Die schrittweise Einführung der elektronischen Patientenakte (EPA) ab Januar 2025 markiert einen Wendepunkt für die Apothekenlandschaft in Deutschland. Im Rahmen eines kurzfristig anberaumten Treffens zwischen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening wurden die neuen Aufgaben der Apotheken im Zusammenhang mit der EPA konkretisiert. Apotheken sollen nicht nur beratend tätig sein, sondern aktiv dazu beitragen, die Akten mit relevanten Informationen zu befüllen. Diese Aufgaben reichen von der Unterstützung bei der Digitalisierung medizinischer Dokumente bis hin zur Aufklärung der Versicherten über den Nutzen und die Handhabung der EPA. Während die Bedeutung dieser Rolle unbestritten ist, bleibt die Frage der Vergütung offen, was viele Apotheken in Anbetracht ihrer ohnehin angespannten wirtschaftlichen Lage besorgt.
Parallel dazu belastet die zunehmende Bürokratie viele Apothekerinnen und Apotheker. Die AOK Bayern versucht, mit einer Hotline und Informationskampagnen Unterstützung zu leisten, was jedoch gemischte Reaktionen hervorruft. Während einige das Angebot als hilfreiche Maßnahme betrachten, sehen andere darin eine symptomatische Notlösung für ein System, das durch immer komplexere Abrechnungsanforderungen überfordert ist. Ein Apotheker formulierte es treffend: „Die Abrechnung ist mittlerweile so kompliziert, dass wir anscheinend ohne Hotline nicht mehr weiterkommen.“ Diese Worte spiegeln die Frustration einer Branche wider, die immer mehr Zeit und Ressourcen in administrative Aufgaben investieren muss, statt sich auf die Patientenversorgung zu konzentrieren.
Ein Hoffnungsschimmer bietet die zunehmende Digitalisierung der Apotheken. Mit der Integration der Plattform „Frag die Apotheke“ in digitale Shopsysteme können Apotheken ihre Beratungsdienste auch außerhalb der Geschäftszeiten anbieten. Dieses innovative Modell soll nicht nur die Kundenbindung stärken, sondern auch die Gesundheitsversorgung verbessern, indem es niedrigschwellige, digitale Zugänge schafft. Gleichzeitig wird die Bedeutung der Apotheken zunehmend öffentlich gewürdigt. Bei der diesjährigen „Goldenen Henne“-Gala in Leipzig wurde die Apothekerschaft für ihre zentrale Rolle in der Gesundheitsversorgung hervorgehoben. Solche Anerkennungen sind wichtige Schritte, um das öffentliche Bewusstsein für die Herausforderungen und Leistungen der Apotheken zu schärfen.
Auch die medizinische Forschung bringt neue Erkenntnisse, die für die Apotheken relevant sind. Eine Studie zu Vitamin K2 bietet einen vielversprechenden Ansatz zur Behandlung nächtlicher Wadenkrämpfe, die vor allem ältere Menschen stark belasten. Während bisher Magnesium und Chinin als gängige Behandlungsoptionen galten, zeigen die Ergebnisse der aktuellen Untersuchung, dass Vitamin K2 eine effektive und zugleich risikoärmere Alternative sein könnte. Parallel dazu sorgt eine Pharmakovigilanzstudie zu Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI) wie Omeprazol für Diskussionen. Es besteht der Verdacht, dass eine langfristige Einnahme dieser Medikamente, insbesondere bei Patienten mit Hyponatriämie, das Risiko für Delirien erhöhen könnte. Diese Erkenntnisse verdeutlichen die Notwendigkeit einer sorgfältigen pharmazeutischen Beratung, insbesondere bei älteren und multimorbiden Patienten.
Gesellschaftspolitische Themen wie die Wechseljahre erhalten ebenfalls verstärkte Aufmerksamkeit. Auf einer von der Apotheken Umschau unterstützten Veranstaltung wurde das Thema enttabuisiert und intensiv diskutiert. Frauen aus verschiedenen Berufsgruppen berichteten von den oft schwerwiegenden Auswirkungen hormoneller Veränderungen auf ihr Berufsleben. Solche Debatten sind entscheidend, um gesellschaftliche und betriebliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die Frauen in dieser Lebensphase besser unterstützen.
Auf regulatorischer Ebene sehen sich Apotheken mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Die geplante EU-Abwasserrichtlinie fordert Hersteller von Arzneimitteln und Kosmetika dazu auf, die Kosten für eine zusätzliche Reinigungsstufe zu tragen, die Mikroverunreinigungen aus Abwässern filtern soll. Diese Regelung könnte die Herstellungskosten erheblich erhöhen, was wiederum indirekte Auswirkungen auf die Apotheken haben dürfte.
