Die Herausforderungen für Apothekerinnen und Apotheker in Deutschland nehmen weiter zu, da wirtschaftliche Unsicherheiten und die anhaltende Inflation die klassische Rentenversicherung als Altersvorsorge zunehmend infrage stellen. Für viele war diese Versicherung über Jahre hinweg ein solides Fundament für den Ruhestand. Doch die spezifischen Bedingungen in der Apothekenbranche – wie der Kostendruck und stagnierende Erträge – erfordern heute eine krisensichere und flexible Vorsorgestrategie. Während Apotheker früher auf die Stabilität der klassischen Rentenversicherung vertrauten, suchen sie heute nach alternativen Lösungen, die auf die speziellen Anforderungen ihres Berufs zugeschnitten sind, um langfristige Sicherheit zu gewährleisten.
Parallel dazu hat ein bundesweites Pilotprojekt sieben großen gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit gegeben, eine elektronische Verordnung (E-Verordnung) für Hilfsmittel zu testen. Rund 34 Millionen Versicherte können nun über die Apps ihrer Krankenkassen eine E-Verordnung in teilnehmenden Apotheken und Sanitätshäusern einlösen. Dieses Pilotprojekt soll wertvolle Praxiserfahrungen liefern und die Grundlage für eine verpflichtende Einführung der E-Verordnung im Jahr 2027 schaffen. Dabei verspricht die E-Verordnung, nicht nur die Prozesse für Patientinnen und Patienten zu erleichtern, sondern auch die administrative Belastung für Apotheken zu reduzieren. Dennoch bleibt unklar, ob alle Apotheken von den digitalen Neuerungen profitieren oder ob sich weitere Anpassungen als notwendig erweisen werden.
Trotz dieser digitalen Fortschritte gibt es weiterhin strukturelle Verzögerungen. So wurde die Einführung des elektronischen Betäubungsmittelrezepts (E-BtM-Rezept), die für Juli geplant war, erneut verschoben. Grund hierfür sind fehlende finanzielle Mittel, was zu deutlicher Kritik führte, insbesondere von Seiten des Verbands innovativer Apotheken (via). Benedikt Bühler, Vorsitzender des Verbands, sprach von einer klaren Benachteiligung der Vor-Ort-Apotheken gegenüber Versandapotheken und nannte die Entscheidung ein „Armutszeugnis“ für das deutsche Gesundheitssystem. Die Verzögerung bedeutet, dass Schmerzpatienten weiterhin auf eine dringend benötigte digitale Lösung warten müssen. Diese erneute Verschiebung verdeutlicht, wie herausfordernd die digitale Transformation im Gesundheitswesen ist, und zeigt auf, dass gerade Vor-Ort-Apotheken Gefahr laufen, ins Hintertreffen zu geraten, wenn die notwendigen finanziellen und strukturellen Unterstützungen ausbleiben.
Nicht nur auf technologischer Ebene, sondern auch in der politischen Dimension gibt es Spannungen. Ein Beispiel ist die diesjährige Kammerwahl der Apothekerinnen und Apotheker in Hessen. Die Wahlunterlagen wurden unerwartet früh versandt, noch bevor der Wahlkampf, insbesondere für die oppositionellen Listen 6 und 7, richtig beginnen konnte. Diese frühe Zustellung sorgte für Unruhe, da die oppositionellen Kandidaten eine Benachteiligung bei der Wahlkampfgestaltung fürchteten. Das vorgezogene Versenden hat die Fairness der Wahl infrage gestellt und zur Diskussion über eine gerechte Chancengleichheit geführt, was den sensiblen Charakter von Wahlen in berufsständischen Organisationen aufzeigt.
Die regionalen Versorgungsstrukturen, insbesondere in ländlichen Gebieten, stehen ebenfalls unter Druck. Niedersachsens Gesundheitsminister Dr. Andreas Philippi warnte auf einer Protestveranstaltung in Hannover vor der dramatischen Ausdünnung der Apothekenlandschaft in ländlichen Regionen. Philippi betonte die Rolle der Apotheken für das Gesundheitssystem und forderte die Bundesregierung zu mehr Unterstützung auf, um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen. Angesichts der steigenden Apothekenschließungen und der wirtschaftlichen Belastungen sieht er die Gefahr, dass in ländlichen Gegenden Versorgungslücken entstehen, die die Gesundheitsversorgung spürbar beeinträchtigen könnten.
