Deutschland schrieb im Jahr 2024 ein neues Kapitel in der Drogenpolitik. Mit der Einführung des Konsumcannabisgesetzes (KcanG) trat am 1. April eine bedeutende Reform in Kraft, die den Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis-Blüten und den privaten Anbau von bis zu drei weiblichen Pflanzen legalisierte. Ziel war es, den Schwarzmarkt zu schwächen, die organisierte Kriminalität einzudämmen und einen regulierten Zugang zu schaffen. Doch die Umsetzung und die ersten Monate der neuen Regelung brachten sowohl Fortschritte als auch Herausforderungen mit sich.
Eine der zentralen Änderungen betraf die Apotheken. Mit dem Wegfall des Betäubungsmittelstatus (BtM) für Cannabis-Blüten und Dronabinol entfielen umfangreiche Dokumentationspflichten sowie der BtM-Zuschlag. Ab Juli wurde außerdem die Genehmigungspflicht der Krankenkassen für Medizinalcannabis-Rezepte von Fachärzten aufgehoben, was den Zugang für Patienten erleichterte. Diese Maßnahmen führten jedoch zu einem sprunghaften Anstieg von Privatrezepten, die häufig von fragwürdigen Online-Plattformen ausgestellt wurden. Gegen eine Gebühr boten diese Plattformen Rezepte für ein breites Spektrum von Erkrankungen an, darunter auch chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), was Zweifel an der medizinischen Notwendigkeit vieler Verordnungen aufwarf.
Die Nachfrage nach Medizinalcannabis explodierte. Um den Bedarf zu decken, wurden die Produktionskapazitäten an den drei deutschen Standorten ausgeweitet. Gleichzeitig stieg der Import von Cannabis-Blüten massiv an. Im August meldete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Zunahme der Importe um 40 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal. Insbesondere Selbstzahler trugen zu diesem Wachstum bei, was den Fokus auf die Kosten für Patienten und die Rolle der Krankenkassen verstärkte.
Parallel dazu traten neue Modelle wie Cannabis-Social-Clubs in den Fokus. Diese Anbauvereinigungen dürfen bis zu 500 Mitglieder aufnehmen und Cannabis für den Eigenbedarf legal anbauen. Doch hohe bürokratische Hürden und datenschutzrechtliche Bedenken führten dazu, dass bis Ende des Jahres nur wenige Clubs tatsächlich tätig wurden. Erste Ernten wurden in Niedersachsen und Baden-Württemberg verzeichnet, während in Bayern die ersten Genehmigungen erst im Dezember erteilt wurden.
Die Reform zeigte jedoch auch deutliche Schwächen. Kritiker, darunter die Gewerkschaft der Polizei und Innenminister Herbert Reul (CDU), stellten fest, dass der Schwarzmarkt nicht eingedämmt werden konnte. Im Gegenteil: Berichte über zunehmende Gewalt zwischen rivalisierenden Banden und gestohlene Cannabis-Lieferungen machten deutlich, dass kriminelle Strukturen weiterhin florieren. Die Polizei sah sich zudem mit der Herausforderung konfrontiert, illegale und legale Aktivitäten zu unterscheiden.
Ein Lichtblick könnten die Ende 2024 gestarteten Modellregionen sein. In Städten wie Frankfurt am Main und Hannover sowie zwei Berliner Bezirken sollen wissenschaftlich überwachte Projekte die kontrollierte Abgabe von Cannabis in Fachgeschäften ermöglichen. In Wiesbaden und Groß-Gerau wird die Abgabe in Apotheken erprobt. Ziel ist es, Erkenntnisse über die Wirksamkeit solcher Maßnahmen zu gewinnen und die Versorgung sicherzustellen.
Doch die politische Debatte bleibt kontrovers. Während die Regierungskoalition an der Reform festhält, kündigte die Union an, im Falle eines Wahlsiegs die Legalisierung rückgängig machen zu wollen. Ob dies angesichts der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen möglich ist, bleibt fraglich.
Kommentar: Eine Reform zwischen Ideal und Realität
Die Cannabis-Legalisierung 2024 ist ein Beispiel für den schwierigen Balanceakt zwischen gesellschaftlichem Fortschritt und praktischer Umsetzung. Die politischen Absichten – Regulierung, Prävention und Eindämmung des Schwarzmarktes – sind zweifellos ambitioniert und nachvollziehbar. Doch die Realität zeigt, dass die Erfolgskriterien einer solchen Reform weit komplexer sind als geplant.
Der Schwarzmarkt hat sich nicht nur als resistent erwiesen, sondern könnte durch die Legalisierung sogar indirekt gestärkt worden sein. Rivalisierende Banden kämpfen um Marktanteile, und die Polizei berichtet von einer erschreckenden Zunahme gewalttätiger Auseinandersetzungen. Die gesetzliche Legalisierung hat hier kaum eine beruhigende Wirkung erzielt, sondern vielmehr neue Konflikte hervorgerufen.
Ein weiteres Problem liegt in der Kontrolle von Privatrezepten, die über Online-Plattformen generiert werden. Die medizinische Sinnhaftigkeit vieler dieser Rezepte wird zu Recht angezweifelt. Die Politik muss hier dringend gegensteuern, um die Missbrauchsmöglichkeiten einzudämmen, ohne den legalen Zugang zu erschweren.
Auch die Einführung von Cannabis-Social-Clubs zeigt, dass gute Ideen nicht automatisch erfolgreich sind. Die hohen bürokratischen Hürden schrecken potenzielle Betreiber ab, und datenschutzrechtliche Bedenken der Mitglieder erschweren die Akzeptanz. Wenn diese Clubs wirklich eine Rolle in der Versorgung spielen sollen, bedarf es einer deutlichen Entlastung von administrativen Pflichten.
Die Modellregionen könnten einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Reform leisten. Sie ermöglichen eine wissenschaftlich fundierte Evaluierung und könnten dabei helfen, die Schwachstellen des aktuellen Gesetzes zu beheben. Doch die Politik muss Geduld beweisen und bereit sein, Ergebnisse abzuwarten und darauf basierend Anpassungen vorzunehmen.
Die Legalisierung von Cannabis ist kein einfacher Weg, und es ist fraglich, ob alle Erwartungen erfüllt werden können. Doch sie bietet eine Chance, neue Ansätze in der Drogenpolitik zu erproben und einen gesellschaftlichen Dialog anzustoßen. Ob die Reform Bestand haben wird, hängt von ihrer Anpassungsfähigkeit und ihrer Akzeptanz in der Bevölkerung ab. Nur durch langfristige Planung und eine faktenbasierte Bewertung können die gesetzten Ziele erreicht werden.
Von Engin Günder, Fachjournalist