Die politische Krise in Deutschland hat das Gesundheitssystem in eine Phase der Unsicherheit gestürzt, die möglicherweise weitreichende Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit im gesamten Land haben könnte. Die geplanten Reformen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die eine Modernisierung und Stabilisierung des Gesundheitswesens anstrebten, sind durch den Zerfall der Ampel-Koalition abrupt gestoppt worden. Besonders betroffen sind dabei die Apotheken und Notfallversorgung, deren Verbesserung durch die Reformen eigentlich gewährleistet werden sollte. Diese Reformen sollten nicht nur die Versorgungssicherheit in städtischen, sondern vor allem auch in strukturschwachen und ländlichen Regionen verbessern, in denen Apotheken oftmals die einzigen medizinischen Anlaufstellen darstellen. Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage vieler Apotheken ist jedoch gravierend, da steigende Betriebskosten und zunehmende regulatorische Hürden eine Bedrohung für die flächendeckende Versorgung darstellen.
Viele Apotheken kämpfen mittlerweile um ihre wirtschaftliche Existenz, was nicht nur den Service, sondern auch die Verfügbarkeit von Medikamenten und Impfungen gefährden könnte. Neben steigenden Betriebskosten setzt der Druck durch den expandierenden Onlinehandel die Apotheken zusätzlich unter Druck. Besonders betroffen sind kleine, familiengeführte Apotheken, die oft als einzige Anlaufstellen in ländlichen Regionen fungieren. In einer aktuellen Umfrage des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) gaben rund 30 Prozent der Apotheker an, dass sie eine Schließung oder Umstrukturierung ihrer Betriebe in Erwägung ziehen, was in vielen Regionen die Gefahr einer medizinischen Unterversorgung verstärkt.
Parallel dazu wird die Rolle der Apotheken als Impfstätten diskutiert. Während Apotheken inzwischen gegen COVID-19 und Grippe impfen dürfen, steht eine geplante Gesetzesänderung im Raum, die ihnen das Impfen mit allen Totimpfstoffen ermöglichen soll. Damit würde sich das Spektrum der in Apotheken verfügbaren Gesundheitsleistungen erweitern, jedoch ergeben sich auch wirtschaftliche Fragen. Die derzeitige Vergütung pro Impfung beträgt inklusive Beratung und Dokumentation etwa 17 Euro, was von vielen Apothekern als nicht auskömmlich bewertet wird. Diese wirtschaftlichen Bedenken verdeutlichen, dass die zusätzlichen Aufgaben für Apotheken im Rahmen der Gesundheitsversorgung nicht ohne angemessene finanzielle Unterstützung tragfähig wären.
Auch auf europäischer Ebene gibt es neue Entwicklungen, die die Pharmabranche betreffen. So hat der Ausschuss für Risikobewertung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) beschlossen, die Warnhinweise für Diclofenac-Gele zu verschärfen. Diclofenac, das besonders für seine Wirksamkeit bei Gelenk- und Muskelschmerzen bekannt ist, gilt nun während der Schwangerschaft als potenziell riskant. Die aktualisierten Beipackzettel werden Schwangere darauf hinweisen, dass die Anwendung von Diclofenac-haltigen topischen Arzneimitteln in den letzten Schwangerschaftswochen vollständig zu vermeiden ist.
Neben diesen Herausforderungen tritt ein weiteres gesundheitspolitisches Thema in den Fokus: Migräne, die vor allem Frauen im gebärfähigen Alter betrifft. Da hormonelle Schwankungen als Hauptauslöser für Migräne gelten, wenden sich viele Frauen an ihre Gynäkologen. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) haben daher eine neue Praxisleitlinie zur Behandlung von Migräne speziell für Frauenärzte entwickelt. Diese Leitlinie umfasst etwa 80 Empfehlungen, die Diagnostik und Therapie für Migränepatientinnen verbessern sollen, und unterstreicht die Bedeutung einer genderspezifischen Gesundheitsversorgung.
Im Zuge dieser Entwicklungen kämpfen Apotheker deutschlandweit um ihre Mitbestimmung und ihre Stimme im gesundheitspolitischen Diskurs. Bei der Delegiertenversammlung der Bayerischen Landesapothekerkammer entbrannte eine intensive Debatte über die Rolle des Deutschen Apothekertages (DAT) innerhalb der ABDA. Der von Apotheker Dr. Matthias Schneider eingebrachte Antrag, der eine Rücknahme der geplanten Satzungsänderung fordert, beleuchtet die Spannungen zwischen den verschiedenen Interessengruppen im Apothekenwesen. Diese Änderung würde die Rolle des Apothekertages als beschlussfassendes Organ der ABDA schwächen und dessen Beschlüsse für die Bundesversammlung unverbindlich machen, was bei vielen Apothekern auf Widerstand stößt.