Die Unsicherheit über das Apothekenreformgesetz (ApoRG) verschärft diese Herausforderungen weiter. In Hannover versammelten sich Apothekeninhaber, um gegen die Verzögerung der Reform zu protestieren. Berend Groeneveld, Vorsitzender des Landesapothekerverbands, äußerte dabei deutliche Kritik und forderte die Bundesregierung auf, endlich zu handeln. Für Apotheken, die seit Jahren mit steigenden Kosten und sinkenden Margen kämpfen, sei das Zögern bei der Umsetzung des ApoRG zermürbend. Die Apotheker erwarten ein klares Signal aus Berlin und eine Reform, die ihnen eine langfristige Perspektive bietet. Ohne diese Unterstützung sehen viele ihre Existenz bedroht.
Zudem sollen Apotheken in Deutschland künftig eine erweiterte Rolle im Impfwesen übernehmen. Bereits heute bieten viele Apotheken Impfungen gegen COVID-19 und Grippe an, ein Service, der durch die Pandemie eingeführt wurde und positive Resonanz gefunden hat. Nun plant der Gesetzgeber, Apotheken zu ermöglichen, in Zukunft alle Totimpfstoffe zu verabreichen. Dies könnte den Impfschutz in der Bevölkerung insgesamt stärken, stellt jedoch für Apotheken auch eine wirtschaftliche und organisatorische Herausforderung dar. Viele Apotheken stellen sich die Frage, ob die Verabreichung zusätzlicher Impfungen wirtschaftlich tragbar ist oder ob sie eine zusätzliche Belastung darstellt, insbesondere in Zeiten, in denen andere wirtschaftliche Herausforderungen drängender erscheinen.
Im Bereich der medikamentösen Versorgung gibt es ebenfalls Fortschritte. Seit Anfang Oktober ist mit Vibegron eine neue Behandlung für Patienten mit überaktiver Blase verfügbar. Der β3-Adrenorezeptor-Agonist entspannt die Detrusormuskulatur, wodurch die Blasenkapazität erhöht und Symptome wie Harndrang und Inkontinenz gelindert werden. Diese gezielte Wirkung auf die Blase eröffnet Patienten, die bisherige Behandlungen als unzureichend empfanden, neue Therapiemöglichkeiten. Die Verfügbarkeit solcher innovativer Medikamente zeigt, wie der pharmakologische Fortschritt auch weiterhin das Behandlungsspektrum erweitert.
Gleichzeitig bleibt die Notdienstversorgung ein kontroverses Thema. ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening warnte im Gesundheitsausschuss vor der Einführung zusätzlicher Parallelstrukturen durch die geplanten Integrierten Notfallzentren (INZ), die an Krankenhäusern eingerichtet werden sollen. Diese sollen Notaufnahmen und Notdienstpraxen umfassen und könnten den Apothekennotdienst teilweise überflüssig machen. Overwiening wies darauf hin, dass Apotheken bereits einen wichtigen Beitrag zur Notfallversorgung leisten und neue Strukturen das bestehende System schwächen könnten, anstatt die Versorgung zu verbessern.
Die Verletzlichkeit der IT-Systeme im Gesundheitswesen wurde kürzlich erneut sichtbar, als ein gezielter Cyberangriff den Pharmagroßhändler AEP lahmlegte. Nach einer über einwöchigen Unterbrechung nahm das Unternehmen seinen Lieferbetrieb wieder auf, doch Verzögerungen sind weiterhin möglich. Der Angriff verdeutlicht die Abhängigkeit der Branche von stabilen und sicheren IT-Systemen. Angriffe wie dieser könnten die Versorgungsketten empfindlich stören und zeigen die dringende Notwendigkeit robuster Cyber-Sicherheitsmaßnahmen.
