Die Apothekenlandschaft in Deutschland steht vor tiefgreifenden Veränderungen und erheblichen Herausforderungen, die nicht nur die wirtschaftliche Stabilität der Apotheken bedrohen, sondern auch grundlegende Fragen zur Rolle der Apotheken im deutschen Gesundheitssystem aufwerfen. Beim diesjährigen Deutschen Apothekertag (DAT), der Anfang Oktober in München stattfand, wurde dies deutlich. Die Debatten über das Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) haben sich in den letzten Jahren festgefahren, und während viele Apotheken eine Erhöhung des Fixums fordern, um ihre wirtschaftliche Lage zu stabilisieren, gibt es auch zunehmend Stimmen, die eine radikalere Umstrukturierung des gesamten Vergütungssystems fordern. Ulrich Geltinger, Inhaber der St. Johannes-Apotheke im bayerischen Neumarkt-Sankt Veit, ist einer der prominentesten Vertreter dieser alternativen Ansätze. Seiner Meinung nach reicht eine bloße Anhebung des Fixums nicht aus, um die Apotheken dauerhaft zu sichern. Vielmehr müsse der Fokus stärker auf gemeinwohlorientierten Leistungen liegen. Apotheken sollten für zusätzliche Aufgaben wie die Beratung, Prävention und Aufklärung über Medikamente sowie für ihren Beitrag zur Entlastung des Gesundheitssystems angemessen vergütet werden.
Geltinger und andere Apotheker argumentieren, dass Apotheken zunehmend eine zentrale Rolle im Gesundheitswesen spielen, insbesondere in ländlichen Regionen, wo der Zugang zu medizinischer Versorgung oft begrenzt ist. Dennoch werden diese Leistungen derzeit nicht ausreichend entlohnt. Statt sich auf eine Fixumsanhebung zu konzentrieren, die lediglich eine kurzfristige finanzielle Entlastung bringen würde, müsse die Politik langfristige Lösungen entwickeln, die die Apotheken als essenzielle Akteure im Gesundheitssystem positionieren. Das bedeutet auch, dass Apotheken verstärkt als Partner im Bereich der Prävention und Früherkennung von Krankheiten angesehen werden sollten, beispielsweise durch regelmäßige Gesundheitschecks und Beratungsgespräche.
Parallel dazu sehen sich die Apotheken mit steigenden Betriebskosten und stagnierenden Einnahmen konfrontiert, was viele Betreiber unter massiven Druck setzt. Der Optimierungsbedarf ist hoch, und in diesem Zusammenhang rückt die Senkung der Versicherungskosten verstärkt in den Fokus. Apotheken haben in der Regel eine Vielzahl von Versicherungen abgeschlossen, um sich gegen die unterschiedlichen Risiken abzusichern, denen sie ausgesetzt sind – von Diebstahl und Haftungsfragen bis hin zu Cyberangriffen, die angesichts der zunehmenden Digitalisierung eine immer größere Bedrohung darstellen. Ein gezielter Abgleich der bestehenden Versicherungsverträge und die Reduktion überflüssiger Leistungen könnten erhebliche Einsparpotenziale bieten, ohne dabei den notwendigen Schutz zu gefährden. Doch eine Reduzierung der Versicherungsprämien sollte nicht vorschnell vorgenommen werden, da Apotheken durch vielfältige Risiken erheblichen finanziellen Schäden ausgesetzt sein können. Es ist entscheidend, den Versicherungsschutz zu optimieren, aber nicht zu reduzieren.
Ein weiteres drängendes Thema ist die Apothekenreform, die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bereits angekündigt, aber bislang nicht konkretisiert wurde. Beim DAT signalisierte Lauterbach, dass er in Kürze einen neuen Vorschlag zur Apothekenreform vorlegen werde, der insbesondere die Telepharmazie in den Vordergrund rückt. Dieses Konzept soll vor allem in ländlichen Regionen, wo der Zugang zu Apotheken oft eingeschränkt ist, eine Entlastung bringen und es Patienten ermöglichen, pharmazeutische Dienstleistungen digital in Anspruch zu nehmen. Die Telepharmazie könnte eine sinnvolle Ergänzung zum bestehenden Apothekensystem darstellen, doch es gibt auch erhebliche Bedenken, dass sie die traditionellen Vor-Ort-Apotheken gefährden könnte, vor allem wenn diese neue Form der Versorgung nicht sinnvoll in das bestehende System integriert wird. Viele Apotheker warten daher gespannt auf konkrete Vorschläge und befürchten, dass die Digitalisierung allein keine Lösung für die finanziellen Probleme der Apotheken darstellt.
Während die politischen Diskussionen anhalten, wächst die Bereitschaft der Bevölkerung, Apotheken mehr Verantwortung im Gesundheitssystem zu übertragen. Eine aktuelle Studie des Stada Health Reports 2024 zeigt, dass fast ein Drittel der Deutschen zusätzliche Gesundheitsleistungen wie Hör- und Sehtests in Apotheken begrüßen würden. Solche Maßnahmen könnten dazu beitragen, Arztpraxen zu entlasten und den Zugang zu diagnostischen Diensten zu erleichtern. Doch auch hier stellt sich die Frage der Finanzierung: Wie können Apotheken für diese zusätzlichen Aufgaben angemessen entlohnt werden? In Europa zeigt sich ein ähnlicher Trend, und in vielen Ländern wird die Rolle der Apotheken im Gesundheitssystem bereits ausgeweitet. In Deutschland jedoch bleibt abzuwarten, inwiefern die Politik diesen Entwicklungen folgen wird.
