Der deutsche Apothekenmarkt steht vor signifikanten Veränderungen, wie die jüngsten Daten des Apothekenpanels von Insight Health zeigen. Während das Jahr 2023 zunächst von einem positiven Trend geprägt war, insbesondere im Bereich der verschreibungspflichtigen Medikamente (Rx), zeichnet sich gegen Jahresende ein deutlicher Rückgang ab. Nach einem starken ersten Halbjahr, das durch erhebliche Absatzsteigerungen geprägt war, stagnierten die Rx-Zahlen im November und fielen in einzelnen Wochen sogar unter das Niveau des Vorjahres. Diese Entwicklung stellt eine Zäsur dar, die den bisherigen Aufwärtstrend unterbricht und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Apotheken zunehmend erschwert.
Bis Ende November betrug der kumulierte Zuwachs beim Rx-Absatz im Vergleich zum Vorjahr noch 3,3 Prozent. Dieser Wert ist allerdings vor allem durch die positiven Ergebnisse der ersten Jahreshälfte beeinflusst, als die Absätze teils sprunghaft anstiegen. Bereits im Herbst zeigte sich jedoch eine Abschwächung des Wachstums, und im November ging der Rx-Absatz in mehreren Wochen sogar leicht zurück. In der 45. und 46. Kalenderwoche stagnierte er nahezu, bevor er in der 48. Woche um 3,3 Prozent unter das Vorjahresniveau fiel. Trotz dieser Rückgänge bleibt der kumulierte Rx-Absatz im Jahr 2023 im Vergleich zu 2023 positiv, ebenso wie im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019, mit einem Zuwachs von 8,6 Prozent.
Ein entscheidender Faktor für die wirtschaftliche Situation der Apotheken ist die Entwicklung der Rx-Umsätze, die sich besser darstellen als die Absätze. Dies liegt vor allem an der Preissteigerung bei hochpreisigen Medikamenten, die den Umsatz steigern, gleichzeitig jedoch die Apotheken finanziell belasten. Die Vorfinanzierung dieser teuren Medikamente stellt eine erhebliche Herausforderung dar, da die Erhöhung der Roherträge durch die Festzuschläge für Rx-Produkte diese Belastung nur teilweise kompensiert. Im November stieg der Rx-Umsatz in den einzelnen Wochen um bis zu 7,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr, während der kumulierte Anstieg bis zur 48. Kalenderwoche 8,8 Prozent gegenüber 2023 und sogar 34,7 Prozent gegenüber 2019 betrug.
Parallel dazu zeigt sich im Markt für nicht verschreibungspflichtige Medikamente (OTC) eine andere Dynamik. Hier war der November durch deutliche Absatzrückgänge geprägt. In der 48. Woche fiel der OTC-Absatz um 12,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, und der kumulierte Zuwachs für 2023 liegt mit 0,8 Prozent nur knapp über dem Vorjahresniveau. Im Vergleich zu 2019 wurde sogar ein Rückgang von 3,4 Prozent verzeichnet. Während die Umsätze aufgrund der Inflation weniger stark fielen, zeigt sich auch hier eine angespannte Marktlage. Der OTC-Umsatz im November sank in der 48. Woche um 8,1 Prozent, obwohl der kumulierte Umsatz mit einem Plus von 5,2 Prozent gegenüber 2023 und 12,5 Prozent gegenüber 2019 noch relativ stabil erscheint. Die Entwicklungen im OTC-Sektor deuten jedoch auf eine Stagnation hin, die in den kommenden Monaten zu einem nachhaltigen Rückgang führen könnte.
Die absoluten Daten aus den Rechenzentren für Oktober zeichnen ein leicht positiveres Bild: Die Apotheken setzten 148,2 Millionen Einheiten um und erzielten einen Bruttoumsatz von 7,583 Milliarden Euro, was einem Anstieg von 9 Prozent im Absatz und 6,5 Prozent im Umsatz gegenüber September entspricht. Allerdings verdeutlichen diese Zahlen, dass die Zahl der Arbeitstage nur einen geringen Einfluss auf die Entwicklung hatte, was die strukturellen Herausforderungen des Marktes nicht relativiert.
Kommentar: Apotheken im Spannungsfeld zwischen Wachstum und Belastung
Die aktuelle Situation im deutschen Apothekenmarkt verdeutlicht die komplexen Wechselwirkungen zwischen Umsatzwachstum und wirtschaftlicher Belastung. Einerseits profitieren Apotheken von den gestiegenen Umsätzen im Rx-Bereich, die durch die zunehmende Verordnung hochpreisiger Medikamente begünstigt werden. Andererseits zeigt sich, dass dieses Wachstum mit erheblichen Herausforderungen einhergeht. Die Vorfinanzierung teurer Arzneimittel ist für viele Apotheken eine wirtschaftliche Belastung, die nicht allein durch die Festzuschläge kompensiert werden kann. Hinzu kommen die strukturellen Probleme, die mit den Preissteigerungen und den damit verbundenen Risiken einhergehen.
Besonders deutlich wird dies im OTC-Bereich, der seit Monaten unter einer schleichenden Stagnation leidet. Die Rückgänge im November zeigen, dass selbst rezeptfreie Produkte nicht immun gegen die gesamtwirtschaftlichen Einflüsse und das veränderte Verbraucherverhalten sind. Für viele Apotheken bedeutet dies, dass sie ihre Geschäftsmodelle diversifizieren und neue Wege finden müssen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Maßnahmen wie die Stärkung der Kundenbindung, der Ausbau von Beratungsdienstleistungen und die Nutzung digitaler Kanäle könnten dabei eine zentrale Rolle spielen.
Zugleich unterstreichen die Entwicklungen, wie entscheidend eine nachhaltige politische Unterstützung für die Apothekenbranche ist. Die gestiegenen Anforderungen an die finanzielle und organisatorische Leistungsfähigkeit der Apotheken müssen durch eine Anpassung der Rahmenbedingungen begleitet werden, um die langfristige Versorgungssicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Ohne strukturelle Entlastungen und gezielte Maßnahmen zur Stabilisierung des Marktes droht die wirtschaftliche Belastung viele Apotheken zu überfordern, was wiederum negative Folgen für die Gesundheitsversorgung hätte.
Die Zukunft des Apothekenmarktes bleibt damit ungewiss. Während die Umsätze im Rx-Bereich weiterhin Potenziale bieten, erfordert die nachhaltige Sicherung des gesamten Marktes ein strategisches Umdenken – sowohl auf Seiten der Apotheken als auch der politischen Akteure.
Von Engin Günder, Fachjournalist