Die Einführung des E-Rezepts hat bisher nicht den erhofften reibungslosen Ablauf gebracht. Technische Probleme, fehlerhafte Verschreibungen und Abrechnungsfehler belasten sowohl Apotheker als auch Patienten. Apothekerverbände fordern eine systematische Erfassung dieser Fehler, um Schwachstellen zu identifizieren und langfristige Lösungen zu entwickeln. Diese Schwierigkeiten kommen in einer Zeit, in der die Apotheken ohnehin mit wirtschaftlichen Herausforderungen wie stagnierenden Honoraren und steigenden Betriebskosten kämpfen. Bei der Mitgliederversammlung des Hamburger Apothekervereins wurden diese Probleme ausführlich diskutiert. Besonders kritisiert wurden die Schwächen der Selbstverwaltung und die fehlende Anpassung an moderne Anforderungen. Die wirtschaftliche Krise der Apotheken droht, insbesondere in ländlichen Regionen, zu einer weiteren Ausdünnung der Apothekenlandschaft zu führen.
Kommentar:
Die Themen, die derzeit die Apotheken in Deutschland bewegen, verdeutlichen die prekäre Lage einer Branche, die sich zwischen zunehmender Bürokratie, wirtschaftlichem Druck und der Notwendigkeit zur Digitalisierung wiederfindet. Die Einführung der elektronischen Patientenakte ist zweifellos ein Meilenstein in der Digitalisierung des Gesundheitswesens, doch ihre Umsetzung droht Apotheken vor enorme Herausforderungen zu stellen. Die Tatsache, dass die Vergütung für diese zusätzlichen Aufgaben nicht geklärt ist, zeigt einmal mehr die mangelnde Wertschätzung der politischen Entscheidungsträger gegenüber der Apothekerschaft. Es ist nicht nur unfair, sondern auch kontraproduktiv, Apotheken mit immer neuen Aufgaben zu belasten, ohne für angemessene finanzielle Rahmenbedingungen zu sorgen.
Die zunehmende Bürokratisierung spiegelt sich auch in der Abrechnungspraxis wider. Dass Krankenkassen wie die AOK Bayern Hotlines einrichten müssen, um Apothekern bei der Abwicklung ihrer Forderungen zu helfen, zeigt, wie ineffizient das System mittlerweile ist. Solche Maßnahmen sind bestenfalls Symptombekämpfung, während die grundlegenden Probleme ungelöst bleiben. Es braucht dringend eine Vereinfachung der Abrechnung und klare, transparente Prozesse, um die Arbeitsbelastung der Apotheken zu reduzieren.
Die digitale Transformation, wie sie durch Projekte wie „Frag die Apotheke“ sichtbar wird, bietet hingegen echte Chancen, Apotheken zukunftsfähig zu machen. Solche Angebote zeigen, dass Apotheken bereit sind, innovative Wege zu gehen, um ihre Relevanz in einer zunehmend digitalisierten Welt zu sichern. Doch auch hier gilt: Ohne die Unterstützung durch eine klare politische und finanzielle Strategie könnten solche Ansätze in der Breite scheitern.
Die medizinischen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen – von den Wechseljahren bis hin zu neuen Therapien für Muskelkrämpfe – verdeutlichen die zentrale Rolle, die Apotheken als Vermittler zwischen Wissenschaft und Patient spielen. Sie tragen wesentlich dazu bei, dass medizinische Erkenntnisse in der Praxis ankommen und eine wirkliche Verbesserung der Lebensqualität bewirken. Gleichzeitig sind sie die ersten Ansprechpartner, wenn es um die Beratung bei komplexen Medikationsfragen geht, wie die Diskussion um Protonenpumpen-Inhibitoren zeigt.
Die Herausforderungen durch das E-Rezept und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Apotheken unterstreichen die Notwendigkeit umfassender Reformen. Die Politik muss endlich erkennen, dass Apotheken keine bloßen Dienstleister sind, sondern eine tragende Säule des Gesundheitssystems. Eine finanzielle und strukturelle Stärkung der Apotheken ist nicht nur im Interesse der Branche, sondern vor allem der Patienten, die auf eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Versorgung angewiesen sind. Es ist an der Zeit, die Apotheken aus der Defensive zu holen und sie aktiv in die Gestaltung der Zukunft des Gesundheitssystems einzubinden.
Von Engin Günder, Fachjournalist