Haderlein fasst in seinem aktuellen Buch „Local Commerce“ alles zusammen, was es über Sinn und Zweck von lokalen Online-Marktplätzen und digitalen City-Initiativen zu wissen gilt. Deutschland, oft ja als Digitalisierungsnachzügler gescholten, darf sich ausgerechnet bei der Digitalisierung des Innenstadthandels als Vorreiter sehen. Zahlreiche Projekte – seien es Online-Lösungen von Startups, Förderinitiativen, verlagsgetriebene Modelle oder Studien von Kommunalberatungsunternehmen – loten gerade die Möglichkeiten aus, lokale Geschäfte im Sinne des „digitalen Dachmarketings“ zu bewerben und lokale Kaufkraft online zu binden. Ihr gemeinsames Ziel: Lebenswerte Städte mit einem intakten Einzelhandel nicht trotz, sondern gerade wegen des Internets.
E-Commerce verändert unsere Städte
Der Online-Handel bestimmt die Lebens- und Aufenthaltsqualität in unseren Städten schon heute. Deren Zentren und Stadtteile stehen angesichts der Dynamik der Digitalisierung vor den bislang größten Herausforderungen seit Erfindung des Einkaufszentrums und dem Siegeszug der Grünen Wiese. Der boomende Online-Handel ist zugleich Brandbeschleuniger und Notnagel dieses Strukturwandels. Aus vielen Dörfern sind Läden oder Bankfilialen ohnehin schon seit Jahren verschwunden. Für manche Bevölkerungsgruppen, insbesondere Ältere, steht die Nahversorgung auf dem Spiel. Wieder andere könnten ohne Paketlieferdienste und Online-Handel wohl kaum noch ihren Alltag organisieren.
Politiker, Verbände, Gewerbetreibende, Stadtmarketing- und Citymanagement-Organisationen sowie Wirtschaftsförderungsgesellschaften suchen deshalb händeringend nach Lösungen, um dem schleichenden Bedeutungsverlust der Innenstadt durch Frequenzverluste und Kaufkraftabfluss in den reinen Online-Handel etwas entgegen zu halten. Eine beliebte Strategie dabei ist es, das Internet mit den eigenen Waffen zu schlagen und mit Online-Sichtbarkeitsmodellen wie lokalen Online-Marktplätzen ins Rennen um Kaufkraft und Aufmerksamkeit zu gehen. Kann das angesichts der Dominanz von Amazon überhaupt noch gelingen? Andreas Haderlein, der als Impuls- und Schulungsgeber sowie Co-Projektmanager die dreijährige Pilotphase der sog. „Online City Wuppertal“ von 2013 bis 2016 begleitete, findet darauf Antworten in einem äußerst aufschlussreichen Ratgeber zu Chancen und Herausforderungen des lokalen Online-Kaufs.
Das im Selfpublishing und sponsorenfrei erschienene Fachbuch nimmt den Markt der lokalen Online-Marktplätze genauso detailreich in den Blick wie die Strukturen dahinter:
- Welche Rolle etwa spielen die Internetgiganten Amazon, Google oder eBay in Sachen Online-Sichtbarkeit lokaler Unternehmen?
- Warum tun sich Industrie- und Handelskammern und Handelsverbände schwer, kooperative Online-Projekte inhabergeführter Geschäfte voranzutreiben?
- Wie steht es um den Wissenstransfer und welche Forschungseinrichtungen, Universitäten und Hochschulen beschäftigen sich mit dem Thema?
- Was bedeutet der steigende Online-Umsatz im Handel für künftige stationäre Flächenkonzepte und die City-Logistik?
Neben übersichtlich gegliederten Insider-Informationen ist der 300 Seiten starke Ratgeber auch ein Plädoyer für die identitätsstiftende Funktion der Europäischen Stadt im digitalen Zeitalter. Und er ist eine eindringliche Mahnung, dass regionale Wertschöpfung künftig stärker auf digitalem Fundament ruhen sollte – ohne sich auf Gedeih und Verderb global agierenden Konzernen auszuliefern. Für Städte und Regionen bedeutet dies in erster Linie, sich nicht die Hoheit über digitale Infrastrukturen wie öffentliches WLAN, LoRaWAN-Netzwerke oder vertriebsorientierte lokale Online-Marktplätze nehmen zu lassen.
Die Steigerung der „digitalen Aufenthaltsqualität“ in unseren Städten und Regionen, so lässt sich Haderleins Ansatz zusammenfassen, fängt bei der Optimierung der Online-Sichtbarkeit von verfügbaren Waren im lokalen Handel an. Mit der derzeitigen Trendvokabel Smart City oder gar Künstlicher Intelligenz hat das freilich alles noch nichts zu tun. „Local-Commerce-Konzepte“, so Haderlein, „sind eine infrastrukturelle Grundleistung für Gewerbestandorte – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Hierzu braucht es mutige Entscheider im Rathaus, einen veränderungsbereiten Handel sowie entsprechende Digital- und Moderationskompetenzen aufseiten der ‚Kümmerer' in Stadtmarketing-Organisationen, Citymanagement, Gewerbevereinen oder Wirtschaftsförderungen.“
Was jedoch einfach klingt, ist in der Praxis ein hartes Ringen um Fördergelder, Kundenakzeptanz, technische Schnittstellen in Warenwirtschaftssystemen, politische Meinungshoheit, konzeptionelle Schlüssigkeit und – nicht zuletzt – um Kooperationsfähigkeit von städtischen Akteuren. „Ich bin immer wieder erstaunt“, sagt der 45-jährige Autor, „wie sehr die rein technische Seite in digitalen City-Initiativen überschätzt, das nötige Veränderungsmanagement der städtischen Akteure aber unterschätzt wird.“ Kommunen und Städte tun sich nämlich trotz großen Leidensdrucks nach wie vor schwer bei der Umsetzung lokaler Online-Marktplätze, wenn sie zu wenig Augenmerk auf die Anschub- und Sensibilisierungsphase legen.
