Die Geschichte vom Urlauber, der in seinem abgelegenen Hotel in einer Badewanne voll Eis aufwacht und feststellen muss, dass ihm eine Niere fehlt, ist mittlerweile als urbaner Mythos entlarvt. Es gibt keinen Fall, in dem ein solcher Vorgang nachweisbar dokumentiert wurde. Auch an die legendären Krokodile in der Kanalisation glaubt heute kein Mensch mehr. Andere Geschichten finden da schon deutlich mehr Abnehmer, wie beispielsweise vom Bombenleger, der seinen Geldbeutel verliert und den ehrlichen Finder zum Dank für die Rückgabe davor warnt, an einem bestimmten Tag an einen bestimmten Ort zu gehen. Wenn es heißt, das sei dem Cousin der Freundin eines Kollegen passiert, erhält die Geschichte zusätzliche Glaubwürdigkeit.
„Urbane Legenden entstehen da, wo mehr Gefühle im Spiel sind als Informationen“, erklärt Götz Schartner vom Verein Sicherheit im Internet e. V., neben der Stiftung Bildung und Soziales der Sparda-Bank Baden-Württemberg einer der Veranstalter von SpardaSurfSafe. „Oft greifen sie Vorurteile und Gerüchte auf und spielen mit der Angst vor dem Unbekannten. Eine ganze Geschichte wird zusammengesponnen, die einem entfernten Verwandten oder dem Freund eines Freundes eines Bekannten passiert sein soll. Hinzu kommt, dass diese Storys nicht so realitätsfern sind, dass sie nicht tatsächlich hätten passieren können, auch wenn es unwahrscheinlich ist. Dadurch erreicht man eine gewisse Glaubwürdigkeit und genau das führte in den letzten Jahren dazu, dass das Phänomen sich von unterhaltsamen und schaurigen Geschichten über mutierte Riesenfische zu mitunter gefährlichen Gerüchten verändert hat.“
Damit meint der Experte insbesondere urbane Mythen wie die des bereits erwähnten Bombenlegers. „Seit dem 11. September 2001 tauchen derartige Geschichten vermehrt auf, bevorzugt mit einem orientalischen Hauptdarsteller“, erklärt Schartner. Zwischendurch werden die Geschichten wieder weniger, flammen jedoch immer wieder auf, wenn es irgendwo einen Anschlag oder Vorfall gab. Bestimmte Gruppen verbreiten solche urbanen Legenden auch ganz gezielt für ihre Zwecke. „Ähnliches können wir auch seit Beginn der Flüchtlingskrise in Deutschland beobachten. So werden mit diffusen Ängsten Vorurteile geschürt. Und das ist nicht nur fahrlässig, sondern hochgradig gefährlich.“
Eine wichtige Rolle spielen dabei die sozialen Medien. Hier lassen sich die Geschichten hervorragend streuen und verbreiten. „Vor zwei Jahren ergab eine Studie der Columbia Universität, dass fast 60 Prozent der Nutzer Artikel teilen, obwohl sie lediglich die Überschrift gelesen haben. So haben Fakten, Glaubwürdigkeit der Quelle und Nachvollziehbarkeit natürlich kaum noch Bedeutung. Das spielt der Verbreitung von urbanen Legenden natürlich in die Finger“, sagt Schartner.
Umso wichtiger findet er, dass man auch mit urbanen Mythen und Geschichten verantwortungsvoll umgeht und nicht einfach den „Teilen“- oder „Retweet“-Button drückt. Man müsse sich mit den Inhalten auseinandersetzen. So könne man echte urbane Legenden im eigentlichen Sinne auch als das genießen, was sie sind: spannende, lustige oder gruselige Geschichten, die vielleicht ein Körnchen Wahrheit enthalten, aber doch eigentlich nur der Unterhaltung dienen.