Die Einführung des elektronischen Rezepts (E-Rezept) verändert die deutsche Apothekenlandschaft grundlegend und eröffnet Versandapotheken neue Möglichkeiten, sich im Markt zu etablieren. Mit millionenschweren Werbekampagnen setzen niederländische Versandriesen wie DocMorris und Shop Apotheke auf das sogenannte CardLink-Verfahren, um Marktanteile zu sichern und ihre Reichweite auf dem deutschen Markt zu erhöhen. Dies stellt die lokalen Apotheken vor eine massive Herausforderung, denn die Versandapotheken nehmen hohe Werbeausgaben und Verluste in Kauf, um möglichst viele Kundinnen und Kunden für sich zu gewinnen. Der strategische Fokus liegt darauf, die Kundschaft langfristig an die eigenen Online-Plattformen zu binden und eine alternative Struktur zur lokalen Versorgung zu etablieren.
Für die Vor-Ort-Apotheken bedeutet dies eine ernstzunehmende Konkurrenz, die das Potenzial hat, das traditionelle Versorgungssystem nachhaltig zu verändern. Allerdings ergeben sich für die stationären Apotheken auch Chancen: Sie sind nicht nur Vertriebspunkte für Medikamente, sondern bieten vor allem eine persönliche, individuelle Beratung, die vielen Menschen im digitalen Raum fehlt. Die Möglichkeit, Gesundheitsfragen im Gespräch direkt zu klären, stärkt die Patientenbindung und schafft ein Vertrauensverhältnis, das Online-Anbieter kaum bieten können. In einer Zeit, in der das E-Rezept noch vielen Menschen neu und unklar ist, werden die Vor-Ort-Apotheken zu wichtigen Anlaufstellen für Fragen zur Einlösung und Nutzung.
Ein wesentlicher Vorteil der stationären Apotheken ist die direkte Beratung. Patienten kommen häufig mit Fragen zu den neuen Einlösewegen, und hier können die Teams kompetent unterstützen – von der Beratung über die passende App bis hin zur praktischen Hilfe beim Einrichten der App auf dem Smartphone. Viele Apotheken haben inzwischen eigene digitale Lösungen entwickelt, um das E-Rezept schnell und sicher zu verarbeiten. Ein solcher Service, der persönliche Unterstützung einschließt, kann sich besonders langfristig auszahlen und bietet den Vor-Ort-Apotheken eine Möglichkeit, ihre Kundenbindung weiter zu stärken.
Auch weniger smartphone-affine Patientinnen und Patienten oder ältere Chroniker, die regelmäßig auf Medikamente angewiesen sind, können von den Apotheken gezielt angesprochen werden. Eine gezielte, gut kommunizierte Erklärung zur Nutzung des E-Rezepts sowie zur Verfügbarkeit der hauseigenen App kann gerade in dieser Patientengruppe große Akzeptanz finden und das Vertrauen in die Apotheke vor Ort weiter stärken. Der Service geht dabei über die reine Medikamentenausgabe hinaus: Die Apothekenteams unterstützen auch bei komplexen Gesundheitsfragen, überprüfen Wechselwirkungen und beraten zur Einnahme – Leistungen, die Versandapotheken im bisherigen Modell nicht leisten.
Um ihre Kundenbindung zu erhöhen, sind Apothekeninhaberinnen und -inhaber gefragt, ihre Teams zu schulen und klare Kommunikationsstrategien zu fördern. Gerade jetzt, wo der Werbedruck der Versandapotheken zunimmt, ist es wichtig, die eigenen Stärken zu betonen und sich auf den Wettbewerb einzulassen, ohne in Resignation zu verfallen. Das bedeutet auch, sich nicht von abfälligen Kommentaren im Internet verunsichern zu lassen: Zwar gibt es immer Stimmen, die den Online-Komfort hervorheben, doch zeigt sich häufig, dass viele Menschen den Wert der persönlichen Betreuung und die Sicherheit der lokalen Versorgung schätzen.
Im Wettbewerb um das E-Rezept geht es für die Vor-Ort-Apotheken daher um mehr als nur eine Umstellung auf neue Technologie. Es ist eine Chance, das eigene Profil zu schärfen und sich als unverzichtbarer Teil der Gesundheitsversorgung vor Ort zu positionieren. Wenn Apotheken die Digitalisierung gezielt nutzen und ihre Stärken im persönlichen Kontakt ausspielen, können sie auch in der E-Rezept-Zukunft eine Schlüsselrolle in der Gesundheitsversorgung spielen und langfristig ihre Kundenbindung sichern.
Kommentar:
Die momentane Dynamik im Apothekenmarkt zeigt: Mit dem E-Rezept rückt die Digitalisierung auch in das Gesundheitswesen vor und verändert die bisherige Struktur der Arzneimittelversorgung grundlegend. Doch während die niederländischen Versandapotheken mit massiven Werbeaufwendungen und verlockenden Online-Angeboten um Kunden werben, zeigt sich eine Frage immer deutlicher: Reicht die digitale Bequemlichkeit wirklich aus, um die persönliche Betreuung und den direkten Zugang zur Gesundheitsberatung zu ersetzen?
Die Versandapotheken versuchen, Kundinnen und Kunden durch vermeintliche Einfachheit und Schnelligkeit zu binden, doch der Verzicht auf persönliche Beratung kann weitreichende Folgen haben. Es sind die Vor-Ort-Apotheken, die täglich die spezifischen Fragen zu Wechselwirkungen, Anwendungshinweisen und Nebenwirkungen beantworten – Aspekte, die weit über den reinen Medikamentenkauf hinausgehen. Gerade chronisch kranke Menschen, die regelmäßig auf Arzneimittel angewiesen sind, wissen den direkten Austausch und die umfassende Beratung zu schätzen.
In dieser Hinsicht sind stationäre Apotheken unverzichtbar. Sie bieten einen niedrigschwelligen Zugang zur Gesundheitsberatung und schaffen Vertrauen durch Nähe und Kompetenz. Gerade in Zeiten des E-Rezepts sollte dies stärker genutzt werden. Apothekenteams können aktiv und sachlich über die Vorteile der lokalen Einlösung und die Möglichkeiten der hauseigenen App informieren, ohne sich von der Online-Konkurrenz einschüchtern zu lassen. Denn letztlich geht es nicht allein um die technischen Möglichkeiten des Rezepts, sondern um die Frage, wer den Patientinnen und Patienten langfristig verlässliche und persönliche Versorgung bietet.
Der Wettbewerb mit den Versandapotheken stellt für Vor-Ort-Apotheken zweifellos eine Herausforderung dar, doch er ist gleichzeitig auch eine Chance. Wenn Apotheken die Digitalisierung gezielt nutzen und ihre persönlichen Stärken in der Beratung hervorheben, können sie das Vertrauen ihrer Kundschaft nachhaltig sichern. Es wird sich zeigen, dass die persönliche Betreuung in einer digitalen Welt nicht an Wert verliert – im Gegenteil: Sie wird zum entscheidenden Alleinstellungsmerkmal, das den Unterschied macht.
Von Engin Günder, Fachjournalist