Die Apothekenlandschaft in Deutschland erlebt einen tiefgreifenden Wandel. Während die Zahl der Apothekenschließungen stetig steigt, bleibt eine grundlegende politische Antwort auf die Krise aus. Apotheker, die ihre Betriebe aufgeben müssen, nennen dabei zwei Hauptgründe: Einerseits lokale Veränderungen, die sich auf die Kundenfrequenz auswirken, andererseits eine bundespolitische Rahmensetzung, die eine wirtschaftlich nachhaltige Führung zunehmend erschwert.
Ein Apotheker aus Baden-Württemberg, der kürzlich seine Apotheke schließen musste, beschreibt die Situation als eine Entwicklung über Jahre hinweg. „Letztlich haben sich die lokalen Gegebenheiten verändert, sodass mein Betrieb nicht mehr tragfähig war. Aber das eigentliche Sterben hat lange vorher begonnen – mit politischen Entscheidungen, die uns die finanziellen Reserven und die wirtschaftliche Resilienz genommen haben.“ Dieser Fall steht exemplarisch für eine Entwicklung, die sich bundesweit beobachten lässt: Apotheken schließen nicht über Nacht, sondern erleben einen schleichenden Niedergang, in dem wirtschaftlicher Spielraum schrittweise verloren geht.
Wirtschaftlicher Druck als Hauptursache
Ein zentrales Problem, das viele Apotheker beklagen, ist die seit Jahren stagnierende Vergütung. Während Löhne, Mieten, Energie- und Warenkosten kontinuierlich steigen, bleibt die Apothekenvergütung nahezu unverändert. Die Honorierung für die Abgabe von Medikamenten wurde zuletzt nur in marginalem Umfang angepasst, sodass Apotheken mit steigenden Kosten zu kämpfen haben, ohne dass ihre Einnahmen entsprechend mitwachsen.
Ein weiteres Problem stellt die zunehmende Bürokratisierung des Apothekenbetriebs dar. Apotheker berichten, dass sie immer mehr Zeit mit administrativen Aufgaben verbringen müssen, sei es die Dokumentation von Rabattverträgen, die Abwicklung von Retaxationen durch die Krankenkassen oder die Erfüllung neuer regulatorischer Vorgaben. Diese Auflagen binden personelle Ressourcen und erzeugen zusätzlichen finanziellen Druck, da sie kaum durch zusätzliche Einnahmen kompensiert werden können.
Hinzu kommen Lieferengpässe, die den Apothekenbetrieb erschweren. Immer häufiger sind Arzneimittel nicht verfügbar, sodass Apotheken Alternativen beschaffen oder mit Ärzten Rücksprache halten müssen. Dieser zusätzliche Aufwand wird jedoch nicht vergütet, sondern bleibt eine Belastung für die Betriebe. In vielen Fällen führt die Unzufriedenheit der Patienten über nicht verfügbare Medikamente zudem zu einer Verschiebung der Nachfrage hin zu Versandapotheken oder anderen Anbietern.
Strukturelle Nachteile gegenüber Versandhändlern
Die wirtschaftliche Lage vieler Apotheken wird zusätzlich durch den wachsenden Einfluss von Versandapotheken erschwert. Während stationäre Apotheken strengen regulatorischen Vorgaben unterliegen und eine umfangreiche Beratungspflicht erfüllen müssen, profitieren große Versandapotheken von Skaleneffekten, niedrigeren Personalkosten und günstigeren Einkaufskonditionen. Dies führt zu einem ungleichen Wettbewerb, bei dem inhabergeführte Apotheken zunehmend unter Druck geraten.
Viele Apotheker kritisieren, dass die politischen Rahmenbedingungen diesem Wandel nicht ausreichend Rechnung tragen. Statt inhabergeführte Apotheken durch gezielte Maßnahmen zu stärken, habe die Bundesregierung in den letzten Jahren eher den Versandhandel gefördert. Dies zeigt sich unter anderem an der Möglichkeit für ausländische Versandapotheken, mit Boni zu werben, während deutschen Apotheken dies untersagt ist.
Besonders kritisch sehen viele Apothekeninhaber die Diskussion um das sogenannte Apothekenstärkungsgesetz, das sich in der Vergangenheit als nicht weitreichend genug erwiesen habe. Die ursprünglichen Ziele, wie eine bessere Vergütung für pharmazeutische Dienstleistungen oder eine Reduzierung der bürokratischen Belastungen, wurden entweder nicht umgesetzt oder führten zu neuen Problemen, da die bürokratischen Anforderungen oft nicht im Verhältnis zum Nutzen stehen.