Für Apothekenbetreiber ist die Absicherung gegen Berufsunfähigkeit ein wesentlicher Schutz. Die Risiken, durch Krankheit oder Unfall die berufliche Existenz zu verlieren, sind in der Apothekenbranche nicht zu unterschätzen. Die Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Kunden macht eine Berufsunfähigkeitsversicherung für Apothekeninhaber unverzichtbar. Dennoch stellt der Antrag und die Durchsetzung von Versicherungsleistungen oft eine Herausforderung dar, da diese Prozesse häufig komplex und zeitaufwendig sind.
Kommentar:
Der aktuelle Stand des deutschen Apothekenwesens ist geprägt von einer Vielzahl von Herausforderungen, die sich sowohl aus wirtschaftlichen Unsicherheiten als auch aus strukturellen Mängeln ergeben. Die anhaltenden Diskussionen über die Zukunft der klassischen Rentenversicherung verdeutlichen, dass Apothekerinnen und Apotheker zunehmend alternative Vorsorgemodelle suchen müssen, um ihre finanzielle Sicherheit im Alter zu gewährleisten. In einem Umfeld, das von Inflation und stagnierenden Erträgen geprägt ist, wird es unerlässlich, dass Apotheker flexibel und strategisch an ihre Altersvorsorge herangehen, um den spezifischen Risiken ihrer Branche zu begegnen.
Die Digitalisierung, symbolisiert durch die Einführung der E-Verordnung für Hilfsmittel, zeigt, dass der Sektor zwar Fortschritte macht, jedoch weiterhin an strukturellen Herausforderungen leidet. Die Verschiebung des E-BtM-Rezepts ist ein Beispiel für die Schwierigkeiten, die die Branche bei der Umsetzung digitaler Lösungen hat. Während innovative Ansätze vielversprechend erscheinen, bleibt die Gefahr, dass Vor-Ort-Apotheken bei der Implementierung digitaler Technologien benachteiligt werden, insbesondere wenn die notwendigen finanziellen Ressourcen fehlen.
Die politischen Rahmenbedingungen sind ebenfalls entscheidend für die Zukunft der Apotheken. Das zögerliche Vorgehen bei der Verabschiedung des Apothekenreformgesetzes (ApoRG) ist alarmierend und zeigt, dass die politischen Entscheidungsträger die Dringlichkeit der Reformen nicht ausreichend erkennen. Apotheker stehen unter immensem Druck, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern, während sie gleichzeitig neue Aufgaben, wie die Durchführung von Impfungen, übernehmen sollen. Hier wird deutlich, dass die Unterstützung vonseiten der Politik unerlässlich ist, um die Apothekenlandschaft stabil zu halten und die flächendeckende Versorgung zu sichern.
Der Gesundheitsminister und andere politische Akteure müssen endlich klare Signale senden und die notwendigen Reformen umsetzen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Apotheken weiterhin eine zentrale Rolle im deutschen Gesundheitswesen spielen. Die Forderung nach einer Stärkung der regionalen Versorgung ist besonders wichtig, da die Schließungen von Apotheken in ländlichen Regionen zu einem ernsthaften Problem werden. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die politischen Entscheidungsträger die Sorgen der Apotheken ernst nehmen und die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Lebensfähigkeit dieser wichtigen Institutionen zu gewährleisten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zukunft des deutschen Apothekenwesens von einem komplexen Zusammenspiel wirtschaftlicher, digitaler und politischer Faktoren abhängt. Eine proaktive und unterstützende Politik ist notwendig, um die Apotheken in ihrer Rolle als unverzichtbare Akteure im Gesundheitssystem zu stärken. Die Herausforderungen sind vielfältig, aber mit dem richtigen Ansatz und entschlossenen Maßnahmen können Apotheken nicht nur überleben, sondern auch prosperieren und einen wertvollen Beitrag zur Gesundheitsversorgung der Bevölkerung leisten.
Von Engin Günder, Fachjournalist