Der Bundesgerichtshof (BGH) befasst sich mit einer Entscheidung, die weitreichende Konsequenzen für Bonusprogramme und Kundenbindungsmaßnahmen im Gesundheitswesen, insbesondere bei Apotheken und Anbietern von Medizinprodukten, haben könnte. Die Frage, ob geldwerte Zuwendungen im Rahmen solcher Programme künftig nur bis zu einer Bagatellgrenze von einem Euro oder sogar bis zu einem Betrag von 5 Euro zulässig sein sollen, steht im Mittelpunkt einer Verhandlung am 6. März in Karlsruhe. Anlass für die Prüfung ist eine Klage gegen die Hörakustikerkette Amplifon, die ihren Kunden Payback-Punkte als Prämien auf den Kaufpreis von Hörgeräten gewährt.
Das Verfahren betrifft die rechtliche Bewertung nach dem Heilmittelwerbegesetz (HWG), das Zuwendungen und Rabatte beim Verkauf von rezeptfreien Medizinprodukten grundsätzlich erlaubt, solange es sich um geringwertige Kleinigkeiten handelt. Laut bisheriger BGH-Rechtsprechung galt für solche Zuwendungen eine Obergrenze von einem Euro. Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg, das in zweiter Instanz die Praxis von Amplifon untersagte, hatte diese Grenze jedoch auf bis zu 5 Euro angehoben. Die Richter in Hamburg argumentierten, dass ein Preiswettbewerb bei nicht-preisgebundenen Medizinprodukten – anders als bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln – grundsätzlich möglich sei und die aktuelle Inflation eine höhere Wertgrenze rechtfertige. Die BGH-Richter könnten damit eine Entscheidung treffen, die nicht nur für das konkrete Bonusprogramm von Amplifon, sondern auch für Apotheken und andere Anbieter im Gesundheitswesen wegweisend wäre.
Die Klage wurde von der Wettbewerbszentrale initiiert, die argumentiert, dass geldwerte Vorteile im Rahmen von Bonusprogrammen bei Medizinprodukten das Kundenverhalten unzulässig beeinflussen könnten. Die Wettbewerbszentrale sieht hierin einen Verstoß gegen das HWG, da derartige Programme eine „lenkende Wirkung“ auf das Kaufverhalten ausüben und über die Grenzen der „geringwertigen Kleinigkeiten“ hinausgehen. Das Landgericht Hamburg hatte diese Auffassung bestätigt und die Payback-Punkte als allgemeine Kundenbindungsmaßnahme und nicht als produktspezifische Werbung eingeordnet. Amplifon hingegen verteidigt das Bonusmodell als wichtiges Mittel zur Förderung der Kundenloyalität, das dem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil sichert.
Sollte der BGH die Bagatellgrenze tatsächlich auf 5 Euro anheben, wären die Konsequenzen für Apotheken spürbar. Bisher galten bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln strenge Werbevorschriften, die Rabatte und Zuwendungen auf maximal einen Euro begrenzen. Im Jahr 2021 untersagte das OLG Karlsruhe einer Apotheke die Vergabe von Payback-Punkten für Rezepte, was den Regeln des HWG entsprach und strikte Grenzen für Zuwendungen bei Rx-Medikamenten setzte. Die jetzt anstehende Entscheidung könnte Apotheken jedoch mehr Spielraum für Rabatte bei rezeptfreien Produkten ermöglichen und sie in die Lage versetzen, innovative Kundenbindungsprogramme umzusetzen, die auch im Online-Wettbewerb mit Versandapotheken eine wichtige Rolle spielen könnten.
Eine Entscheidung zugunsten einer höheren Bagatellgrenze könnte auch eine Anpassung der Werbestrategien im Apothekenmarkt nach sich ziehen. Während Unternehmen wie Amplifon argumentieren, dass solche Programme zum Wettbewerb gehören, müssen Apotheken genau abwägen, wie sie ihre Werbemaßnahmen gestalten, um im Einklang mit dem HWG zu bleiben. Die Entscheidung könnte Signalwirkung für ähnliche Rechtsstreitigkeiten haben und Maßstäbe setzen, wie geldwerte Zuwendungen bei Medizinprodukten gehandhabt werden sollen.
Kommentar:
Die anstehende Entscheidung des BGH zur Bagatellgrenze für geldwerte Zuwendungen könnte zu einer Verschiebung im Markt für Gesundheitsprodukte führen. Der Fall Amplifon zeigt, wie wichtig Bonusprogramme für das Kundenverhalten sind, insbesondere in einem Umfeld, in dem viele Angebote preislich nicht reguliert sind. Unternehmen wie Amplifon argumentieren, dass solche Programme dem Verbraucher zugutekommen und die Kundenbindung stärken, indem sie auf eine bewusste Wahl der Gesundheitsprodukte abzielen. Doch es bleibt die Frage, ob solche Zuwendungen das Ziel des Heilmittelwerbegesetzes unterlaufen, das den Verbraucherschutz und die Transparenz im Gesundheitssektor fördern soll.
Apotheken könnten durch eine mögliche Erhöhung der Bagatellgrenze auf bis zu 5 Euro in die Lage versetzt werden, ihre Kundenbindungsstrategien zu erweitern, was im Wettbewerb mit dem Online-Versandhandel ein erheblicher Vorteil wäre. Vor allem, weil Apotheken bisher in einem strengen rechtlichen Rahmen agieren müssen, würde eine Lockerung der Werbevorschriften eine neue Dynamik bringen und möglicherweise die Attraktivität stationärer Apotheken steigern. In Zeiten, in denen viele Apotheken durch finanzielle Engpässe, steigende Betriebskosten und den Preisdruck des Versandhandels herausgefordert werden, wäre dies eine Chance, die Kundenloyalität zu stärken und die Kundenfrequenz im Geschäft zu erhöhen.
Dennoch bleibt die Frage, wo die Grenze für geldwerte Zuwendungen in einem hochsensiblen Bereich wie dem Gesundheitswesen liegen sollte. Das Heilmittelwerbegesetz wurde entwickelt, um eine neutrale Entscheidungsgrundlage für Verbraucher zu sichern und zu verhindern, dass durch Rabatte oder Gutschriften Entscheidungen getroffen werden, die nicht auf dem besten therapeutischen Nutzen beruhen. Eine zu hohe Bagatellgrenze könnte das Risiko einer „Lenkungswirkung“ bergen, die das Gesetz gerade vermeiden will.
Die Entscheidung des BGH wird deshalb auch in Bezug auf zukünftige Werbemodelle im Gesundheitssektor von Bedeutung sein. Sie könnte Unternehmen und Apotheken eine neue Freiheit bieten, ihre Bindungsstrategien im Rahmen des rechtlich Zulässigen anzupassen, und gleichzeitig eine Balance zwischen Wettbewerb und Verbraucherschutz definieren. Eine ausgewogene Entscheidung wäre wünschenswert, um den Anforderungen des Gesundheitsmarktes gerecht zu werden, ohne den Schutz der Patienten und Verbraucher zu gefährden.
Von Engin Günder, Fachjournalist