In der letzten Impfsaison haben öffentliche Apotheken in Deutschland über 200.000 Impfungen gegen Grippe und Covid-19 durchgeführt, wie die neuesten Abrechnungsdaten des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts (DAPI) zeigen. Dies spiegelt eine wachsende Anerkennung der Apotheken als wichtige Anlaufstelle für Schutzimpfungen wider. Seit der im Oktober 2022 in Kraft getretenen Regelung dürfen Apotheken Impfungen verabreichen, was eine erhebliche Erleichterung für Menschen darstellt, die sich zeitnah und ohne langes Warten impfen lassen möchten. Besonders in ländlichen Gebieten, wo Arztpraxen möglicherweise schwerer erreichbar sind, bieten Apotheken eine zugängliche Alternative und unterstützen so die allgemeine Impfquote. Durch diese niedrigschwelligen Angebote in direkter Nähe zum Wohnort tragen Apotheken erheblich zur Entlastung des Gesundheitssystems bei und verbessern den Impfschutz in der Bevölkerung.
Mit der fortschreitenden Grippewelle wird die Relevanz dieser Maßnahmen besonders für Risikogruppen wie Kinder und ältere Menschen deutlich. Grippekomplikationen werden oft unterschätzt, insbesondere da die Symptome von Jahr zu Jahr variieren können. Dr. Ulrich Enzel, ein Kinder- und Jugendarzt aus Baden-Württemberg, erklärt, dass atypische Symptome wie Durchfall und Bauchschmerzen bei Kindern auftreten können und oft ernsthafte Erkrankungen signalisieren. Diese Symptome werden häufig fehlinterpretiert und mit harmloseren Magen-Darm-Infektionen verwechselt, was eine rechtzeitige Diagnose erschwert. Bei älteren Menschen kann eine Influenza durch altersbedingte Abwehrschwächen schnell lebensgefährlich werden. Apotheken, die Impfungen anbieten, leisten hier einen wichtigen präventiven Beitrag, indem sie den Zugang zu Impfungen erleichtern und besonders gefährdete Personen direkt erreichen.
Parallel dazu steht das Gesundheitswesen jedoch vor neuen ökologischen Herausforderungen. Eine Studie der Universität Tübingen und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) zeigt, dass der Klimawandel die Mobilisierung von Schwermetallen wie Cadmium in landwirtschaftlich genutzten Böden beschleunigen könnte. Erhöhte Temperaturen und häufigere Starkregenfälle fördern die Auswaschung dieses giftigen Metalls, das über die Nahrungskette in den menschlichen Körper gelangen kann. Dies stellt nicht nur eine Bedrohung für die Bodengesundheit dar, sondern auch für die Nahrungsmittelsicherheit, insbesondere in Anbaugebieten, die empfindlich auf Umweltveränderungen reagieren. Wenn Cadmium stärker in die Nahrungsmittelproduktion gelangt, könnten Gesundheitsschäden wie Nierenschäden und Knochenbrüche zunehmen. Apotheken könnten sich hier als Berater etablieren, indem sie Aufklärung über gesundheitliche Risiken durch Umweltgifte leisten und entsprechende Präventionsmaßnahmen unterstützen.
Währenddessen schreitet die Digitalisierung im Gesundheitswesen voran. Die Plattform »ihreapotheken.de« (ia.de) startet eine Kampagne zur Förderung der digitalen Einlösung von E-Rezepten in lokalen Apotheken. Mit dem sogenannten Card-Link-Verfahren haben Patienten die Möglichkeit, ihre E-Rezepte digital zu verwalten und direkt in der Apotheke vor Ort einzulösen. Dies vereinfacht nicht nur den Ablauf für die Kunden, sondern stärkt auch die Position der Vor-Ort-Apotheken im Wettbewerb gegen große Versandapotheken. Insbesondere ältere Patienten, die möglicherweise weniger technikaffin sind, profitieren von diesem Ansatz, da er den digitalen Prozess mit persönlichem Service kombiniert. Die neue Kampagne setzt somit einen wichtigen Akzent in Richtung einer zukunftsfähigen Apotheke, die digitale Angebote und persönliche Betreuung optimal verbindet.
