"Wir wollen die Prozesskette für den Recyclingkreislauf schließen", sagt Bernhard Hartleitner vom Umweltinstitut bifa in Augsburg. Er koordiniert das Leitprojekt MAI Recycling innerhalb des Spitzenclusters. "Es ist schon etwas Besonderes, dass innerhalb des Spitzenclusters das Thema Recycling als eines von drei Leitprojekten so hoch aufgehängt ist", sagt Hartleitner. Das Recycling ist nicht nur politisch und gesellschaftlich gewollt. Es ist auch wirtschaftlich gewünscht. Denn die Carbonfaser gilt mit rund 20 Euro pro Kilogramm als teurer Werkstoff und steht im Wettbewerb mit anderen Leichtbaumaterialien, etwa Aluminium oder hochfesten Stählen.
Ein beeindruckendes Beispiel für einen gelungenen Recyclingkreislauf und seine Herausforderungen gibt die Entwicklung für den Werkstoff Papier. Bei kaum einem anderen Produkt spielt der Kreislaufgedanke eine so große Rolle wie beim Papier. Beim Altpapier konnte eine bewährte Sammellogistik für private Haushalte und Industrieanwender aufgebaut werden. Die Fasern aus dem Papier werden zurückgewonnen und in den Papier-Produktionsprozess zurückgeführt. Die Qualität der Recyclingfaser hängt dabei von ihrer Länge ab, die tendenziell im Recyclingprozess abnimmt, weshalb eine gezielte Lenkung der Stoffströme erforderlich ist. "Genau das ist beim Carbonfaser-Recycling ebenfalls unser Ziel", erklärt Hartleitner. Mit möglichst hohen Qualitäten der recycelten Carbonfaser im Produkt soll primäres Carbon im Produkt ersetzt werden. Und das ist durchaus realistisch.
Frische Ideen, neue Technik
Im Unterschied zu etablierten Materialien wie Papier, Glas oder Metallen stehen die Forscher bei Carbon allerdings erst am Anfang. "Für das neue Materialsystem CFK müssen wir ganz neue Konzepte und Techniken im Recycling erfinden", sagt Hartleitner. Die sechs Industriepartner und zwei Forschungsinstitute im Projekt MAI Recycling müssen daher für alle Schritte im Carbonkreislauf Ansätze ausarbeiten, Konzepte entwickeln und Techniken erforschen. Das fängt bei einer sinnvollen Sammellogistik für industrielle Abfälle an, geht über Zerlegungs- und Trennverfahren bis hin zur Recyclingfaser oder dem Halbzeug, die später in der Produktion wieder Verwendung finden.
Die Partner kommen aus den unterschiedlichsten Disziplinen und Branchen. "Wir haben zunächst etwas Zeit gebraucht, um eine gemeinsame Sprache zu finden", sagt Hartleitner. Doch die gemeinsame Arbeit zeigt Erfolge. Die Projektpartner kommen ins Gespräch und entwickeln ihre Ideen weiter. Mittlerweile wurden verschiedene Prozessketten von der Demontage über die Faserfreilegung bis hin zu Halbzeugen aus Recycling-Carbonfasern konzeptioniert. Die großen Hersteller Audi und BMW entwickeln beispielsweise Technologien zum Demontieren, Sortieren und Zerkleinern von CFK-Materialien.
Wettbewerb der Verfahren
Mitunter stehen die Konzepte auch im Wettbewerb hinsichtlich der späteren Umsetzung. So wird mit vier verschiedenen Verfahren die Freilegung, also das Herauslösen der Carbonfaser aus dem Verbundwerkstoff untersucht und an der großtechnischen Umsetzung gearbeitet. Jedes der Verfahren hat seine spezifischen Stärken, die in einem Gesamtkonzept zur Schließung der Materialkreisläufe zur Anwendung kommen sollen. In Abstimmung mit den Ergebnissen der technischen Entwicklungen werden die Recyclingpfade für die verschiedenen Arten von Abfällen und die andererseits bei der produktseitigen Anwendung erforderlichen Qualitäten für die Recyclingketten aufgestellt. Wie die Verfahren sich positionieren werden, ist noch offen. Dennoch arbeiten die jeweiligen Partner mit viel Engagement daran, mit ihrem Verfahren die beste Carbonqualität zu erzielen.
Das bifa Umweltinstitut in Augsburg und die SGL Group in Meitingen optimieren jeweils ein Verfahren der Pyrolyse, in dem der Verbundwerkstoff unter Luftabschluss auf rund 600 Grad Celsius erhitzt wird. Die Kunststoffmatrix verdampft, die bei diesen Temperaturen noch stabile Carbonfaser bleibt zurück. Das Fraunhofer-Institut in Holzkirchen setzt hingegen auf die sogenannte elektrodynamische Fragmentierung. Dabei trennen Strom-Spannungsstöße, die sich entlang der Phasengrenze von Faser und Matrix ausbreiten, die beiden Komponenten. Und der Projektpartner Siemens in Erlangen hat mit der Methode des hydrothermalen Solvolyse erste Recyclingfasern wieder zu Verbundmaterial verarbeitet. Dieses Verfahren trennt das CFK in einer wässerigen Lösung unter Druck und Temperatur in die Bestandteile auf.
