Seit Anfang des Jahres befindet sich die deutsche Apothekenlandschaft in einem Zustand des regulatorischen Umbruchs. Die Aufhebung der Hilfstaxe, die zuvor die anteilige Abrechnung von Rezepturen erlaubte, zwingt Apotheken nun zur vollständigen Abrechnung von Packungen. Diese Änderung, eingeführt durch die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), hat weitreichende Implikationen für die finanziellen Interaktionen zwischen Apotheken und Krankenkassen.
Die neue Regelung sieht vor, dass Apotheken bei der Abrechnung von Rezepturen ausschließlich "übliche Abpackungen" oder die "erforderliche Packungsgröße" berechnen. Diese Anpassung bedeutet eine signifikante Abkehr von der bisherigen Praxis, die eine flexiblere Handhabung in der Abrechnung erlaubte. Mit dem Wegfall der Hilfstaxe stehen Apotheken vor der Herausforderung, sich in einem System zurechtzufinden, das weniger Spielraum für individuelle Abrechnungsentscheidungen bietet.
Die Umstellung hat zu einem Anstieg der Retaxationen geführt, einem Prozess, bei dem Krankenkassen die Erstattungen für abgerechnete Rezepte nachträglich anpassen oder kürzen. Die Krankenkassen fordern im Zuge dieser Retaxationen häufig die Vorlage von Dokumenten wie Einkaufsbelege und Herstellungsprotokolle, um die Preisgestaltung zu überprüfen. Diese Anforderungen, die oft als übermäßig und unbegründet empfunden werden, haben bei vielen Apothekern für Unmut gesorgt, da keine gesetzliche Pflicht zur Offenlegung dieser Unterlagen besteht.
Als Reaktion auf die unklaren und als ungerecht empfundenen Forderungen der Krankenkassen haben der Deutsche Apothekerverband (DAV) und regionale Apothekerverbände Mustereinsprüche entwickelt. Diese rechtlichen Werkzeuge sollen Apotheken dabei unterstützen, sich gegen unberechtigte Retaxationsforderungen zur Wehr zu setzen. Die Mustereinsprüche klären die rechtliche Lage: Sie argumentieren, dass bei standardmäßig gelisteten Substanzen, deren Preise eindeutig im ABDA-Artikelstamm verzeichnet sind, keine Auskunftspflicht über die Preisgestaltung besteht, es sei denn, es gibt ernstzunehmende Hinweise auf eine Fehlabrechnung. Für nicht im Artikelstamm gelistete Substanzen müssen Apotheken den tatsächlichen Herstellerpreis zugrunde legen, was jedoch transparent und nachvollziehbar gestaltet sein sollte.
Kommentar:
Die derzeitige Situation um die Retaxationen wirft ein Schlaglicht auf die grundlegenden Spannungen zwischen den gesetzlichen Anforderungen und der praktischen Apothekenarbeit. Während die Intention hinter der neuen Arzneimittelpreisverordnung – die Standardisierung der Abrechnungspraktiken und die Verhinderung von Missbrauch – lobenswert ist, scheint die Umsetzung in der Praxis zu einer Reihe von unbeabsichtigten und belastenden Konsequenzen für Apotheker zu führen.
Die Forderung nach umfangreicher Dokumentation und die Praxis der Retaxationen ohne klare rechtliche Grundlage stellen nicht nur eine finanzielle Belastung für die Apotheken dar, sondern gefährden auch das Vertrauen zwischen Apothekern, Patienten und Krankenkassen. Dies untergräbt die Effizienz des Gesundheitssystems und führt zu einer Atmosphäre der Unsicherheit und des Misstrauens, die dem Gesundheitswesen insgesamt schadet.
Die Rolle der Apothekerverbände, die Mustereinsprüche zu entwickeln und den Apotheken rechtliche Werkzeuge an die Hand zu geben, ist in diesem Kontext als äußerst positiv zu bewerten. Diese Unterstützung ist entscheidend, um die Rechte der Apotheken zu sichern und eine faire Abrechnungspraxis zu gewährleisten. Langfristig wäre es jedoch wünschenswert, dass der Gesetzgeber die Regelungen überarbeitet und eine faire, transparente und praktikable Lösung findet, die sowohl den Bedürfnissen der Apotheken als auch den Anforderungen der Krankenkassen gerecht wird. Die aktuellen Herausforderungen sollten als Chance genutzt werden, um das System der Arzneimittelversorgung in Deutschland zu stärken und weiterzuentwickeln, sodass es den modernen Anforderungen an ein effektives und gerechtes Gesundheitssystem entspricht.
Von Engin Günder, Fachjournalist