Ein junger Apotheker stellt eine jahrzehntelang bewährte Praxis infrage und entfacht damit eine Debatte über die Zukunftsfähigkeit der Apothekenbranche. Benedikt Bühler, mit seinen 25 Jahren einer der jüngsten und zugleich dynamischsten Akteure der Standespolitik, plädiert für eine radikale Umstellung: Apotheken sollen ihre Rezeptabrechnungen direkt mit den Krankenkassen abwickeln, anstatt wie bisher Abrechnungszentren (ARZ) zu nutzen. Dieses Konzept verspricht, finanzielle Liquidität zu stärken, die Kontrolle über die Forderungen zu sichern und unnötige Kosten zu senken. Doch der Vorstoß sorgt auch für Widerstand – vor allem vonseiten der Pharmaindustrie, Krankenkassen und Teilen der eigenen Branche.
Bühler argumentiert, dass die Direktabrechnung ein längst überfälliger Schritt sei, insbesondere nach der Insolvenz des Abrechnungszentrums AvP. Tausende Apotheken hatten damals ihre Forderungen verloren, was viele Betriebe an den Rand der Existenz brachte. „Das Vertrauen in die Politik und bestehende Strukturen hat sich als trügerisch erwiesen“, betont Bühler. Mit der Direktabrechnung hingegen wären Apotheken alleinige Inhaber ihrer Forderungen und könnten zudem von einer schnelleren Erstattung profitieren. Statt wie bisher monatlich würden Krankenkassen künftig wöchentlich oder sogar täglich zahlen, was eine deutliche Verbesserung der Liquidität zur Folge hätte.
Die Kritiker der Direktabrechnung warnen jedoch vor einem hohen Verwaltungsaufwand, der auf die Apotheken zukommen könnte. Das Abrechnen mit bis zu 95 Krankenkassen wird als logistische Herausforderung dargestellt, die insbesondere kleinere Betriebe überfordern könnte. Bühler weist diese Bedenken zurück. Die Einführung der verpflichtenden E-Rechnung ab 2025 und die Integration digitaler Buchhaltungssysteme wie Datev würden viele Prozesse automatisieren und den Aufwand minimieren. Er verweist zudem auf die gesetzliche Verpflichtung der Krankenkassen, Rechnungen innerhalb von zehn Tagen zu begleichen, was durch Beschwerden bei der Kassenaufsicht auch durchsetzbar sei.
Ein weiterer Schwerpunkt seiner Kritik richtet sich gegen die Pharmaindustrie, die bislang von kostenlosen Abrechnungsservices der ARZ profitiert. „Die Hersteller haben kein Interesse an Veränderungen, weil sie keine Kosten tragen. Die Belastung bleibt an den Apotheken hängen“, so Bühler. Auch innerhalb der Standespolitik trifft sein Vorstoß auf Widerstand. Die Nähe einiger Landesapothekerverbände zu Abrechnungszentren, die oft im Besitz von Standesorganisationen sind, wird von Bühler als Hindernis für notwendige Reformen gesehen.
Neben der Rezeptabrechnung drängt Bühler auf eine Weiterentwicklung des Apothekenspektrums. Schnelltests, PCR-Analysen und telemedizinische Anbindungen könnten die Apotheken zu einem zentralen Bestandteil des Gesundheitssystems machen. Doch auch hier sieht er bürokratische Hemmnisse, die es abzubauen gilt. Insbesondere bei den pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) kritisiert er die detaillierten Vorgaben der ABDA, die die wirtschaftliche Umsetzung erschweren. „Wir müssen weg von der Überregulierung und hin zu einer pragmatischen Ausrichtung, die Apotheken ermöglicht, ihre Kernkompetenzen effizient auszubauen“, erklärt er.
Ob die Direktabrechnung zum neuen Standard wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass Bühler mit seiner klaren Haltung und innovativen Ansätzen eine dringend notwendige Debatte angestoßen hat.
Kommentar:
Benedikt Bühler ist ein Reformer in einer Branche, die sich oft schwer mit Veränderung tut. Sein Einsatz für die Direktabrechnung und die damit verbundene Abkehr von traditionellen Abrechnungszentren ist mehr als ein technischer Vorschlag – es ist ein Aufruf zur Selbstermächtigung der Apotheken. Die Erfahrungen aus der AvP-Insolvenz zeigen eindrücklich, wie gefährlich die Abhängigkeit von externen Strukturen sein kann. Mit der Direktabrechnung könnten Apotheken nicht nur ihre wirtschaftliche Basis stärken, sondern auch ein Stück Eigenständigkeit zurückgewinnen.
Die Kritik, dass die Krankenkassen eine schlechte Zahlungsmoral hätten, entlarvt Bühler überzeugend als überzogen. Seine Erfahrungen zeigen, dass gesetzliche Vorgaben und Sanktionen wie der Rückfall des Kassenabschlags effektive Kontrollmechanismen sind. Entscheidend ist jedoch, dass Apotheken sich auf die Digitalisierung einlassen, um den damit verbundenen Aufwand zu minimieren. Die verpflichtende Einführung der E-Rechnung ab 2025 bietet hierfür eine hervorragende Grundlage. Gleichzeitig müssen Anbieter wie Scanacs beweisen, dass ihre Lösungen praktikabel und kosteneffizient sind.
Die größte Herausforderung liegt jedoch in der strukturellen und politischen Verankerung der Apotheken. Die Nähe vieler Standesorganisationen zu Abrechnungszentren erschwert eine ehrliche Diskussion über Alternativen. Auch die Pharmaindustrie, die bislang von den bestehenden Strukturen profitiert, wird sich gegen Veränderungen stemmen. Hier zeigt sich, wie dringend die Branche unabhängige und kompetente Lobbyarbeit benötigt. Bühler spricht zu Recht von einer „schamlosen Ausnutzung der Fachkenntnis“ der Apotheker, die sich oftmals auf die Standesvertretungen verlassen, ohne deren Handlungen kritisch zu hinterfragen.
Neben der Abrechnung rückt Bühler weitere zukunftsweisende Themen in den Fokus, wie die Ausweitung diagnostischer Leistungen und die Integration telemedizinischer Angebote. Diese Vision zeigt, dass Apotheken weit mehr sein können als reine Medikamentenausgabestellen. Doch um diese Potenziale auszuschöpfen, müssen bürokratische Hürden abgebaut und wirtschaftliche Anreize geschaffen werden. Die angesammelten 350 Millionen Euro im Fonds für pharmazeutische Dienstleistungen sind ein Beispiel für die Diskrepanz zwischen Forderungen und Umsetzung.
Bühler ist ein unbequemer Mahner, der nicht auf Beliebtheit setzt, sondern auf Effektivität. Die Apothekenlandschaft braucht mehr solcher Stimmen, die Mut zur Veränderung haben. Seine Forderungen nach einer radikalen Reform der Rezeptabrechnung und einer stärkeren Eigenverantwortung der Apotheken sind kein Selbstzweck, sondern ein notwendiger Schritt, um die Branche zukunftsfähig zu machen. Das bedeutet auch, sich mit der unbequemen Wahrheit auseinanderzusetzen: Wer sich nicht bewegt, wird vom Markt verdrängt. Es bleibt zu hoffen, dass mehr Apothekerinnen und Apotheker den Mut finden, den Wandel aktiv mitzugestalten.
Von Engin Günder, Fachjournalist