Die Methoden weisen unterschiedliche Entwicklungsstände auf und die bei MAI Carbon entwickelten Verfahren können auch mit den wenig beliebten gemischten Abfallströmen umgehen. Mittels der hydrothermalen Solvolyse ist es möglich, ganze Teile des textilen Halbzeuges aus Carbonfasern zurück zu gewinnen, die so auch wieder in die Produkte zurück sollen. Die elektrodynamische Fragmentierung mit ihren großen Potenzialen steckt noch am Beginn der Entwicklungen mit dem Material CFK. Hier sind die Verwendbarkeit der Fasern und die Eigenschaften der erzeugten Begleitstoffe zu untersuchen.
Aus alt mach neu
Nach der Freilegung muss die Qualität der Fasern bewertet werden, etwa ihre Länge, Festigkeit und Anhaftungen. Ein wichtiges Zwischenziel von MAI Recycling ist, die Recyclingfasern zu einer Produktvorstufe, einem sogenannten Halbzeug, weiter zu verarbeiten. Kurze Fasern mit rund 15 Millimetern Länge will der Nassvlieshersteller Neenah Gessner aus Bruckmühl zu einem Vlies verdichten. Erste Versuche dazu sind bereits gelungen. Aus den längeren Fasern von typischerweise bis zu 60 Millimetern soll ein Recyclinggarn entstehen. Daran arbeitet Voith Composites in Garching. Die Herausforderung: Bevor das Garn gesponnen wird, müssen die freigelegten Carbonfasern ausgerichtet und für den Spinnprozess vorbereitet werden. Die Entwickler müssen gewissermaßen die Herstellung eines Fadens von der Baumwollfaser zum Baumwollgarn für Recycling-Carbonfasern neu erfinden.
Erste Tests zeigen, dass die recycelten Carbonfasern in ihrer mechanischen Qualität, etwa der Festigkeit, einer Neufaser kaum nachstehen. Die Forscher sehen sich daher auf gutem Wege, hochwertiges Recyclingmaterial zu schaffen. Dazu bedarf es allerdings einer intensiven Abstimmung innerhalb des Projekts wie auch zwischen den Projekten des Spitzenclusters. So mussten die Partner innerhalb von MAI Recycling erst einmal die große Vielzahl an Abfallmaterialien kategorisieren und in Sammelklassen einteilen - vom CFK-Bauteil an seinem Lebensende über ausgehärtete Produktionsabfälle bis hin zum CFK-Verschnitt, in dem das Harz noch ungebunden, viskos und klebrig vorliegt. "Für eine Abschätzung der Wirtschaftlichkeit müssen wir genau wissen, wie viel Material in welcher Qualität anfällt", sagt Hartleitner.
Ziel: Recyclingquote von 85 Prozent
"Wir peilen eine Recyclingquote von 85 Prozent bei CFK-Materialien an", sagt Hartleitner, der sich seit über eineinhalb Jahrzehnten am bifa Umweltinstitut mit Recyclingprozessen befasst. Damit stünde Carbon hinsichtlich der Recyclingquote auf ähnlich hohem Niveau wie Glas, Papier oder Fe-Metalle.
Über MAI Carbon:
An der Spitzenclusterinitiative MAI Carbon des Carbon Composites e.V. (CCeV) beteiligen sich Unternehmen, Bildungs- und Forschungseinrichtungen sowie unterstützende Organisationen aus der Region München-Augsburg-Ingolstadt. Gründungspartner von MAI Carbon sind die Unternehmen Audi, BMW, Premium AEROTEC, Eurocopter, Voith und die SGL Group, sowie die IHK Schwaben, der Lehrstuhl für Carbon Composites (LCC) der TU München und der CCeV. Alle beteiligten Partner agieren auf dem Technologiefeld Hochleistungs-Faserverbundwerkstoffe, und hier insbesondere auf dem Gebiet der carbonfaserverstärkten Kunststoffe (CFK). Der Schwerpunkt liegt auf den Anwenderbranchen Automobilbau, Luft- und Raumfahrt sowie dem Maschinen- und Anlagenbau.
Hauptanliegen von MAI Carbon ist es, den Werkstoff Carbon für die Serienreife fit zu machen sowie die Region München-Augsburg-Ingolstadt zu einem europäischen Kompetenzzentrum für CFK-Leichtbau auszubauen, das die gesamte Wertschöpfungskette der CFK-Technologie abdeckt und den vertretenen Partnern in der Schlüsseltechnologie CFK zu einer Weltmarkt-Spitzenposition verhilft. Dadurch können bis zu 5.000 neue Arbeitsplätze in der Region geschaffen werden.