Die eskalierende Regierungskrise verschärft diese Situation zusätzlich. Die ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening warnt vor den potenziellen Folgen, sollten wichtige gesundheitspolitische Projekte verzögert oder gar aufgegeben werden. Für die ohnehin wirtschaftlich angespannten Apotheken könnte dies eine Verschärfung der Herausforderungen bedeuten, mit denen sie bereits konfrontiert sind. Im Zuge der jüngsten politischen Entwicklungen hat zudem Jörg Kukies, ein enger Vertrauter von Kanzler Olaf Scholz, das Amt des Finanzministers übernommen, was die Dynamik in der Regierungskoalition weiter verändert.
Die CDU/CSU sieht in der Krise der Ampel-Koalition eine Bedrohung für das deutsche Gesundheitssystem und fordert angesichts der instabilen Lage Neuwahlen. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU, Tino Sorge, sieht in der aktuellen Situation eine unüberwindbare Hürde für dringend notwendige Reformen und eine Neuausrichtung der politischen Verantwortung als einzigen Ausweg. Auch CDU-Chef Friedrich Merz fordert Kanzler Olaf Scholz auf, die Vertrauensfrage zu stellen, da ohne klare Mehrheit eine handlungsfähige Regierung kaum gewährleistet werden könne.
Für die Apothekenbranche könnte das Ende der Ampel-Koalition weitreichende Folgen haben. Während Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP seinen Posten behält, sollen andere Ministerien der FDP an SPD- und Grünen-Politiker übergehen, was die politische Landkarte weiter verändern dürfte. Olaf Scholz plant, bis zur Vertrauensfrage im Januar zentrale Gesetzesvorhaben zu verabschieden, um zumindest einige der geplanten Reformen noch auf den Weg zu bringen und die Handlungsfähigkeit der Regierung bis dahin zu sichern.
Kommentar
Die politische Krise in Deutschland enthüllt die Zerbrechlichkeit des Gesundheitssystems, das seit Jahren unter chronischer Reformverzögerung leidet. Die nun gescheiterten Gesundheitsreformen, insbesondere für die Apotheken, sind nur die Spitze eines Eisbergs aus wachsender Bürokratie, Kostendruck und regionaler Ungleichheit. Apotheken sind im öffentlichen Gesundheitswesen eine essenzielle Säule, die sich der wachsenden Last an Aufgaben wie Impfungen und der Beratung von Patienten widmet, die zunehmend ärztliche Unterstützung benötigen. Doch ohne verlässliche politische Rahmenbedingungen und angemessene Vergütung für ihre erweiterten Aufgaben könnte das Modell der flächendeckenden Apotheke langfristig ausgehöhlt werden.
Die neue Praxisleitlinie zur Migränebehandlung und die EU-Richtlinien zu Diclofenac zeigen, wie auch externe Regulierungen den Handlungsspielraum der Apotheken zunehmend bestimmen. Gleichzeitig entlarvt die Debatte um die Rolle des Deutschen Apothekertages einen wachsenden Konflikt innerhalb der Berufsorganisationen, in dem die Interessenvertretung von Apothekern auf dem Spiel steht. Dieser Richtungsstreit könnte das Ansehen der Apotheken in der Öffentlichkeit und ihre politische Schlagkraft weiter schwächen – gerade in einer Zeit, in der ein klarer Kurs dringend benötigt wird.
Ohne eine schnelle politische Lösung und strukturelle Reformen bleibt das Gesundheitswesen im Ungewissen, mit den Apotheken als einem wichtigen, jedoch oft übersehenen Bestandteil. Es ist höchste Zeit, dass die politischen Verantwortlichen die Bedürfnisse der Apotheken in ihre Agenda aufnehmen und ihnen die Unterstützung zukommen lassen, die sie für eine verlässliche, wohnortnahe Versorgung benötigen. Denn jede weitere Verzögerung bedeutet für die Apotheken nicht nur einen finanziellen, sondern auch einen moralischen Rückschlag in ihrem Bemühen, den Patienten bestmögliche Versorgung zu bieten.
Von Engin Günder, Fachjournalist