Der Effekt der Pyroelektrizität war bereits in der Antike bekannt, die breite technische Umsetzung erfolgte allerdings erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit der Entwicklung von Infrarot-Sensoren. Die Sensoren nutzen dabei die elektrische Aufladung der Oberflächen pyroelektrischer Materialien bei Wärmeeinwirkung aus. Auf diesem Detektor-Prinzip basiert heute der am häufigsten verwendete Typ von Bewegungsmeldern. Aber auch Geräte zur berührungslosen Temperaturmessung, so genannte Strahlungsthermometer oder Pyrometer, benutzen kleine, pyroelektrische Kristalle. Strahlungsthermometer lassen sich z.B. bei der Bauthermografie zum Aufspüren von Wärmebrücken einsetzen.
Die Arbeiten am Fraunhofer THM verfolgen den Ansatz, pyroelektrische Kristalle im direkten Kontakt mit Wasser einem Temperaturwechsel auszusetzen. Die damit einhergehende Änderung der Oberflächenpotentiale von, z.B., Bariumtitanatkristallen (BaTiO3) ermöglicht eine Reaktion der adsorbierten Wasserstoff- und Sauerstoff-Ionen oder –Moleküle zur Bildung von gasförmigem Wasserstoff und Sauerstoff. Eine vorab durchgeführte theoretische Studie zu diesem Prozess zeigte, dass dafür eine sehr große wirksame Oberfläche der pyroelektrischen Kristalle nötig ist und die Temperaturwechsel mit hoher Frequenz erfolgen müssen, um in den Bereich messbarer Wasserstoffkonzentrationen zu gelangen. Für eine relevante Produktionsmenge aus Sicht einer technischen Nutzung, zum Beispiel zur Wandlung von Niedertemperaturabwärme in chemische Energie, wären diese Werte noch weitaus größer. Rico Belitz und seine Kolleginnen und Kollegen vom Fraunhofer THM und vom Kurt-Schwabe-Institut für Mess- und Sensortechnik e.V. in Meinsberg hatten hier vorläufig das Ziel, das Funktionsprinzip mit einem Labordemonstrator nachzuweisen.
„Als pyroelektrisches Material wurde Bariumtitanat (BaTiO3) ausgewählt. In einem Temperaturfenster von 0 bis 120 °C liegt BaTiO3 in der pyroelektrisch wirkenden, tetragonalen Kristallphase vor, was sehr gut zum Temperaturniveau industrieller Abwärme in Rückkühlanlagen oder dem Rücklauf von Heizungssystemen passt“, erläutert Rico Belitz. Für die Versuche wurden zunächst grobe Kristallstücke in Mörsern zu Pulver gemahlen, um die wirksame Oberfläche zu erhöhen, und dann in einen kleinen, quaderförmigen Behälter gefüllt. Nach der Polarisation, also dem Ausrichten der einzelnen elektrischen Dipole in jedem Pulverteilchen in einem elektrischen Feld, wurde der Behälter mit Wasser gefüllt und einer periodischen Temperaturänderung zwischen 40 und 70 °C ausgesetzt. Dies erfolgte in einem von Rico Belitz speziell dafür konzipierten Mini-Teststand. Um eine Beeinträchtigung durch den in der Atmosphäre enthaltenen Wasserstoff sicher auszuschließen, wurde die Apparatur vor Versuchsbeginn mit Stickstoff gespült. Mit Hilfe eines hochempfindlichen Wasserstoff-Gassensors konnte nach einigen Durchläufen schließlich pyroelektrisch erzeugter Wasserstoff nachgewiesen werden, wenn auch in sehr geringen Mengen. „Dieses Ergebnis zeigt die prinzipielle Möglichkeit auf, pyroelektrische Kristalle zur Erzeugung von Wasserstoff einzusetzen. Für eine spätere technische Umsetzung ist jedoch noch weitere intensive Forschungsarbeit, insbesondere auch unter Verwendung alternativer pyroelektrischer Materialien, erforderlich“, stellt Rico Belitz klar.
Auf der E-MRS-Frühjahrstagung (E-MRS: European Materials Research Society) Anfang Mai 2016 in Lille, an der mehr als 2500 Materialwissenschaftler aus der ganzen Welt teilnahmen, präsentierte Rico Belitz seinen Prinzipnachweis der Wasserstofferzeugung durch pyroelektrische Kristalle erstmals der Öffentlichkeit. Der wissenschaftlich-technische Posterbeitrag begeisterte die wissenschaftliche Community so sehr, dass er mit dem „Best Poster Award“ im „Symposium W – Materials and Systems for Microenergy Harvesting and Storage“ ausgezeichnet wurde.
Auch wenn es noch ein langer Weg vom Nachweis der prinzipiellen Machbarkeit bis zur tatsächlichen Anwendung ist, zeigt sich doch das hohe wissenschaftlich-technische Interesse an innovativen Methoden zur Energieumwandlung, die einen Beitrag zur Energiewende leisten können. Die hier prämierte Arbeit hat ihren Ursprung in einer Zusammenarbeit zwischen dem Fraunhofer THM und der Technischen Universität Bergakademie Freiberg im Rahmen der Nachwuchsforschergruppe „PyroConvert“, die aus Mitteln der Europäischen Union und des Freistaates Sachsen gefördert wurde.
Fraunhofer THM
Das Fraunhofer-Technologiezentrum Halbleitermaterialien THM Freiberg betreibt Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Halbleitermaterialien für die Photovoltaik und die Mikroelektronik. Das THM ist eine gemeinsame Einrichtung des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB in Erlangen und des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg. Es besteht eine enge Kooperation mit der Technischen Universität Bergakademie Freiberg auf dem Gebiet der Halbleiterherstellung und –charakterisierung. Ein Hauptziel ist die Unterstützung der regionalen Halbleitermaterialindustrie durch den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die industrielle Verwertung.