Die Einführung des E-Rezepts in Deutschland hat den Wettbewerb im Apothekenmarkt auf eine neue Ebene gehoben. Versandapotheken wie Shop Apotheke und DocMorris sehen darin die Möglichkeit, ihre bisher bescheidenen Marktanteile im lukrativen Bereich der verschreibungspflichtigen Medikamente (Rx) auszuweiten. Shop Apotheke hat allein im Oktober 34 Millionen Euro in eine umfangreiche Werbekampagne investiert, um ihre CardLink-App zu bewerben. Unterstützt von der Prominenz Günther Jauchs soll die App den Übergang zum E-Rezept erleichtern und möglichst viele Kunden binden. Doch hinter der glanzvollen Kampagne stehen tiefgreifende wirtschaftliche und strukturelle Herausforderungen.
Während Versandapotheken im Segment der freiverkäuflichen Medikamente (OTC) einen Marktanteil von etwa 25 Prozent erreicht haben, bleibt der Rx-Markt eine harte Nuss. Seit Jahren stagnieren die Marktanteile der Versender in diesem Bereich bei rund einem Prozent. Dieser geringe Anteil reicht nicht aus, um die hohen Betriebskosten und Investitionen in technische Lösungen zu decken. Das E-Rezept, das den Zugang zu verschreibungspflichtigen Medikamenten revolutionieren sollte, wurde lange als Schlüssel zur Marktöffnung angesehen. Optimistische Prognosen, wie die des DocMorris-CEOs Walter Heß, der einen Marktanteil von zehn Prozent angekündigt hatte, haben sich bisher nicht bewahrheitet.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Die Marktanteile im Rx-Bereich steigen nicht in dem erhofften Maße, und die Versandapotheken sind auffallend schweigsam, wenn es um aktuelle Ergebnisse geht. Wären die Erwartungen erfüllt worden, wäre dies sicherlich in großem Stil kommuniziert worden. Das Ausbleiben von Erfolgsmeldungen zeigt, dass die Einführung des E-Rezepts keine schnellen Marktverschiebungen bewirkt hat. Stattdessen kämpfen die Versender weiter um ihre wirtschaftliche Existenz.
Die hohen Werbeausgaben und Investitionen in digitale Infrastruktur wie Apps und Schnittstellen belasten die Finanzlage der Unternehmen erheblich. Das Geschäftsmodell, in der Hoffnung auf zukünftige Marktgewinne hohe Verluste zu akzeptieren, ist vor allem für etablierte Unternehmen wie DocMorris und Shop Apotheke problematisch. Investoren, die langfristige Gewinne erwarten, könnten zunehmend skeptisch werden, wenn der erhoffte Durchbruch ausbleibt.
Für Vor-Ort-Apotheken ergibt sich eine gemischte Perspektive. Einerseits profitieren sie von der starken Kundenbindung im Rx-Bereich, wo insbesondere ältere und chronisch kranke Patienten den persönlichen Kontakt und die Beratung schätzen. Andererseits bringt der Rückgang der Apothekenzahl in Deutschland zusätzliche Herausforderungen mit sich. Mit jeder Schließung einer Apotheke entsteht ein Marktvolumen, das neu verteilt werden muss. Zwar können viele stationäre Apotheken von dieser Umverteilung profitieren, doch begrenzte personelle und räumliche Kapazitäten setzen hier klare Grenzen.
Die kommenden Monate werden entscheidend sein. Der Erfolg oder Misserfolg des E-Rezepts wird nicht nur die Struktur des deutschen Apothekenmarktes beeinflussen, sondern auch die Frage klären, ob Versandapotheken langfristig eine relevante Rolle im Rx-Markt spielen können. Die traditionelle Apotheke vor Ort bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil der Gesundheitsversorgung, doch sie muss sich in einem zunehmend digitalisierten Umfeld behaupten.
Kommentar:
Die Entwicklung im Wettbewerb um das E-Rezept zeigt, wie stark sich die Gesundheitsbranche im digitalen Zeitalter wandelt. Versandapotheken investieren enorme Summen in Marketing und Technologie, um ihren Platz im Markt für verschreibungspflichtige Medikamente zu sichern. Doch bisher bleiben die erhofften Durchbrüche aus – eine Realität, die zeigt, dass Digitalisierung allein nicht ausreicht, um Marktanteile zu erobern. Der Patient steht weiterhin im Zentrum, und viele Patienten bevorzugen die Verlässlichkeit und Nähe der Vor-Ort-Apotheke.
Die massiven Werbekampagnen der Versandapotheken offenbaren nicht nur deren Ambitionen, sondern auch ihre Schwächen. Während sie im OTC-Markt erfolgreich sind, scheitert der Durchbruch im Rx-Segment an strukturellen und kulturellen Barrieren. Die deutsche Bevölkerung vertraut beim Kauf von verschreibungspflichtigen Medikamenten eher auf persönliche Beratung und lokale Verfügbarkeit als auf eine anonyme Bestellung über Apps. Diese Kundenbindung der stationären Apotheken ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil im Wettbewerb.
Für die Vor-Ort-Apotheken ergibt sich eine paradoxe Situation. Sie profitieren von der anhaltenden Zurückhaltung der Kunden gegenüber Versandlösungen im Rx-Bereich, stehen jedoch gleichzeitig unter Druck durch Fachkräftemangel, steigende Kosten und zunehmende Bürokratie. Auch die „Friedhofsdividende“ – Marktanteile, die durch Apothekenschließungen frei werden – birgt Risiken: Wenn zu viele Apotheken schließen, wird die flächendeckende Versorgung gefährdet, und der Markt könnte mittelfristig zugunsten der Versender kippen.
Die Politik ist nun gefordert, klare Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen fairen Wettbewerb ermöglichen und gleichzeitig die Versorgungssicherheit gewährleisten. Einseitige Subventionen oder Regularien zugunsten digitaler Lösungen könnten die bewährte Struktur des deutschen Apothekenwesens destabilisieren. Vielmehr braucht es eine kluge Verzahnung von Digitalisierung und lokaler Versorgung, bei der die Stärken beider Welten genutzt werden.
Das Rennen um das E-Rezept wird zeigen, welche Geschäftsmodelle langfristig tragfähig sind. Für die Patienten bleibt zu hoffen, dass Qualität und Zuverlässigkeit auch im digitalen Zeitalter nicht den Preis eines aggressiven Wettbewerbs zahlen müssen. Denn letztlich sollte nicht der größte Werbebudget, sondern die beste Versorgung die Zukunft des Apothekenmarktes bestimmen.
Von Engin Günder, Fachjournalist