Die Gesundheitspolitik der Ampelkoalition hat in den vergangenen Jahren deutliche Spuren hinterlassen – sowohl positive als auch negative. Auf einer Veranstaltung von Pro Generika, die am Donnerstag im FAZ-Atrium in Berlin stattfand, diskutierten Experten über die Bilanz der Regierungspolitik und ihre Auswirkungen auf die Pharmaindustrie. Dabei wurde insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftspolitischen Impulsen und der Versorgungssicherheit hervorgehoben. Moderiert von Monika Jones (Deutsche Welle) brachte die Diskussion prominente Journalisten aus Fachredaktionen zusammen, darunter Rebecca Beerheide (Deutsches Ärzteblatt), Theresa Rauffmann (Handelsblatt) und Thomas Trappe (Tagesspiegel Background).
Die Diskussion begann mit der Kernfrage: Wo steht die Pharmabranche in Deutschland heute? Während neue Produktionsstätten für Medikamente gefeiert werden, stehen viele Apotheken vor leeren Regalen, weil essenzielle Arzneimittel fehlen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlichem Fortschritt und praktischen Versorgungslücken prägte die gesamte Veranstaltung.
Einigkeit herrschte unter den Experten darüber, dass die Digitalisierung eines der wenigen Felder ist, in denen die Ampelkoalition spürbare Fortschritte erzielt hat. Insbesondere die geplante Umwandlung der Gematik in eine Digitalagentur sei ein bedeutender Schritt gewesen, auch wenn diese Reform bisher nicht umgesetzt wurde. Digitale Prozesse und die Einführung des E-Rezepts gelten als wichtige Modernisierungsschritte, um die Effizienz im Gesundheitswesen zu erhöhen. Doch diese Fortschritte stehen im Schatten größerer Probleme.
Das Lieferengpassgesetz (ALBVVG) wurde als typisches Beispiel für kurzfristige Schlagzeilenpolitik angeführt. Es wurde mit dem Ziel eingeführt, akute Engpässe bei Kinderarzneimitteln zu beheben, und brachte zwar neue Transparenz in die Lieferkettenproblematik, ließ jedoch strukturelle Reformen vermissen. Die Evaluation des Gesetzes, die erst im kommenden Jahr erfolgen soll, wird zeigen, ob die Maßnahmen langfristig wirksam sind. Kritik gab es vor allem an der Logik der Lagerhaltung: Wie sollen Medikamente bevorratet werden, die ohnehin nicht ausreichend verfügbar sind?
Die Diskutanten zogen auch Vergleiche zwischen dem wirtschaftspolitischen Medizinforschungsgesetz (MFG) und dem versorgungspolitischen ALBVVG. Während das MFG die forschende Pharmaindustrie stärkt und Deutschland als Standort für innovative Arzneimittelproduktion positioniert, wurde das ALBVVG von vielen als unzureichend für die Stabilisierung der Generikaversorgung bewertet. Diese Ungleichgewichtung verdeutliche, dass wirtschaftliche Interessen oft Vorrang vor versorgungspolitischen Zielen haben – eine Entwicklung, die nicht erst mit der Ampelkoalition begonnen habe.
Auch die Frage nach der zukünftigen Leitung des Bundesgesundheitsministeriums wurde kontrovers diskutiert. Namen wie Karl-Josef Laumann (CDU) und Andreas Philippi (SPD) wurden ins Gespräch gebracht, während die Grünen offenbar wenig Interesse an dem Ressort zeigen. Die Prioritäten einer künftigen Regierung würden vermutlich auf der Stabilisierung der GKV-Finanzierung und dem Kampf gegen den Ärztemangel liegen. Eine Weiterentwicklung des ALBVVG erscheine hingegen wenig wahrscheinlich.
Abschließend kritisierten die Diskussionsteilnehmer auch die Rolle der Medien. Gesundheitspolitik werde oft auf Schlagzeilen reduziert, ohne die komplexen Hintergründe zu beleuchten. Dies erschwere nicht nur die öffentliche Debatte, sondern auch die Akzeptanz notwendiger Reformen.
Kommentar:
Die Gesundheitspolitik der Ampelkoalition offenbart eine gravierende Schwäche: Sie bleibt häufig in Einzelmaßnahmen stecken, ohne eine langfristige Strategie zu verfolgen. Das Lieferengpassgesetz (ALBVVG) und das Medizinforschungsgesetz (MFG) sind zwei Seiten derselben Medaille. Einerseits wird die Bedeutung der Pharmaindustrie als wirtschaftlicher Faktor erkannt und gefördert, andererseits werden die drängenden Versorgungsprobleme nicht ausreichend adressiert.
Das ALBVVG verdeutlicht exemplarisch die Herausforderung eines hochkomplexen Systems: Die Einführung neuer Regelungen, wie die Transparenzpflichten bei Lieferengpässen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch ohne eine grundlegende Überarbeitung der Strukturen bleibt dies Stückwerk. Vor allem Generikahersteller, die für die Grundversorgung essenziell sind, fühlen sich durch die ungleichmäßige Gewichtung zwischen wirtschafts- und versorgungspolitischen Maßnahmen benachteiligt.
Der Blick auf die Digitalisierung zeigt, wie wichtig klare Prioritäten sind. Die Fortschritte bei der digitalen Transformation, wie das E-Rezept oder die Gematik-Reform, sind positiv zu bewerten. Doch der schleppende Fortschritt bei der Umsetzung zeigt auch die administrative Trägheit, die grundlegende Reformen im deutschen Gesundheitswesen ausbremst. Es reicht nicht, gute Ideen anzustoßen – sie müssen auch konsequent realisiert werden.
Ein weiteres Problemfeld ist die mediale Wahrnehmung der Gesundheitspolitik. Komplexe Zusammenhänge werden oft auf Schlagzeilen reduziert, wodurch das öffentliche Verständnis für notwendige Reformen leidet. Die Verantwortung liegt nicht nur bei der Politik, sondern auch bei den Medien, die es versäumen, die Vielschichtigkeit des Gesundheitssystems adäquat darzustellen.
Die nächste Bundesregierung steht vor der Herausforderung, die Balance zwischen wirtschaftlichen Interessen und der Versorgungssicherheit zu finden. Ein stärkerer Fokus auf die Generikaversorgung wäre nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch eine Notwendigkeit, um das Vertrauen der Bürger in das Gesundheitssystem zurückzugewinnen. Denn am Ende zählt nicht nur, wie stark der Wirtschaftsstandort Deutschland ist, sondern ob jeder Patient zuverlässig versorgt wird.
Von Engin Günder, Fachjournalist