Mit dem Herbstanfang steigen in Deutschland die Infektionszahlen bei Atemwegserkrankungen deutlich an, darunter auch Fälle von Covid-19. Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete allein für die Woche vom 14. Oktober 11.580 laborbestätigte Corona-Infektionen, was etwa 900 Fällen pro 100.000 Einwohner entspricht. Diese Zunahme reiht sich in ein allgemein hohes Niveau an Atemwegserkrankungen ein, das laut Experten eine anhaltende Herausforderung für das Gesundheitssystem darstellt. Besonders häufig treten derzeit Infektionen mit Rhinoviren und dem Coronavirus auf, wobei Covid-19 aktuell etwa 19 Prozent der untersuchten Proben in Arztpraxen ausmacht.
Laut dem Immunologen Professor Dr. Carsten Watzl von der Technischen Universität Dortmund zeigt sich ein klarer Wandel im Infektionsgeschehen im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie. Er schätzt, dass inzwischen rund zehn Prozent der Bevölkerung im Herbst und Winter an einer Atemwegserkrankung leiden, was auf die dauerhafte Präsenz von SARS-CoV-2 als zusätzlichem Atemwegserreger zurückzuführen sei. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass diese Infektionszahlen jedes Jahr wiederkehren und zur neuen Normalität werden könnten,“ betont Watzl.
Die steigenden Infektionszahlen haben auch Auswirkungen auf die Arbeitswelt: Die Techniker Krankenkasse (TK) berichtete von einer deutlich höheren Anzahl an Krankentagen wegen Erkältungssymptomen und Covid-19. Erwerbstätige TK-Versicherte waren im ersten Halbjahr 2024 durchschnittlich 2,3 Tage wegen einer Erkältungsdiagnose krankgeschrieben – ein Anstieg im Vergleich zu 2019, als der Durchschnitt bei 1,4 Tagen lag. Ähnliche Entwicklungen zeigen sich bei anderen Krankenkassen wie der Barmer, die Ende September 2024 berichtete, dass von 1000 Versicherten mit Krankengeldanspruch rund 29,5 Menschen wegen einer Atemwegserkrankung arbeitsunfähig gemeldet waren, verglichen mit nur 13,6 Menschen im gleichen Zeitraum des Jahres 2019.
Ein neuer Faktor im Infektionsgeschehen ist die Omikron-Sublinie XEC, die nach jüngsten RKI-Daten in etwa 39 Prozent der Fälle nachgewiesen wurde, während die Sublinie KP.3.1.1 einen Anteil von 40 Prozent erreicht. Beide Varianten gelten als besonders übertragbar und haben sich in Deutschland rasch ausgebreitet. Virologin Professor Dr. Sandra Ciesek betont jedoch, dass die schnelle Verbreitung der Omikron-Sublinien keine erhöhte Gefährlichkeit bedeutet. „Diese Varianten vermehren sich bevorzugt in den oberen Atemwegen, was ihre Übertragungsfähigkeit erhöht, aber auch dazu führt, dass sie selten zu schweren Verläufen führen“, erklärt Ciesek.
Für die meisten Menschen stellt eine Infektion daher eher ein gesundheitliches Ärgernis als eine ernsthafte Bedrohung dar. Laut Watzl besteht das Risiko schwerer Verläufe insbesondere für Menschen ab 60 Jahren oder für Personen mit Vorerkrankungen, wie Herz-Kreislauf-Leiden oder einem geschwächten Immunsystem. Das RKI und das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) schätzen das Risiko für die öffentliche Gesundheit derzeit als gering ein, auch wenn das Virus durch neue Mutationen das Immunsystem umgehen kann.
Um dennoch schwere Krankheitsverläufe zu vermeiden, empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) eine Auffrischungsimpfung im Herbst für Risikogruppen. Diese Impfungen sollen das Risiko schwerer Verläufe senken, doch die Bereitschaft zur Impfung hat in Deutschland spürbar nachgelassen. Professor Watzl sieht diese Entwicklung kritisch, da besonders vulnerable Gruppen von einer Impfung weiterhin stark profitieren würden. Er plädiert dafür, das Bewusstsein für die Bedeutung der Impfung aufrechtzuerhalten und darüber hinaus einfache, präventive Maßnahmen wie das freiwillige Tragen von Masken und das Einhalten von Abstand weiterhin zu empfehlen.
Mit Blick auf den Winter rechnen Experten mit einem weiteren Anstieg der Infektionszahlen bis Weihnachten, insbesondere bei Menschen mit Vorerkrankungen und älteren Personen. Auf den Intensivstationen könnte es zu einer Zunahme schwerer Fälle kommen, auch wenn die Zahlen im Vergleich zu den Hochphasen der Pandemie niedrig bleiben dürften. Im neuen Jahr erwarten die Fachleute dann eine Beruhigung der Situation – eine Entwicklung, die bereits in den vergangenen Jahren zu beobachten war. Die Corona-Saison 2024 fordert jedoch eine beständige Aufmerksamkeit und präventive Maßnahmen, um das Gesundheitssystem zu entlasten und Risikogruppen zu schützen.
Kommentar:
Die Corona-Saison 2024 bringt zwar weniger akute Gefahren mit sich als die ersten Pandemiejahre, dennoch bleibt die Herausforderung bestehen. Die Infektionszahlen steigen an, und auch wenn die meisten Menschen glimpflich davonkommen, dürfen wir das Virus nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Tatsache, dass Atemwegserkrankungen heute eine konstant höhere Krankheitslast verursachen, ist ein Warnsignal, das uns zeigt, wie tiefgreifend das Coronavirus das Infektionsgeschehen verändert hat.
Vor allem für vulnerable Gruppen ist es wichtig, dass der Schutz durch Impfungen aufrechterhalten wird. Die Impfskepsis, die sich in der Bevölkerung etabliert hat, könnte für ältere und vorerkrankte Menschen erhebliche Konsequenzen haben. Auch einfache Schutzmaßnahmen wie das freiwillige Tragen von Masken sollten weiterhin als Teil unseres Alltags betrachtet werden, um die Belastung für das Gesundheitssystem zu reduzieren und das Risiko für schwerere Krankheitsverläufe zu minimieren.
Die Lektion der letzten Jahre ist klar: Gesundheitsschutz ist nicht allein Sache des Gesundheitssystems, sondern eine gesellschaftliche Verantwortung. Die Corona-Saison zeigt, dass das Virus ein ständiger Begleiter bleibt, aber dass wir durch gezielte und einfache Maßnahmen die Kontrolle über das Infektionsgeschehen behalten können. Bleiben wir aufmerksam und präventiv – denn Routine darf niemals in Sorglosigkeit umschlagen.
Von Engin Günder, Fachjournalist