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BU-Versicherung: Leistungspflicht auch ohne klare Diagnose

Apotheker profitieren von neuen Ansprüchen bei beruflicher Einschränkung

(PresseBox) (Karlsruhe, )
Versicherer zur Leistung verpflichtet – auch ohne klare Diagnose: Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz stärkt die Rechte von Versicherten in der Berufsunfähigkeitsversicherung. Entscheidend ist nicht die genaue Diagnose, sondern die Frage, ob gesundheitliche Einschränkungen die berufliche Tätigkeit dauerhaft beeinträchtigen. Besonders für Berufe mit hoher körperlicher Belastung könnte diese Entscheidung richtungsweisend sein.

Ein wegweisendes Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz sorgt aktuell für Aufsehen in der Versicherungsbranche und könnte die Rechte von Versicherten im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) nachhaltig stärken. Das Gericht entschied, dass die Leistungspflicht eines BU-Versicherers nicht zwingend an eine klare medizinische Diagnose gebunden ist. Vielmehr sei ausschlaggebend, ob die gesundheitlichen Einschränkungen die Ausübung des Berufs dauerhaft und erheblich beeinträchtigen. Der Fall betraf eine selbstständige Friseurmeisterin, die aufgrund chronischer Rückenbeschwerden und Bewegungseinschränkungen ihre Tätigkeit nicht mehr im vollen Umfang ausüben konnte. Obwohl sie angab, in ihrer Berufsfähigkeit zu mindestens 50 Prozent eingeschränkt zu sein, bestritt der Versicherer die Zahlung. Er argumentierte, dass die Ursache der Beschwerden nicht eindeutig festzustellen sei und damit kein Anspruch bestehe.

Der Fall nahm eine besondere Wendung, da zwei gerichtlich bestellte medizinische Gutachter zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kamen. Ein orthopädischer Gutachter diagnostizierte eine entzündliche Spondyloarthritis, während der zweite Gutachter, ein internistisch-rheumatologischer Experte, diese Diagnose ausschloss und eine degenerative Rückenerkrankung als Ursache vermutete. Aufgrund dieser widersprüchlichen Diagnosen blieb die genaue Ursache der Beschwerden unklar, was den Versicherer veranlasste, die Leistungsansprüche der Friseurmeisterin in Zweifel zu ziehen.

Das Oberlandesgericht Koblenz stellte jedoch klar, dass die genaue medizinische Diagnose nicht der entscheidende Punkt sei. Ausschlaggebend sei, dass die gesundheitlichen Einschränkungen die Berufsfähigkeit der Versicherten signifikant und dauerhaft beeinträchtigten. Die Tatsache, dass die Klägerin ihren Beruf aufgrund ihrer Beschwerden zu mindestens 50 Prozent nicht mehr ausüben konnte, reichte dem Gericht als Beleg für die Berufsunfähigkeit. In seiner Entscheidung hob das Gericht hervor, dass die Bewertung der Berufsunfähigkeit primär auf der Funktionsfähigkeit im Beruf basieren müsse, und verurteilte den Versicherer zur Zahlung der vertraglich vereinbarten BU-Leistungen ab dem Zeitpunkt der Feststellung der Berufsunfähigkeit.

Die Kanzlei Weßels Rechtsanwälte, spezialisiert auf Berufsunfähigkeitsfälle, bewertete das Urteil als wichtigen Fortschritt für Versicherte. Jan-Martin Weßels, Rechtsanwalt der Kanzlei, erklärte, das Urteil trage der Realität vieler Berufsunfähigkeitsfälle Rechnung, in denen sich Beschwerden oft diffus zeigen und schwer eindeutig diagnostizierbar sind. Er führte aus, dass vor allem Berufe mit hohen körperlichen Anforderungen, wie etwa das Handwerk oder Gesundheitsberufe, von dieser Rechtsprechung profitieren könnten. Apothekenmitarbeiter und andere Berufsgruppen mit physischen Anforderungen im Arbeitsalltag könnten nun leichter ihre Ansprüche geltend machen, auch wenn die medizinische Diagnose nicht eindeutig ist.

