Der von der Landesregierung initiierte Energiegipfel hatte 2011 festgelegt, dass die Windkraft langfristig drei Viertel des hessischen Strombedarfs decken soll (aktuell sind es rund fünf Prozent). Der dafür notwendige Ausbau der Windkraft ist nach Ansicht Pilarsky-Groschs und Ahns insbesondere aufgrund fehlender Konsequenz im politischen und administrativen Handeln ins Stocken geraten. ABO Wind-Vorstand Jochen Ahn kritisiert etwa die Dominanz und teilweise restriktive Handhabung des Natur- und Artenschutzes im Genehmigungsverfahren. "Mit einem auf die örtlichen Begebenheiten begrenzten Blick verhindern die Genehmigungsbehörden insbesondere in Nordhessen ein Windkraftprojekt nach dem anderen - auch auf Flächen, die gemäß Regionalplanung vorrangig für Windkraft genutzt werden sollen." Der restriktive Umgang mit den Anliegen des Naturschutzes wird durch einen Leitfaden befördert, den das Hessische Umweltministerium im Vorjahr beschlossen hatte. Unter der Überschrift "FAQ" (englische Abkürzung für "häufig gestellte Fragen") ergänzen die Naturschutzbehörden kontinuierlich die Anforderungen an Untersuchungsaufwand sowie Ausgleichsmaßnahmen und verschärfen die Kriterien, mit denen Antragsteller häufig in den Genehmigungsverfahren konfrontiert sind. Positiv hob Ahn hervor, dass das Regierungspräsidium Mittelhessen in Gießen im Abwägungsprozess weiterhin auch die Belange der Windkraft berücksichtige. Insgesamt aber führe der Leitfaden zu einer Ausweitung der Restriktionen und torpediere damit die energiepolitischen Ziele der Landesregierung.
Verheerend wirkt sich in Hessen die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Deutschen Flugsicherung aus. Während eine europäische Richtlinie bei Bauvorhaben im Umkreis von 15 Kilometern um Drehfunkfeuer Anlass zur Prüfung sieht, lehnt die Deutsche Flugsicherung grundsätzlich alle Windkraftplanungen innerhalb dieses Radius ab. "Dafür gibt es in vielen Fällen keine sachliche Grundlage", betont BWE-Präsidentin Sylvia Pilarsky-Grosch. Während es in Gesprächen mit Bundeswehr und Verteidigungsministerium gelungen sei, Verfahren zu entwickeln, um Einzelfälle konstruktiv auf tatsächliche Konflikte zu überprüfen und so die Restriktionen für die Windkraft auf das notwendige Maß zu reduzieren, zeigten Bundesverkehrsministerium und Deutsche Flugsicherung keine Gesprächsbereitschaft. Dieses bundesweite Problem wirkt sich in Südhessen besonders gravierend aus, wo wegen des Frankfurter Flughafens auf engem Raum acht solcher Drehfunkfeuer stehen. "Damit würde die Deutsche Flugsicherung in dieser Region die Energiewende beenden, bevor sie richtig angefangen hat", konstatiert Pilarsky-Grosch.
Nicht zuletzt aufgrund der genannten Probleme des Artenschutzes und der Flugsicherung verläuft aus Sicht der Branche aktuell auch die Ausweisung von Windkraft-Vorrangflächen in den Regionalplänen unzureichend. Um das Ziel einer Ausweisung von zwei Prozent der Landesfläche formal zu erreichen, würden auch solche Areale zu Windkraft-Vorranggebieten erklärt, bei denen wegen Konflikten mit dem Naturschutz oder der Deutschen Flugsicherung bereits absehbar sei, dass die Genehmigungsbehörden einen Windpark dort ablehnen werden. "Die Landesplanung simuliert die Umsetzung der Energiewende bloß, tatsächlich aber blockiert sie diese", stellt Pilarsky-Grosch fest. Hessen hinkt beim Ausbau der Windenergie hinter vielen anderen Bundesländern hinterher, es müsste sich z.B. Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen zum Vorbild nehmen.
Die Wahlkampfrhetorik der FDP, des kleineren Partners innerhalb der Landesregierung, komplettiert die insgesamt problematische Situation in Hessen: Obwohl sich auch die FDP im Jahr 2011 zu den Ergebnissen des Energiegipfels bekannt hat, praktiziert sie im Wahlkampf den Schulterschluss mit den Bürgerinitiativen, die sich mancherorts gegen Windkraftprojekte gebildet haben. "Die große Mehrheit der Hessen befürwortet einen Ausbau der Windkraft", berichtet Ahn aus Umfragen sowie seiner täglichen Erfahrung. Das Kalkül der FDP aber ist offenbar, sich zum Fürsprecher einer kleinen Minderheit zu machen, um die Chance auf Überwindung der Fünf-Prozent-Hürde zu steigern. Statt wie beim Energiegipfel beschlossen, an der Akzeptanz der Energiewende zu arbeiten, lesen sich Teile des Wahlprogramms der hessischen FDP, als seien sie von Windkraftgegnern geschrieben. FDP-Wirtschaftsminister Florian Rentsch fordert sogar einen vorübergehenden "Ausbaustopp der erneuerbaren Energien" und redet einer Erhöhung des Mindestabstands von 1.000 Metern zwischen Siedlungen und Windparks das Wort. Damit konterkariert der Minister den Landesentwicklungsplan, den er selbst gerade durchs Parlament gebracht hat, und ordnet eine sachorientierte Energiepolitik wahltaktischen Erwägungen unter.