Die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) steht kurz vor einem entscheidenden Starttermin, doch der Weg dorthin ist holprig. Fachkreise äußern zunehmende Zweifel, ob der geplante Termin Mitte Januar tatsächlich eingehalten werden kann. Die Erfahrungen mit dem mehrfach verschobenen Start des E-Rezepts wirken nach und verstärken die Skepsis. Insbesondere technische und organisatorische Hürden könnten zu weiteren Verzögerungen führen, was die Glaubwürdigkeit der Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter untergräbt. Gleichzeitig sorgt die finanzielle Belastung der Apotheken für neue Diskussionen. Die Apothekerkammer Berlin hat für 2024 eine Beitragserhöhung von rund 50 Prozent angekündigt, die berufstätige Mitglieder empfindlich trifft. Viele Apothekerinnen und Apotheker kritisieren den Schritt scharf, vor allem da eine detaillierte Begründung für die Erhöhung bisher fehlt. Rentner und nicht berufstätige Mitglieder bleiben zwar verschont, doch der Unmut über mangelnde Transparenz und Kommunikation ist groß.
Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Unsicherheiten und politischer Umbrüche appellieren führende Vertreter der Apothekerschaft an Geschlossenheit. Cathrin Burs, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, betonte die Bedeutung einer starken Positionierung, insbesondere angesichts der bevorstehenden Neuwahlen. Auch Jens Dobbert, Präsident der Landesapothekerkammer Brandenburg, mahnt die Branche, neue Konzepte zu entwickeln und den Fachkräftemangel aktiv anzugehen, statt lediglich Reformpläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu kritisieren. Dobbert fordert ein Umdenken, das über bloße Blockadehaltung hinausgeht.
Die ABDA steht ebenfalls unter Druck. Die geplante Satzungsänderung, die die Kompetenzen der Hauptversammlung des Deutschen Apothekertags einschränken soll, sorgt für heftige Diskussionen. Ein Ad-hoc-Antrag, der die Rücknahme dieser Änderung fordert, könnte die anstehende Mitgliederversammlung am 11. Dezember dominieren. Insbesondere aus Hessen wird der Ruf nach einer umfassenden Debatte laut. Gleichzeitig nutzt die ABDA die Delegiertenkonferenz der Grünen, um ein Sofortprogramm zur Rettung der Apotheken zu fordern. Präsidentin Gabriele Regina Overwiening warnt vor massiven Standortschließungen, sollten keine schnellen Hilfen kommen.
Die wirtschaftliche Schieflage vieler Apotheken, die durch pandemiebedingte Belastungen, stagnierende Honorare und steigende Betriebskosten verstärkt wurde, bringt die Branche an einen Wendepunkt. Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV), fordert eine Kombination aus kurzfristiger finanzieller Unterstützung und langfristigen strukturellen Reformen. Er sieht die aktuelle Krise auch als Chance für einen Neuanfang. Doch die Digitalisierung bleibt ein weiteres Streitthema. Die Einführung des E-Rezepts und der ePA wird von vielen Apothekern kritisch gesehen, da die erforderlichen technischen Lösungen, wie etwa ein Referenzvalidator, fehlen. Dies erhöht die Gefahr von Retaxationen und mindert die Akzeptanz.
Auf der strukturellen Ebene wird der Deutsche Apothekertag zunehmend infrage gestellt. Delegierte kritisieren, dass viele Anträge in Ausschüssen versanden und die Hauptversammlung ihrer Rolle als zentrales Mitbestimmungsgremium nicht gerecht wird. Vorschläge, die Kompetenzen des Apothekertags zu beschneiden, stoßen auf heftigen Widerstand. Die Basis fordert mehr Transparenz und Mitbestimmung, um die Interessen der Branche effektiv vertreten zu können.
Der digitale Wandel, finanzielle Herausforderungen und interne Machtkämpfe zeichnen ein Bild der Apothekerschaft an einem Scheideweg. Die Frage, wie die Zukunft der Branche gestaltet wird, bleibt offen. Die Entscheidungen der kommenden Monate könnten jedoch wegweisend sein, sowohl für die wirtschaftliche Stabilität der Apotheken als auch für ihre Position in einem sich wandelnden Gesundheitssystem.
Kommentar:
Die Apothekerschaft steht vor einer Zerreißprobe. Zwischen internen Machtkämpfen, wirtschaftlichen Herausforderungen und den Anforderungen der Digitalisierung droht die Branche den Anschluss zu verlieren. Die geplante Einführung der elektronischen Patientenakte könnte ein Meilenstein sein, doch die Realität ist geprägt von technischen und organisatorischen Defiziten. Ebenso wie das E-Rezept droht auch die ePA zum Symbol für eine gescheiterte Gesundheitsdigitalisierung zu werden, wenn nicht umgehend gegengesteuert wird.
Parallel dazu stellen die finanziellen Belastungen viele Apotheken vor existenzielle Fragen. Die Beitragserhöhung der Apothekerkammer Berlin zeigt, wie dringend es an Transparenz und Kommunikation mangelt. In einer ohnehin angespannten wirtschaftlichen Lage wirken solche Maßnahmen wie ein zusätzlicher Schlag ins Kontor. Der Ruf nach Geschlossenheit und klarer Positionierung, den Persönlichkeiten wie Cathrin Burs oder Jens Dobbert anstoßen, ist zwar berechtigt, doch ohne konkrete Maßnahmen bleibt er folgenlos.
Die ABDA muss sich fragen lassen, ob sie den richtigen Kurs verfolgt. Satzungsänderungen, die die Mitbestimmung der Basis schwächen, wirken in einer Zeit des Umbruchs kontraproduktiv. Es braucht Reformen, die nicht nur auf dem Papier bestehen, sondern die Apotheken spürbar entlasten und stärken. Die Forderung nach Soforthilfen und langfristigen Reformen ist wichtig, doch genauso entscheidend ist eine glaubwürdige und einheitliche Vertretung der Interessen.
Die Apothekerschaft hat die Chance, sich neu zu positionieren – sowohl innerhalb der Branche als auch gegenüber der Politik. Doch diese Chance erfordert Mut, Innovation und den Willen, alte Strukturen zu hinterfragen. Nur so lässt sich die Krise in einen Neuanfang verwandeln.
Von Engin Günder, Fachjournalist