Die Apothekenlandschaft steht vor einem Umbruch, der durch tiefgreifende Veränderungen in Digitalisierung, Gesetzgebung und finanziellen Rahmenbedingungen geprägt ist. Während die Entwicklungen Chancen für Fortschritt und Modernisierung bieten, werden sie gleichermaßen zur Herausforderung für Apothekeninhaber und Angestellte. Die Einführung der elektronischen Patientenakte (EPA), neue Vorgaben zur Telemedizin, steigende Lohnkosten und verschärfte regulatorische Anforderungen prägen den Alltag der Branche.
Ein zentraler Meilenstein ist die Einführung der EPA, die alle gesetzlich Versicherten ohne Widerspruch ab 2025 erhalten. Sie soll Gesundheitsdaten zentral speichern und damit den Austausch zwischen Ärzten, Kliniken und Apotheken vereinfachen. Die Pilotphase startet in drei Modellregionen und wird bei erfolgreicher Umsetzung auf das gesamte Bundesgebiet ausgerollt. Für Apotheken besonders interessant ist die elektronische Medikationsliste (EML), die künftig alle abgegebenen E-Rezepte erfasst. Obwohl die EML eine erhebliche Erleichterung verspricht, ist sie zum Start leer und wird sich nur langsam füllen.
Parallel dazu ermöglicht das Digital-Gesetz Apotheken erstmals die Durchführung assistierter Telemedizin. Patientinnen und Patienten können sich in Apotheken bei telemedizinischen Konsultationen unterstützen lassen, etwa bei einfachen Routineaufgaben oder der Bedienung von medizinischen Geräten. Bis März 2025 sollen die Vergütungsmodelle für diese neuen Leistungen festgelegt werden. Dieser Schritt eröffnet Apotheken eine erweiterte Rolle in der ambulanten Versorgung, insbesondere in unterversorgten Regionen.
Gleichzeitig werden jedoch steigende Betriebskosten und regulatorische Anforderungen zu einer Belastungsprobe. Der Mindestlohn steigt auf 12,82 Euro, was kleine Apotheken besonders trifft. Tarifgebundene Mitarbeiter profitieren zudem von vereinbarten Lohnerhöhungen, die die Lohnkosten weiter erhöhen. Hinzu kommen steigende Krankenkassenbeiträge und die Verpflichtung zur Einführung der E-Rechnung, die Investitionen in technische Systeme und Mitarbeiterschulungen erforderlich macht.
Auch der CO₂-Preis steigt weiter an, was zu höheren Transportkosten führt, die von Großhändlern häufig auf Apotheken abgewälzt werden. Gleichzeitig fordert das Gesetz zur Barrierefreiheit Apothekenbetreiber auf, digitale Angebote inklusiv zu gestalten. Dies umfasst vor allem den Onlinehandel mit Arzneimitteln, wo neue Standards gesetzt werden.
Erleichterung verschaffen könnte die Anhebung der Umsatzgrenze für Kleinunternehmer, die es kleinen Apotheken ermöglicht, ohne Verlust ihres Status höhere Einnahmen zu erzielen. Auch digitale strukturierte Behandlungsprogramme für Diabetes bieten langfristig Potenzial, Apotheken stärker in die Versorgung chronisch Kranker einzubinden.
Die Apothekenbranche sieht sich somit in einem Spannungsfeld zwischen notwendigen Anpassungen und neuen Chancen. Wie erfolgreich Apotheken diese Herausforderungen meistern, wird maßgeblich davon abhängen, wie schnell und effizient sie sich auf die neuen Bedingungen einstellen.
Kommentar:
Die aktuellen Entwicklungen in der Apothekenbranche spiegeln eine grundlegende Umgestaltung des Gesundheitswesens wider. Auf den ersten Blick bieten die Neuerungen wie die EPA und die assistierte Telemedizin vielversprechende Möglichkeiten, Apotheken als unverzichtbare Anlaufstelle im Versorgungssystem zu etablieren. Doch der Weg dorthin ist steinig und von massiven Belastungen begleitet.
Die Einführung der EPA ist zweifellos ein Fortschritt, doch der praktische Nutzen wird maßgeblich davon abhängen, wie schnell und reibungslos die Systeme implementiert werden. Eine leere elektronische Medikationsliste zum Start ist wenig hilfreich und könnte anfänglich mehr Frust als Erleichterung bringen. Hier braucht es klare Kommunikation, gezielte Schulungen und kontinuierliche technische Unterstützung, um die EPA erfolgreich in den Apothekenalltag zu integrieren.
Die assistierte Telemedizin hingegen bietet die Chance, die Rolle der Apotheken in der Patientenversorgung zu stärken, insbesondere in ländlichen Gebieten. Doch auch hier steht der Erfolg in direktem Zusammenhang mit den Rahmenbedingungen: Eine faire Vergütung und praktikable Richtlinien sind unabdingbar, um diese Dienstleistungen wirtschaftlich tragfähig zu machen.
Die steigenden Lohn- und Betriebskosten hingegen gefährden vor allem kleinere Apotheken, die ohnehin mit knappen Margen arbeiten. Während die Anhebung des Mindestlohns sozialpolitisch gerechtfertigt ist, stellt sie eine zusätzliche finanzielle Belastung dar. Auch die Einführung der E-Rechnung birgt Risiken, da viele Apotheken nicht über die notwendige digitale Infrastruktur verfügen.
Dennoch zeigen die Entwicklungen auch Perspektiven auf. Die stärkere Integration digitaler Lösungen und die Anhebung der Kleinunternehmergrenze eröffnen Apotheken neue Möglichkeiten, sich am Markt zu behaupten. Es liegt nun an der Branche, diese Chancen zu nutzen und gleichzeitig politischen Druck aufzubauen, um faire Rahmenbedingungen einzufordern.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Apothekenbranche vor einem entscheidenden Wendepunkt steht. Die kommenden Jahre werden darüber entscheiden, ob Apotheken als tragende Säulen des Gesundheitssystems gestärkt aus diesem Wandel hervorgehen oder ob die Belastungen überwiegen. In jedem Fall erfordert diese Transformation Mut, Innovationsgeist und eine klare strategische Ausrichtung – sowohl auf betrieblicher als auch auf politischer Ebene.
Von Engin Günder, Fachjournalist