Bestellung zusammenzustellen, doch das Chaos im System bringt ihn schnell zur Verzweiflung. „Wie kann man nur so leben?“, stöhnt er, während er verzweifelt versucht, zwischen Generika und Markenprodukten zu unterscheiden.
Nach nicht einmal zwei Stunden – die Apotheke gleicht mittlerweile einem Tatort, an dem ein Kampf zwischen Mensch und Medikament stattgefunden hat – beschließt die Apothekerin, dass es genug ist. „Bitte, lassen Sie uns unsere Apotheke zurück“, sagt sie mit einem Lächeln, das mehr einer Kriegserklärung gleicht.
Die Vorstände, erleichtert und etwas demütiger, ziehen sich zurück. Auf dem Weg nach draußen streift einer der Manager seine verschmierte Brille ab und seufzt: „Ich glaube, wir verdoppeln die Weihnachtsboni für das Apothekenpersonal.“
Das Kamerateam, das alles aufgenommen hat, kann sein Glück kaum fassen. „Das wird der Renner im Weihnachtsprogramm“, jubeln sie, während die Vorstände sich fragen, ob sie jemals wieder den Mut aufbringen werden, eine Apotheke zu betreten.
So endet das Experiment, das als Brückenschlag zwischen Management und Basis gedacht war, als lehrreiche Demütigung. Vielleicht bleibt die größte Erkenntnis des Tages: Es gibt Berufe, da hilft all das strategische Know-how der Welt nicht, wenn man nicht bereit ist, sich die Hände schmutzig zu machen – und sei es nur mit Hustensaft.