Auf internationaler Ebene zeigt Kanada, wie Länder durch strategische Maßnahmen Medikamentenengpässen entgegenwirken können. Eine aktuelle Studie im Fachjournal »JAMA« hebt hervor, dass Kanada durch die systematische Kooperation auf provinzieller Ebene in der Lage ist, die Arzneimittelversorgung auch bei globalen Lieferengpässen sicherzustellen. Durch die gezielte Zusammenarbeit und Verteilung der Verantwortung zwischen Bund und Provinzen können Arzneimittelengpässe schneller erkannt und effizienter bewältigt werden. Für die USA könnte dieses Modell als Orientierung dienen, wie man bestehende Versorgungsprobleme im Pharmabereich angehen könnte, um eine stabile Versorgung mit Medikamenten zu gewährleisten.
In Deutschland sorgte das Biotechnologieunternehmen Biontech jüngst für positive Schlagzeilen. Das Unternehmen erzielte im dritten Quartal einen Gewinn von 198,1 Millionen Euro, was vor allem auf den Erfolg angepasster Covid-19-Impfstoffe sowie auf Fortschritte in der Krebsforschung zurückzuführen ist. Mit der Entwicklung innovativer Krebstherapien positioniert sich Biontech als führendes Unternehmen nicht nur in der Pandemie-Bekämpfung, sondern auch in der Onkologie. Die jüngsten Erfolge könnten Biontech den Weg zu weiteren medizinischen Durchbrüchen ebnen und unterstreichen die zunehmende Bedeutung der Biotechnologie im Gesundheitssektor.
Dennoch stehen deutsche Apotheken weiterhin vor regulatorischen Herausforderungen, insbesondere im Wettbewerb mit EU-Versandapotheken. Die Paritätische Stelle gerät hier zunehmend in die Kritik, da sie gegen die Preisrabatte der Versandapotheken wie DocMorris und Shop Apotheke bei verschreibungspflichtigen Medikamenten nicht aktiv vorgeht. Diese Rabatte stehen im Widerspruch zur Preisbindung, die seit Dezember 2020 gilt und verhindern soll, dass Preiswettbewerb bei rezeptpflichtigen Medikamenten den stationären Apothekenmarkt untergräbt. Ohne strengere Durchsetzung dieser Regelungen sehen sich deutsche Apotheken ungleich behandelt, was ihre Existenz in einem ohnehin angespannten Marktumfeld weiter gefährdet.
Auch in Bezug auf das neue Immunserum Beyfortus (Nirsevimab), das Säuglinge und Kleinkinder vor schweren RSV-Infektionen schützt, sind Apotheken mit Herausforderungen konfrontiert. Anders als klassische Impfstoffe unterliegt Beyfortus in verschiedenen Bundesländern unterschiedlichen Verordnungsregelungen, was zu Unsicherheiten in der Anwendung und Beratung führt. Diese Unterschiede erschweren eine einheitliche Handhabung und zeigen die Notwendigkeit einer klaren und verbindlichen Richtlinie, die sowohl Apotheken als auch Ärzten eine verlässliche Orientierung bietet.
In der Digitalisierung des Gesundheitssektors investiert auch das Unternehmen Redcare massiv. Die Einführung des E-Rezepts wird mit intensiven Marketingmaßnahmen gefördert, was jedoch im dritten Quartal zu einem Verlust von über 20 Millionen Euro führte. Redcare betrachtet die Ausgaben jedoch als strategische Investition und hält langfristig an seinem Plan fest, durch eine Vorreiterrolle im digitalen Apothekenmarkt Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Langfristig könnte Redcare dadurch eine dominierende Stellung im Bereich der digitalen Rezepte einnehmen.