Buchbegleitende Wissensdatenbank
Der studierte Kultur- und Medienanthropologe Haderlein, der sich seit nunmehr über fünf Jahren intensiv mit digitalen City-Initiativen beschäftigt, kennt auch die Kritik an lokalen Online-Marktplätzen. „Die naive Vorstellung, ein lokaler Online-Marktplatz könne Innenstädte ‚retten' oder gar eine Antwort auf Amazons hegemonialen Anspruch als Schalthebel des Konsums sein, ist genauso wenig zielführend wie die unterschiedlichen und vergleichbar jungen Digitalisierungsansätze in Städten über einen Kamm zu scheren und ihnen jedwede Relevanz für die Zukunft abzusprechen.“ Der Autor betreibt die buchbegleitende Website LocalCommerce.info, deren Herz eine ständig aktualisierte Wissensdatenbank ist, in der über 100 digitale City-Initiativen im gesamten D-A-CH-Raum porträtiert werden.
„Kümmern 2.0“ – digitale City-Initiativen managen und moderieren
Gerade um Fehler im Projektmanagement digitaler City-Initiativen zu vermeiden, ist die Lektüre des Fachbuchs ein wirklicher Gewinn. Haderlein schildert sehr praxisnah die Vorgehensweise in Wuppertal und kehrt dabei auch die Stolperfallen und eigenen Fehleinschätzungen nicht unter den Tisch. Einzelne Projektbausteine werden herausgegriffen, um das Aufgabenfeld des „Kümmerers 2.0“, den der Digitalexperte vor allem im Citymanagement oder Stadtmarketing verankert sieht, minutiös zu beschreiben. Zahlreiche Statistiken, Schaubilder und Organigramme dienen als Vorlage für den Leser, den Erfolg einer digitalen City-Initiative entlang von Kennzahlen wie etwa dem „Nutzen-Aufwand-Index“ zu bewerten.
Der Autor nennt die Dinge beim Namen und versteht es, den Finger in die Wunden überforderter Bürgermeisterstuben und lähmender institutioneller Strukturen zu legen. „Wo sind sie“, fragt er im einleitenden Kapitel provokant, „die selbstbewussten Werbe- und Interessengemeinschaften, die Kümmerer, die sich nicht vor Herausforderungen verkriechen, die Wirtschaftsförderer und Stadtmarketing-Verantwortlichen, die ohne Rückwärtsgewandtheit die Chancen des Wandels sehen, die nicht immer nur auf knappe Kassen verweisen, sondern die langfristige Perspektiven einnehmen und Zukunft gestalten wollen, statt sie über sich ergehen zu lassen? Wo sind sie, die laut rufen: Nein, nicht der Onlinehandel verändert unsere Städte, sondern die Städte verändern den Onlinehandel!“
Was auf höchster politischer Ebene wie der „Dialogplattform Einzelhandel“ und auf nahezu allen Fachkongressen für den digital unterentwickelten Standort Deutschland allenthalben gefordert wird, nämlich Projekte umzusetzen, um aus und mit ihnen zu lernen, das wurde im nationalen Pilotprojekt der Schwebebahnstadt zum Credo gemacht. Hilfe zur Selbsthilfe und Learning-by-Doing lautete das Rezept.
Haderlein eckt mit seinen Ausführungen an, weil er anders als Politiker und Funktionäre für eine Sache eintreten kann, von der er überzeugt ist und das nötige Erfahrungswissen als Projektmanager mitbringt: „Digitales Dachmarketing für Gewerbestandorte zu etablieren, wird künftig genauso wichtig sein, wie einen verkaufsoffenen Sonntag oder Weihnachtsmärkte zu organisieren. Nur haben wir noch nicht den Umgang mit den entsprechenden Werkzeugen gelernt. Städte müssen begreifen, dass die digitale Stadt vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Leitthemas Smart City insbesondere auf der organisatorischen Turnübung von Online-Sichtbarkeitsmodellen für das lokale Gewerbe an Konturen gewinnt.“
Über den Autor:
Andreas Haderlein, Jg. 1973, ist Wirtschaftspublizist, Buchautor und selbstständiger Innovationsberater. Von 2002 bis 2011 arbeitete er als Trend- und Zukunftsforscher für die Zukunftsinstitut GmbH, wo er neben seiner Referententätigkeit die Weiterbildungseinrichtung „Zukunftsakademie“ leitete. Aktuell beschäftigt sich der studierte Kultur- und Medienanthropologe intensiv mit der digitalen Transformation in Stadt, Region und Handel. Er ist Gründer der „Local Commerce Alliance“.
Angaben zum Buch:
Titel: Local Commerce – Wie Städte und Innenstadthandel die digitale Transformation meistern
Autor: Andreas Haderlein
Veröffentlichung: Local Commerce Alliance, 2018
301 Seiten • 30 Abbildungen in schwarz-weiß (Fotos, Schaubilder, Tabellen und Diagramme)
Hardcover
Gebundener Ladenpreis (brutto): € (D) 49,90
ISBN: 978-3-00-058854-9
Der Autor steht für Interviews zur Verfügung. Rezensionsexemplare des Buches können angefordert werden.
Zum Download stehen:
- Buchcover
- Autorenporträt
- Inhaltsverzeichnis und Vorwort
- Schaubild