Die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) markiert einen Wendepunkt in der Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems. Geplant ist eine flächendeckende Einführung ab Januar 2025, die das Potenzial hat, die Effizienz und Sicherheit der medizinischen Versorgung zu revolutionieren. Jedoch offenbart eine kürzlich durchgeführte Umfrage der Stiftung Gesundheit beträchtliche Unsicherheiten und Wissenslücken unter den beteiligten Gesundheitsfachkräften, insbesondere bei niedergelassenen Ärzten und Apothekern.
Fast 50% der befragten Ärzte berichten von geringen bis keinen Vorkenntnissen in Bezug auf die Handhabung der ePA. Nur eine kleine Minderheit von 9% fühlt sich in ihrer Nutzung sicher. Zusätzliche 42,5% haben zwar Grundkenntnisse, aber keine ausreichende Sicherheit im Umgang mit der Technologie. Diese Zahlen sind besonders besorgniserregend, da sie auf eine mögliche Hürde in der effektiven Nutzung der ePA hinweisen, selbst wenn diese flächendeckend verfügbar gemacht wird.
Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei den Apothekern ab. In den Modellregionen, in denen die Nutzung der ePA ab 2025 verpflichtend wird, fühlen sich 46,9% der Apotheker unzureichend vorbereitet, und nur 6,3% sind mit den Funktionen und Möglichkeiten der ePA vertraut. Diese Daten suggerieren, dass umfangreiche Schulungs- und Informationskampagnen notwendig sind, um die Akzeptanz und den kompetenten Umgang mit der ePA zu fördern.
Trotz dieser Herausforderungen gibt es auch deutliche Anzeichen von Optimismus. Viele Fachkräfte sehen in der schnellen Verfügbarkeit von Patienteninformationen einen entscheidenden Vorteil, der die Behandlungseffizienz und Patientensicherheit erheblich verbessern könnte. Apotheker insbesondere bewerten den Nutzen der ePA positiver als Ärzte und erkennen in der digitalen Verfügbarkeit von Patientendaten eine Chance zur Optimierung ihrer pharmazeutischen Dienstleistungen.
Diese gemischte Landschaft aus Herausforderungen und Chancen zeigt, wie kritisch es ist, dass alle Beteiligten — von den Gesundheitsbehörden bis zu den einzelnen Praxen und Apotheken — zusammenarbeiten, um die technologischen, rechtlichen und bildungsbezogenen Barrieren zu überwinden. Eine erfolgreiche Implementierung der ePA erfordert nicht nur technologische Infrastrukturen, sondern auch eine kulturelle Anpassung innerhalb der medizinischen Gemeinschaft.
Kommentar:
Die elektronische Patientenakte steht symbolisch für den Fortschritt und die Modernisierung des Gesundheitssystems, birgt jedoch gleichzeitig eine Vielzahl von Herausforderungen, die adressiert werden müssen, bevor ihr volles Potenzial realisiert werden kann. Die Umfrageergebnisse unterstreichen die dringende Notwendigkeit, Bildungs- und Informationsdefizite unter den Gesundheitsfachkräften zu schließen. Ohne ein fundiertes Verständnis und Vertrauen in die Technologie könnten die Vorteile der ePA nicht vollständig genutzt werden, was zu Frustration und Ablehnung führen könnte.
Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass umfassende Schulungsprogramme entwickelt und angeboten werden, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Bedenken von Ärzten und Apothekern zugeschnitten sind. Diese Programme sollten nicht nur technische Fähigkeiten vermitteln, sondern auch auf die ethischen, rechtlichen und praktischen Fragen eingehen, die mit der Nutzung der ePA verbunden sind. Darüber hinaus muss der Datenschutz im Zentrum aller Diskussionen und Schulungen stehen, um das Vertrauen der Fachkräfte und der Patienten zu stärken.
Nur durch eine ganzheitliche Herangehensweise, die sowohl die technologischen als auch die menschlichen Aspekte der ePA berücksichtigt, kann die elektronische Patientenakte ihre Versprechen einlösen und zu einer wahrhaft transformationalen Ressource im deutschen Gesundheitswesen werden. Die nächsten Jahre werden entscheidend sein, um die Weichen für eine erfolgreiche Implementierung zu stellen und ein System zu schaffen, das nicht nur effizient, sondern auch inklusiv, sicher und respektvoll gegenüber den Daten und Rechten der Patienten ist.
Von Engin Günder, Fachjournalist