Eine besondere Herausforderung stellt die Versorgung der ländlichen Regionen dar. In den Sondierungspapieren der Koalitionsverhandlungen in Thüringen wird die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in ländlichen Gebieten als zentrales Thema behandelt. Es wird angestrebt, dass Patienten innerhalb von 20 Minuten Zugang zu ärztlicher Versorgung haben sollen. Apotheken werden in diesen Überlegungen jedoch kaum erwähnt, obwohl sie oft die erste Anlaufstelle für Patienten in ländlichen Regionen sind, insbesondere in Notfällen. Hier zeigt sich ein eklatantes Versäumnis in der politischen Planung, denn die Rolle der Apotheken in der Grundversorgung der Bevölkerung wird in der öffentlichen Debatte häufig unterschätzt.
Auch auf wissenschaftlicher Ebene gibt es wichtige Entwicklungen, die die Arbeit der Apotheken beeinflussen. Kürzlich wurde eine neue Vorschrift für die Herstellung von Silbernitrat-Lösungen eingeführt, die zur Prophylaxe von Pseudomonas-Infektionen auf Brandwunden eingesetzt werden. Anstelle von Kaliumnitrat wird künftig Glycerol 85 Prozent als Isotonisierungsmittel verwendet, wie in der aktualisierten NRF-Vorschrift festgelegt. Diese Änderung erfordert von Apotheken, sich mit den neuen Herstellungsmethoden vertraut zu machen und sicherzustellen, dass sie weiterhin qualitativ hochwertige Produkte anbieten.
Die zunehmende Digitalisierung des Gesundheitswesens hat auch das E-Rezept in den Fokus gerückt. Doch obwohl das E-Rezept als großer Fortschritt angesehen wird, gibt es nach wie vor Unsicherheiten bei der praktischen Handhabung. Insbesondere dann, wenn die verordnende und die signierende Person auf dem Rezept voneinander abweichen, herrschte bislang Unklarheit darüber, wie Apotheken in solchen Fällen vorgehen sollten. Nun wurde jedoch klargestellt, dass Apotheken auch in diesen Fällen bedenkenlos liefern dürfen, was die Handhabung in der Praxis deutlich vereinfacht.
Ein weiteres wichtiges Thema sind Re- und Parallelimporte, die zunehmend an Bedeutung gewinnen. Diese Importe tragen erheblich dazu bei, die Arzneimittelkosten in Deutschland zu senken, indem sie von Preisunterschieden innerhalb der Europäischen Union profitieren. Apotheker müssen sich jedoch der Herausforderungen bewusst sein, die mit diesen Importen einhergehen, insbesondere in Bezug auf die Sicherstellung der Qualität und die Einhaltung der Vorschriften.
Darüber hinaus gab es kürzlich einen Rückruf des Medikaments ACC akut 600 mg der Firma Hexal. Eine Charge musste aufgrund von Produktionsmängeln zurückgerufen werden, nachdem festgestellt wurde, dass es bei den Sachets zu Undichtigkeiten gekommen war. Dies zeigt, wie wichtig es ist, dass Apotheken jederzeit flexibel auf solche Situationen reagieren können, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen.
In der medizinischen Forschung gibt es ebenfalls vielversprechende Fortschritte. Ein neuer Impfstoff gegen das Middle East Respiratory Syndrome (MERS) hat in klinischen Studien Erfolge erzielt. MERS, eine Krankheit, die vor allem im Nahen Osten verbreitet ist, stellt aufgrund ihrer hohen Sterblichkeitsrate nach wie vor eine erhebliche Bedrohung dar. Die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs wäre ein wichtiger Schritt im Kampf gegen diese gefährliche Krankheit.
Der Kommentar zu den aktuellen Entwicklungen in der Apothekenlandschaft muss die Komplexität und Vielschichtigkeit der Situation betonen. Eine bloße Anhebung des Fixums mag kurzfristig helfen, wird jedoch langfristig nicht ausreichen, um die Apotheken nachhaltig zu stabilisieren. Vielmehr bedarf es eines grundsätzlichen Umdenkens in der Vergütung von Apothekenleistungen. Apotheken sollten als wesentliche Säulen im Gesundheitssystem betrachtet und für ihre gemeinwohlorientierten Leistungen angemessen entlohnt werden. Die Erweiterung der Apothekenleistungen, insbesondere im Bereich der Prävention und Gesundheitsberatung, bietet eine große Chance, die Rolle der Apotheken zu stärken. Gleichzeitig muss die Politik sicherstellen, dass Apotheken in ländlichen Gebieten nicht vernachlässigt werden, denn sie spielen eine zentrale Rolle in der medizinischen Grundversorgung.
Die Digitalisierung bringt sowohl Chancen als auch Risiken mit sich. Während die Telepharmazie in bestimmten Regionen sinnvoll sein kann, darf sie nicht auf Kosten der traditionellen Apotheken gehen. Es ist entscheidend, dass die neuen Technologien sinnvoll in das bestehende System integriert werden und die Apotheken auch wirtschaftlich davon profitieren. Schließlich bleibt zu betonen, dass die Optimierung der Versicherungskosten ein wichtiger Schritt ist, um Apotheken finanziell zu entlasten, doch dies sollte stets mit Bedacht und unter Berücksichtigung der vielfältigen Risiken erfolgen, denen Apotheken ausgesetzt sind. Die Zukunft der Apotheken hängt von der Fähigkeit ab, sich diesen Herausforderungen anzupassen und die neuen Möglichkeiten, die sich bieten, proaktiv zu nutzen.
Von Engin Günder, Fachjournalist