Mit der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) Anfang 2025 steht das deutsche Gesundheitswesen vor einer weitreichenden digitalen Transformation, die Apotheken und Arztpraxen gleichermaßen betrifft. Die ePA soll Patientinnen und Patienten erstmals die Möglichkeit geben, ihre Gesundheitsdaten wie Befunde, Medikationspläne oder Impfpässe zentral digital zu speichern und nach Bedarf gezielt für medizinisches Fachpersonal freizugeben. Ziel ist es, medizinische Versorgung zu verbessern und Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Doch die neuen Möglichkeiten bringen auch erhöhte Sicherheitsanforderungen mit sich, die Apotheken und andere Akteure des Gesundheitswesens auf die Probe stellen.
Ein aktuelles Gutachten des Fraunhofer-Instituts für Sichere Informationstechnologie (SIT), das im Auftrag der Gematik erstellt wurde, bewertet die ePA-Architektur grundsätzlich als sicher. Laut Fraunhofer IST ist die Integrität des Systems gewährleistet, was für die breite Akzeptanz und Nutzung der ePA entscheidend ist. Zugleich weist das Gutachten jedoch auch auf spezifische Schwachstellen hin, die Apotheken als direkte Anlaufstellen für Patientendaten besonders berücksichtigen müssen. Diese Schwachstellen betreffen insbesondere Zugangsstellen und die Integration der ePA mit anderen Systemen, etwa der elektronischen Rezeptverarbeitung. Es bestehen Risiken, dass unbefugte Zugriffe auf Daten oder Manipulationen möglich sein könnten, wenn Sicherheitsmaßnahmen in Apotheken nicht flächendeckend umgesetzt werden.
Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ist es für Apotheken notwendig, sowohl technische als auch organisatorische Sicherheitsstandards weiter auszubauen. Die geplante Einführung der ePA setzt voraus, dass Apotheken ihre IT-Infrastruktur auf den neuesten Stand bringen, Mitarbeitende im Bereich Datensicherheit schulen und strikte Zugangsprotokolle etablieren. Dies stellt viele Apotheken vor Herausforderungen, da die ohnehin angespannte Personalsituation durch zusätzliche Arbeitsbelastung im Zusammenhang mit der digitalen Transformation noch weiter erschwert wird.
In diesem Kontext wird eine kürzlich beschlossene Lockerung der gesetzlichen Regelungen zur Apothekenführung interessant: Apothekeninhaber können nun gemeinsam eine weitere Filiale betreiben, was insbesondere kleineren Betrieben wirtschaftliche und personelle Entlastung bringen könnte. Diese Neuerung bietet die Möglichkeit, Personal- und Ressourcenkosten zu teilen und flexibel auf Schwankungen im Betrieb reagieren zu können. Für viele Apotheken, die unter den neuen Anforderungen ächzen, könnte dies eine sinnvolle Alternative sein, insbesondere wenn die notwendige IT-Infrastruktur gemeinsam genutzt und die Mitarbeiterschulung effizient organisiert werden kann.
Eine weitere Herausforderung, die Apotheken derzeit bewältigen müssen, ist die Zunahme von E-Rezept-Dubletten. Laut der ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände) kommt es vermehrt vor, dass E-Rezepte doppelt eingereicht werden, da entweder die digitalen Systeme Verzögerungen haben oder Patienten aus Unsicherheit Rezepte mehrfach übermitteln. Diese Dubletten stellen die Apotheken vor neue organisatorische Herausforderungen und binden zusätzlich personelle Ressourcen, die ohnehin knapp sind.
Zusätzlich ist der Krankenstand unter den Mitarbeitenden in Apotheken in den letzten Jahren drastisch angestiegen. Eine aktuelle Erhebung zeigt, dass die durchschnittliche Anzahl der Krankheitstage pro Angestelltem im Jahr 2023 einen Rekordwert von 15,2 Tagen erreicht hat. Diese Situation bringt Apotheken zunehmend an ihre Belastungsgrenzen, da der bestehende Fachkräftemangel die Ausfälle schwer kompensieren lässt. Apothekenbetreiber sehen sich daher gezwungen, Maßnahmen zur Reduktion des Krankenstandes zu ergreifen, um langfristig betriebsfähig zu bleiben. Doch die Ursachen für die hohe Fehlzeitenquote sind vielfältig und beinhalten neben arbeitsbedingtem Stress und Überlastung auch strukturelle Defizite im Arbeitsumfeld, die eine nachhaltige Lösung komplex machen.
Neben diesen internen Herausforderungen kämpft die Branche auch auf externer Ebene mit Schwierigkeiten: Eine steigende Anzahl von Apothekenschließungen zeichnet ein düsteres Bild für die Zukunft. Allein im dritten Quartal des Jahres hat sich die Anzahl der Schließungen nochmals erhöht und die Zahl der Apotheken in Deutschland befindet sich auf einem Rekordtief. Diese Entwicklung ist Ausdruck des enormen wirtschaftlichen Drucks, unter dem Apotheken durch steigende Betriebskosten und stagnierende Vergütungen stehen.
