Architekten verwenden gerne hochreflektives Glas, weil es besonders energieeffizient ist: ein Großteil der Sonnenstrahlen kann somit nicht ins Gebäude eindringen, was die Wärmebildung im Gebäude reduziert. In den Glasfassaden spiegelt sich die natürliche Umgebung; sie werden von Vögeln nicht als Hindernis wahrgenommen. In Nordamerika sterben jährlich ca. eine Milliarde Vögel aufgrund von Kollisionen mit Glasscheiben. Das American Bird Conservancy hat gemeinsam mit dem Green Building Council ein Programm entwickelt, das Architekten motivieren soll, weniger Glas zu verwenden bzw. Fassaden mit Schutz gegen Vogelkollisionen auszustatten (LEED Pilot Credit 55).
Aber auch Menschen und Gebäude können „Opfer“ von Blendwirkung sein, die von Glasfassaden oder Photovoltaikmodulen ausgeht. Insbesondere in Städten, die auf Breitengerade von Seattle oder London liegen und im Sommer einen Sonnenstand von 20° oder niedriger haben, ist die Reflexion, die von Glasfassaden kommt, für Autofahrer störend, erklärt Vicente Montes-Amoros vom amerikanischen Ingenieursbüro Curtain Wall Design & Consulting.
Las Vegas und London: Angriff aus Autos und Hotelgäste
In den vergangenen Jahren haben insbesondere konkav gekrümmte Fassaden viel Kritik hervorgerufen, da deren Glas, Metall oder Stahl das Sonnenlicht wie eine Lupe konzentriert auf einen Punkt reflektieren. So können Extremtemperaturen von über 100°C entstehen. Konkave Fassaden entstehen, wenn Immobilienfirmen die Fläche der teureren oberen Etagen vergrößern, um höhere Mieteinnahmen zu erzielen. Die oberen Etagen ragen dann weit über den Grundriss des Gebäudes hinaus. Die gekrümmte Fassade des Vdara Hotels in Las Vegas versenkte im Pool-Bereich die Haare von Hotelgästen und ließ Plastikstühle schmelzen. Das Hotel wurde vom Architekten Rafael Viñoly entworfen.
Auch für ein Gebäude in der Fenchurch Street in London ist Viñoly verantwortlich, das ebenfalls über eine gekrümmte Fassade verfügt. Die von der Fassade gebündelt reflektierten Sonnenstrahlen verformten in einer Nachbarstraße Autos und ließen Plastik schmelzen. Zur Veranschaulichung haben Journalisten die konzentrierte Wärme genutzt, um Spiegeleier zu braten. In der Straße mussten mehrere Parkplätze gesperrt werden.
Inzwischen wurden auf der Südseite der Fassade an über dreißig Stockwerken Lamellen aus Aluminium angebracht, die die Sonnenlichtreflexionen stoppen. Die Nachrüstung kostete ca. 10 Million britische Pfund. Trotz der massiven Blendwirkung hatte das Gebäude in der Fenchurch Street eine exzellente Beurteilung durch das britische BREEAM erhalten. Nachhaltigkeitszertifikate werden aufgrund der Energieeffizienz eines Gebäudes vergeben, „ohne Rücksichtnahme auf das angrenzende Mikroklima“, kritisieren Architektin Julie Futcher und Stadtplaner Gerard Mills vom University College Dublin. Aufgrund der steigenden Anzahl von Hochhäusern mit reflektierenden Glasfassaden sollten bei der Nachhaltigkeitsbeurteilung auch diejenigen Eigenschaften eines Gebäudes eine Rolle spielen, die das Mikroklima ihrer Umgebung beeinflussen. Glasfassaden, dunkle Gebäude und Asphalt erhöhen die Lufttemperaturen in ihrer unmittelbaren Umgebung und verstärken den sogenannten „Heat-island“-Effekt in Städten.
Los Angeles und Dallas: Angriff auf benachbarte Gebäude
Welche Auswirkungen Gebäude auf das Mikroklima haben können, hat die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles gezeigt. Das von Frank Gehry entworfene Gebäude hat eine Fassade mit konkav verformten Oberflächen aus poliertem Edelstahl. Die Fassade erhöhte die Bodentemperaturen auf dem Gehweg derartig, dass Plastik zu schmelzen begann. Die Temperatur in den Nachbarhäusern stieg um über 9°C, so dass die Nachbarn ihre Klimaanlagen aufrüsten mussten. Die energetische Bilanz der Nachbarbauten verschlechterte sich deutlich. In ähnlicher Weise war das 42-geschossige Nasher Sculpture Museum in Dallas, Texas, betroffen. Die Fassade eines Nachbargebäudes war mit Photovoltaikmodulen bestückt, die Sonnenstrahlen direkt ins Museum leiteten und Skulpturen beschädigten.
Leeds: Angriff auf Passanten
Fassaden können nicht nur Licht konzentriert nach unten reflektieren, sie können auch Wind gebündelt nach unten leiten, was zum sogenannten Fallstromeffekt führt. Der Wind trifft auf die Fassade und „wird direkt nach unten zum Boden gelenkt, weil er nicht um das Gebäude herumkommt,“ erklärt Lindsay Smales von der Leeds Beckett University. In Leeds hat das 32 Stockwerke hohe Bridgewater Place zu starken Windböen geführt, die mit Windgeschwindigkeiten von 130 km/h nicht nur Passanten zu Boden warfen. Im März 2011 wurde ein LKW durch die Luft gewirbelt als er aus dem Windschatten des Bridgewater Place fuhr. Ein Passant kam dabei ums Leben.
Welche Möglichkeiten gibt es, diese Auswirkungen einzudämmen? „Wenn das Hochhaus erst mal gebaut ist, kann man wenig tun, um die Probleme mit dem Mikroklima und die Wirkung des Windes zu mildern“, erläutert Lindsay Smales. „Idealerweise sollte bereits während der Gebäudeplanung mit Hilfe von Strömungsmechanik (Computational Fluid Dynamics, CFD) die Blendwirkung einer Fassade ermittelt werden“, erklärt Vicente Montes-Amoros vom amerikanischen Ingenieursbüro Curtain Wall Design & Consulting. Gebäudeformen und Gebäudeausrichtung, Straßenverhältnisse und Material müssen in die Analyse einbezogen werden, um ein allumfassendes Bild zu erhalten. In Sydney, Australien, muss vor Baubeginn eine derartige Analyse der Blendwirkung durchgeführt werden. Die Reflektion von Baumaterialien ist in Sydney und in Singapur auf 20% begrenzt.
Wie CFD-Tools und 3D-Modelle die Solarreflektionen anhand der Sonnenbewegung ermitteln, zeigen Vicente Montes-Amoros und andere Referenten aus den USA, England und der Schweiz auf der Konferenz “Gebäudehülle der Zukunft“ (Advanced Building Skins), die vom 10.-11. Oktober in Bern stattfindet. In der Session “Auswirkung von Blendlicht von Gebäudefassaden mit Glas und Photovoltaik“ erörtern die Referenten Methoden zur Messung und zur Vorhersage von Blendlicht.
Im Rahmen der internationalen „Conference on Advanced Building Skins“ präsentieren über 220 Referenten aus 45 Nationen neueste Entwicklungen im Design von Gebäudehüllen sowie neue Produkte zur Steigerung der Energieeffizienz von Dach und Fassade. Weitere Informationen unter http://abs.green.