Folgen für die Versorgungssicherheit
Die Schließung von Apotheken hat direkte Auswirkungen auf die medizinische Versorgung in Deutschland. In ländlichen Regionen oder strukturschwachen Gebieten verschwinden Apotheken, ohne dass ein adäquater Ersatz geschaffen wird. Patienten müssen längere Wege in Kauf nehmen, Notdienste sind überlastet und insbesondere ältere oder weniger mobile Menschen haben Schwierigkeiten, ihre Medikamente rechtzeitig zu erhalten.
Für die verbleibenden Apotheken bedeutet dies eine zusätzliche Belastung. Sie müssen die Versorgungslücke schließen und gleichzeitig mit dem wachsenden Kundenandrang umgehen. Dies führt nicht nur zu längeren Wartezeiten, sondern auch zu einer steigenden Arbeitsbelastung für das Personal. Viele Apotheker berichten von zunehmendem Stress und Frustration, da sie ihre Patienten optimal versorgen möchten, aber zunehmend mit wirtschaftlichen und logistischen Zwängen kämpfen.
Die politische Reaktion auf diese Entwicklung bleibt bislang aus. Während Verbände und Apotheker seit Jahren auf die problematische Lage hinweisen, bleibt die Bundesregierung zögerlich in der Umsetzung notwendiger Reformen. Viele Apotheker fühlen sich von der Politik im Stich gelassen – mit der Folge, dass immer mehr von ihnen resignieren und ihre Betriebe aufgeben.
Langfristige Perspektiven fehlen
Die zentrale Frage, die sich derzeit stellt, ist, wie die wohnortnahe Arzneimittelversorgung in Zukunft sichergestellt werden soll. Ohne gezielte politische Maßnahmen droht ein kontinuierlicher Rückgang der Apothekenzahl, was langfristig die Versorgungsqualität erheblich beeinträchtigen könnte.
Experten fordern unter anderem eine bessere finanzielle Ausstattung der Apotheken, eine Entbürokratisierung der Abläufe sowie eine faire Wettbewerbsordnung, die inhabergeführte Apotheken gegenüber großen Versandhändlern nicht benachteiligt. Ob diese Forderungen Gehör finden, bleibt jedoch abzuwarten.
Kommentar:
Die anhaltende Schließungswelle von Apotheken ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger politischer Fehlentscheidungen. Es ist bezeichnend, dass ein Berufsstand, der eine zentrale Rolle in der Gesundheitsversorgung spielt, immer weiter unter wirtschaftlichen Druck gerät, während Versandhändler florieren und regulatorische Vorgaben immer komplizierter werden.
Die Problematik beginnt mit einer Vergütungsstruktur, die nicht mit den realen Kosten mithält. Apotheken sind systemrelevant, werden aber nicht entsprechend entlohnt. Während Ärzte und Kliniken in regelmäßigen Abständen Honoraranpassungen erhalten, wurden Apotheken über Jahre hinweg mit minimalen Erhöhungen abgespeist. Diese Ignoranz gegenüber den wirtschaftlichen Realitäten ist einer der Hauptgründe für die heutige Misere.
Ein weiteres Problem ist die überbordende Bürokratie. Apotheken sind längst nicht mehr nur Gesundheitsdienstleister, sondern zunehmend Verwaltungsapparate, die unzählige Dokumentationspflichten erfüllen müssen. Rabattverträge, Retaxationen, Rezeptprüfungen – all das bindet Zeit und Ressourcen, die besser in die Patientenversorgung investiert wären.
Parallel dazu wächst der Versandhandel. Während Apotheken für jede Kleinigkeit in Haftung genommen werden, können Online-Anbieter aus dem Ausland Medikamente mit Rabatten verkaufen und durch effizientere Strukturen wirtschaftlicher arbeiten. Diese Wettbewerbsverzerrung wird politisch nicht angegangen – im Gegenteil, die Digitalisierung des Rezeptwesens dürfte den Trend weiter verstärken.
Die Frage ist: Welche Art von Arzneimittelversorgung will die Politik für die Zukunft? Eine flächendeckende Versorgung mit kompetenter Beratung durch Apotheken vor Ort – oder einen von Großkonzernen dominierten Markt, in dem Beratung nur noch eine Nebenrolle spielt? Die bisherigen Entwicklungen deuten eher auf Letzteres hin.
Wenn die Bundesregierung ernsthaft eine wohnortnahe Arzneimittelversorgung erhalten will, dann muss sie jetzt handeln. Dazu gehört eine angemessene Honorierung, eine Entbürokratisierung des Betriebs und ein fairer Wettbewerb. Andernfalls werden sich die Schließungen weiter fortsetzen – mit fatalen Folgen für Patienten, die eines Tages vor der Frage stehen werden, wo sie überhaupt noch eine Apotheke finden.
Von Engin Günder, Fachjournalist