Angesichts der neuen Dienstleistungen, die Apotheken anbieten, stehen viele Betreiber vor der Aufgabe, ihren Versicherungsschutz anzupassen. Die Erweiterung des Impfangebots um Impfungen gegen Krankheiten wie Polio, FSME, Tetanus und Diphtherie birgt finanzielle und rechtliche Risiken, insbesondere im Falle von Nebenwirkungen oder unerwarteten Komplikationen. Eine umfassende Versicherungspolice, die auf die spezifischen Anforderungen der Apotheken abgestimmt ist, könnte diesen Risiken entgegenwirken und das Vertrauen der Patienten in das Impfangebot der Apotheken stärken.
Kommentar:
Die rasante Transformation, die Apotheken derzeit erleben, zeigt, wie entscheidend Flexibilität und Anpassungsfähigkeit im Gesundheitssektor geworden sind. Von Impfangeboten über digitale E-Rezepte bis hin zur umfassenden Beratung in Umweltfragen: Apotheken nehmen zunehmend eine zentrale Rolle ein, die über die klassische Arzneimittelabgabe hinausgeht. Dass Apotheken über 200.000 Grippe- und Covid-19-Impfungen in einer Saison durchgeführt haben, spricht für die Akzeptanz und das Vertrauen der Bevölkerung in diese niederschwelligen Angebote. Es zeigt zugleich, wie Apotheken durch diese Dienstleistungen das Gesundheitssystem nachhaltig entlasten und für Patientengruppen zugänglich machen können, die möglicherweise aufgrund der Überlastung der Arztpraxen länger auf einen Termin warten müssten.
Doch mit jeder neuen Dienstleistung entstehen auch neue Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf regulatorische und versicherungstechnische Anforderungen. Die Einführung des E-Rezepts stellt ein ambitioniertes Vorhaben dar, das die Interaktion zwischen Patienten und Apotheken verändern könnte, besonders wenn Plattformen wie »ihreapotheken.de« innovative Verfahren zur digitalen Einlösung etablieren. Diese Neuerungen bergen das Potenzial, Vor-Ort-Apotheken im Wettbewerb mit Versandapotheken zu stärken und gleichzeitig digitale Prozesse effizienter zu gestalten.
Dass Apotheken jedoch noch mit ungleichen Wettbewerbsbedingungen zu kämpfen haben, zeigt das Beispiel der Rabatte von EU-Versandapotheken. Die Paritätische Stelle steht in der Verantwortung, gleiche Bedingungen für alle Akteure sicherzustellen. Andernfalls laufen stationäre Apotheken Gefahr, von ausländischen Versandhändlern verdrängt zu werden, die die Preisbindung umgehen und so einen unfairen Wettbewerbsvorteil genießen. Hier ist ein dringender Handlungsbedarf gefordert, um den Fortbestand und die wirtschaftliche Stabilität der Apotheken zu gewährleisten.
Ebenso zeigt der Umgang mit dem Cadmium-Risiko durch den Klimawandel, wie vielfältig die Aufgaben der Apotheken sein könnten, wenn sie eine beratende Rolle in Umwelt- und Gesundheitsfragen übernehmen. Apotheken könnten hier verstärkt zur Prävention beitragen, indem sie ihre Patienten über die Risiken kontaminierter Lebensmittel informieren und Empfehlungen für eine gesunde Lebensweise aussprechen. Dieser Beratungsansatz würde die Position der Apotheken als Gesundheitszentren in der Gesellschaft weiter festigen.
Insgesamt steht die Branche vor einem strukturellen Wandel, der sie zukunftsfähig machen kann, wenn regulatorische Hürden überwunden werden und der Versicherungsschutz auf die erweiterten Dienstleistungsangebote abgestimmt ist. Apotheken, die sich diesen Herausforderungen stellen, können langfristig als unverzichtbare Gesundheitspartner bestehen und den wachsenden Anforderungen einer digitalisierten und ökologisch sensiblen Gesellschaft gerecht werden.
Von Engin Günder, Fachjournalist