Das Jahr 2024 markiert für die Apotheken in Deutschland ein Jahr der Bewährungsprobe. Eine Kombination aus rechtlichen Entscheidungen, tiefgreifenden wirtschaftlichen Herausforderungen und der Diskussion um eine weitreichende Reform der Apothekenstruktur hat die Branche in eine Lage manövriert, die sowohl ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit als auch ihre Rolle im deutschen Gesundheitssystem auf die Probe stellt.
Die Apotheken stehen vor einer doppelten Herausforderung: Zum einen hat das Urteil des Bundesgerichtshofs Anfang Februar 2024 die finanziellen Spielräume stark eingeschränkt, indem es Apotheken verbot, Skonti auf den festen Großhandelszuschlag anzurechnen. Diese Entscheidung eliminierte eine wesentliche Einnahmequelle und fügte den ohnehin schon dünnen Gewinnmargen weiteren Druck hinzu. Zum anderen erschüttert die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorgeschlagene Apothekenreform die traditionelle Vergütungsstruktur. Die Reform zielt darauf ab, den prozentualen Zuschlag für verschreibungspflichtige Medikamente zu senken und gleichzeitig den Festzuschlag zu erhöhen, was bei vielen Apothekern Besorgnis über zukünftige Einkommenspotenziale weckt.
Diese Unsicherheiten werden durch neue Tarifverträge verschärft, die im Sommer 2024 in Kraft traten und die Arbeitsbedingungen der Angestellten in Apotheken signifikant veränderten, indem sie unter anderem die wöchentliche Arbeitszeit reduzierten, ohne die Gehälter entsprechend anzupassen. Diese Maßnahmen erhöhen den finanziellen Druck auf Apothekenbesitzer, die bereits mit sinkenden Umsätzen zu kämpfen haben.
Die Folge dieser Entwicklungen ist eine Welle von Apothekenschließungen, die sowohl in urbanen Zentren als auch in ländlichen Regionen zu spüren ist. Die Schließungen bedrohen nicht nur die Existenzgrundlage vieler Apotheker, sondern auch die medizinische Versorgung in unterversorgten Gebieten. Gleichzeitig stellt die Reformdebatte die Apotheker vor die schwierige Aufgabe, sich an eine sich wandelnde regulatorische und wirtschaftliche Landschaft anzupassen, die zunehmend von großen Ketten und Online-Anbietern dominiert wird.
Inmitten dieser Turbulenzen suchen viele Apotheker nach Wegen, ihre Geschäftsmodelle zu diversifizieren und innovative Dienstleistungen anzubieten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Diskussionen um die Reform haben jedoch auch gezeigt, dass es einen dringenden Bedarf an einer stärkeren Unterstützung und Anerkennung der Rolle von Apotheken im Gesundheitssystem gibt, insbesondere in Bezug auf ihre Fähigkeit, präventive Gesundheitsdienste und Beratungen anzubieten.
Kommentar:
Die deutsche Apothekenlandschaft steht an einem kritischen Punkt. Die aktuellen Herausforderungen, mit denen sich Apothekenbetreiber konfrontiert sehen, sind nicht nur ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sondern auch ein Indikator für die Notwendigkeit tiefgreifender struktureller Veränderungen innerhalb der Branche.
Es ist offensichtlich, dass die traditionelle Rolle der Apotheken als bloße Verkaufsstellen für Medikamente einem Wandel unterzogen werden muss. Angesichts der zunehmenden Digitalisierung und der steigenden Erwartungen an kundenzentrierte Dienstleistungen müssen Apotheken mehr bieten, um relevant zu bleiben. Dies beinhaltet nicht nur die Expansion in Bereiche wie präventive Gesundheitsberatung und die Verwaltung chronischer Erkrankungen, sondern auch eine stärkere Integration in digitale Gesundheitsplattformen, die Patienten eine umfassendere Betreuung bieten.
Die von Minister Lauterbach vorgeschlagenen Reformen könnten eine Chance bieten, den Sektor neu zu gestalten, jedoch nur, wenn sie in enger Zusammenarbeit mit Apothekern entwickelt werden, um sicherzustellen, dass sie realistisch und umsetzbar sind. Eine Reform, die lediglich die Kostenstruktur ohne Berücksichtigung der qualitativen Beiträge der Apotheken zum Gesundheitssystem neu ordnet, könnte mehr Schaden als Nutzen verursachen.
Darüber hinaus ist es entscheidend, dass politische Entscheidungsträger die Apotheken als integralen Bestandteil des Gesundheitswesens anerkennen und unterstützen. Dies bedeutet auch, finanzielle Anreize für die Bereitstellung von Dienstleistungen zu schaffen, die über das bloße Dispensieren von Medikamenten hinausgehen. Nur durch eine solche ganzheitliche Betrachtung und Förderung kann sichergestellt werden, dass Apotheken ihre volle Kapazität als Gesundheitsdienstleister ausschöpfen und gleichzeitig wirtschaftlich überlebensfähig bleiben.
In diesem Schicksalsjahr für die deutschen Apotheken liegt es somit nicht nur an den Apothekern selbst, sondern auch an den politischen Entscheidungsträgern, weitsichtige und nachhaltige Lösungen zu finden, die eine hochwertige medizinische Versorgung für alle Bürger sicherstellen und die Apotheken als zentrale Säulen dieser Versorgung stärken.
Von Engin Günder, Fachjournalist