Als ob all dies nicht genug wäre, zeigt der kürzlich erfolgte Hackerangriff auf den Großhändler AEP die Anfälligkeit des pharmazeutischen Sektors für Cyberattacken. Apotheken, die sich auf eine stabile und zuverlässige Lieferkette verlassen, sehen sich nun mit der Frage konfrontiert, wie sie ihre eigene IT-Infrastruktur und die ihrer Lieferanten besser absichern können, um Betriebsunterbrechungen durch Hackerangriffe zu verhindern.
Erschwerend kommt hinzu, dass bestimmte Medikamente wie Metamizol/Novaminsulfon Zentiva Tropfen trotz eines Rückrufs immer noch von Auskristallisation betroffen sind. Dies stellt für Apotheken eine zusätzliche Belastung dar, da sie nicht nur die Verfügbarkeit sicherstellen, sondern auch Rückrufe und Qualitätsmängel im Auge behalten müssen, was zusätzlichen Zeit- und Kontrollaufwand bedeutet. Auch alltägliche Aufgaben wie das Holen von Medikamenten während der Pause werfen rechtliche Fragen auf, da das Landessozialgericht kürzlich entschied, dass dies nicht als Arbeitsunfall anerkannt wird.
Kommentar:
Die Digitalisierung und die sich häufenden strukturellen Herausforderungen bringen Apotheken in Deutschland an ihre Belastungsgrenzen. Die Einführung der ePA ist zweifelsohne ein wichtiger Fortschritt, der das deutsche Gesundheitswesen modernisiert und den Patienten mehr Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten bietet. Doch der Preis dieser digitalen Revolution ist hoch – für die Apotheken bedeutet die ePA vor allem eines: zusätzliche Anforderungen an Datensicherheit, IT-Infrastruktur und Fachkräfte. Dass das Fraunhofer-Gutachten die ePA als grundlegend sicher einstuft, ist beruhigend. Dennoch weisen die aufgezeigten Schwachstellen darauf hin, dass Apotheken nicht nur technische Lösungen implementieren müssen, sondern auch organisatorisch umdenken sollten. Dies schließt umfangreiche Schulungen, kontinuierliche Sicherheitsupdates und klare Zugangsprotokolle ein.
Die gestiegenen Krankenstände sind ein weiteres Alarmzeichen, das die Herausforderungen aufzeigt, die Apotheken heute bewältigen müssen. Ein hoher Krankenstand wirkt sich unmittelbar auf die betriebliche Leistungsfähigkeit aus und führt dazu, dass die verbleibenden Mitarbeitenden einer noch höheren Belastung ausgesetzt sind, was wiederum das Risiko von Burnout und erneuten Krankheitsfällen erhöht. Die neuen Möglichkeiten zur gemeinsamen Führung von Filialen könnten kurzfristig eine Entlastung bieten. Doch ob dies als nachhaltige Lösung für die Herausforderungen im Arbeitsumfeld reicht, bleibt fraglich.
Das Thema Cybersecurity wird durch den Hackerangriff auf den Großhändler AEP zusätzlich in den Fokus gerückt. Die Verwundbarkeit der gesamten pharmazeutischen Lieferkette zeigt, wie wichtig umfassende Sicherheitsmaßnahmen sind – und dass Apotheken mehr denn je auf die Cybersicherheit ihrer Partner achten müssen. Schließlich ist die Abhängigkeit von zuverlässigen Lieferketten für eine kontinuierliche Versorgung der Patienten essentiell.
Letztlich offenbaren diese Entwicklungen die Notwendigkeit einer umfassenden Unterstützung des Apothekensektors durch die Politik. Apotheken stehen an einer Schnittstelle zwischen Patientenversorgung, Digitalisierung und wirtschaftlichem Druck und sind eine tragende Säule des deutschen Gesundheitssystems. Angesichts des steigenden wirtschaftlichen Drucks und der komplexen Sicherheitsanforderungen benötigen Apotheken gezielte Fördermaßnahmen, die ihnen ermöglichen, ihre essenzielle Rolle im Gesundheitswesen auch langfristig zu erfüllen.
Die Frage, wie Apotheken die Balance zwischen Versorgungssicherheit, Mitarbeiterwohl und IT-Schutz schaffen können, wird zur Schlüsselfrage für die Zukunft. Es gilt, nicht nur einzelne Lösungen zu finden, sondern ein ganzheitliches Konzept zu entwickeln, das den Anforderungen der Digitalisierung und der betriebswirtschaftlichen Realität gleichermaßen gerecht wird.
Von Engin Günder, Fachjournalist