Dieses Urteil stärkt die Rechte von Versicherten erheblich, indem es Versicherern die Möglichkeit nimmt, sich auf unklare Diagnosen zu berufen, um die Zahlung zu verweigern. Stattdessen müssen die tatsächlichen Einschränkungen in der Berufsausübung den Maßstab bilden. Für Berufe, in denen körperliche Belastungen zum Arbeitsalltag gehören, stellt das Urteil eine rechtliche Absicherung dar. Versicherten wird dadurch die Bürde genommen, langwierige und oft frustrierende diagnostische Verfahren durchlaufen zu müssen, um ihre Ansprüche zu untermauern. Das Urteil könnte nun als Präzedenzfall für ähnliche Verfahren dienen und die Rolle der Berufsunfähigkeitsversicherung als Absicherung für den Verlust der beruflichen Funktionsfähigkeit stärken.

Kommentar:

Das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz setzt ein starkes Signal für mehr Fairness und Transparenz im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung. Mit der Entscheidung, dass der Leistungsanspruch nicht zwingend an eine eindeutige Diagnose gebunden ist, wird ein langjähriges Problem adressiert: die oft schwer fassbare Natur von Erkrankungen, die Berufstätige erheblich beeinträchtigen, ohne dass eine klare medizinische Ursache vorliegt. Rückenbeschwerden und chronische Schmerzen, wie sie in diesem Fall vorlagen, sind ein klassisches Beispiel für Beschwerden, die sich oft nur schwer in eine eindeutige Diagnose fassen lassen, aber dennoch gravierende Einschränkungen im Arbeitsalltag zur Folge haben können.

Versicherer haben sich in der Vergangenheit häufig auf unklare Diagnosen gestützt, um die Zahlung zu verweigern oder hinauszuzögern. Die Entscheidung des OLG Koblenz nimmt Versicherungen nun in die Pflicht, den Fokus auf die funktionale Einschränkung und nicht auf die Diagnosestellung zu legen. Das ist insbesondere für Berufe von großer Bedeutung, die auf physische Gesundheit angewiesen sind. Eine Friseurin, die nicht mehr imstande ist, aufgrund von Schmerzen und Bewegungseinschränkungen den ganzen Tag auf den Beinen zu stehen oder Arme und Hände konstant zu belasten, ist faktisch berufsunfähig, auch wenn die genauen Ursachen ihrer Beschwerden umstritten sind.

Dieses Urteil geht über den konkreten Fall hinaus und sendet eine klare Botschaft: Die Berufsunfähigkeitsversicherung soll eine Absicherung gegen den Verlust der Arbeitsfähigkeit bieten, und dieser Schutz darf nicht von bürokratischen Hürden abhängig gemacht werden. Versicherte können nun darauf hoffen, dass ihre Berufsunfähigkeitsversicherung sie auch bei unklarer Diagnose absichert und ihnen die finanzielle Unterstützung gewährt, die sie benötigen, um den Verlust ihrer beruflichen Funktionsfähigkeit abzufedern. Langfristig könnte das Urteil auch zur Verbesserung der Versicherungsbedingungen beitragen, indem die Leistungspflicht transparenter und versichertenfreundlicher ausgestaltet wird.

Die Entscheidung des Gerichts macht deutlich, dass Versicherungen ihre Leistungspflicht nicht allein an eine genaue Diagnose knüpfen dürfen, sondern die realen Auswirkungen einer Erkrankung auf die Arbeitsfähigkeit des Versicherten im Vordergrund stehen müssen. Besonders in Berufen, die mit körperlicher Beanspruchung verbunden sind, kann dieses Urteil für eine gerechtere Leistungserbringung sorgen und den Zugang zu Leistungen erleichtern. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Urteil eine Kettenreaktion in der Rechtsprechung auslöst und Versicherte künftig leichter zu ihren Leistungen kommen, wenn sie aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen ihren Beruf nicht mehr ausüben können.

Von Engin Günder, Fachjournalist

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