Im Rahmen des geplanten Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit (Bipam-Gesetz) steht eine umstrittene Neuregelung zur Debatte: Pflegebedürftige Versicherte sollen in Zukunft bis zu fünf Apotheken als bevorzugte Anlaufstellen für die Einlösung ihrer E-Rezepte bestimmen können. Ziel der Regelung ist es, den Versorgungsprozess für Pflegeheimbewohner zu vereinfachen, indem diese ausgewählten Apotheken Rezepte im Namen der Versicherten einlösen dürfen – sogar ohne den Tokenausdruck oder die elektronische Gesundheitskarte (eGK). Diese Neuregelung steht jedoch stark in der Kritik und sorgt für Bedenken in der Apothekerschaft sowie bei Ärzten und Vertretern der Gesundheitspolitik.
Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda) sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sind die prominentesten Gegner dieses Vorhabens. Beide Organisationen warnen vor erheblichen Risiken, die mit der Möglichkeit einhergehen könnten, Apotheken als „favorisierte“ Versorger festzulegen. Die Abda argumentiert, dass die freie Apothekenwahl gefährdet sei und dass Apotheken ohne Versorgungsvertrag durch die neue Regelung große Marktanteile gewinnen könnten, indem sie als bevorzugte Apotheken für Pflegebedürftige ausgewählt würden. Diese Entwicklung könnte zu einer Monopolisierung führen, wodurch die Versorgung breiter Bevölkerungsschichten langfristig unter Druck geraten könnte. Zudem befürchtet die Abda eine Abnahme der Qualität und Vielfalt der Versorgung, da eine Konzentration auf wenige große Anbieter der Diversität des Apothekenmarktes schaden könnte.
Ein weiterer Kritikpunkt der Abda betrifft die Sicherheit der Patientenidentifikation bei diesem neuen Einlöseweg. Während die drei bestehenden Wege zur Einlösung eines E-Rezepts – die E-Rezept-App, die Nutzung der eGK und der Tokenausdruck – strengen Authentifizierungsverfahren unterliegen, wäre bei dem neuen Verfahren eine formlos per Telefon oder Schrift erteilte Erlaubnis ausreichend. „Eine derart ungeschützte Beauftragung lässt Zweifel an der Datensicherheit und am Schutz sensibler Gesundheitsinformationen aufkommen“, so ein Sprecher der Abda. Besonders im Hinblick auf die wachsende Anzahl an Cyberangriffen auf Gesundheitseinrichtungen sei die Gefahr nicht zu unterschätzen, dass sensible Patientendaten in die falschen Hände geraten könnten.
Die KBV unterstützt die Position der Abda und betont ebenfalls die Problematik eines vierten Einlösewegs. Bisher konnten Versicherte ihre Rezepte entweder über die App, per eGK oder durch Tokenausdruck sicher einlösen – jede dieser Methoden erfordert eine klare Identifizierung des Patienten. Ein rein telefonisch oder schriftlich beauftragter Abruf, wie er im neuen Verfahren vorgesehen ist, stellt aus Sicht der KBV ein Sicherheitsrisiko dar. Die KBV weist darauf hin, dass die Sicherheit der Patientenidentität bei den bisherigen Einlöseoptionen durch umfassende Prüfmechanismen garantiert wird. „Dass hier ein einfaches Telefonat oder Schreiben als ausreichend angesehen wird, ist angesichts der strengen Authentifizierungsanforderungen, die für die bisherigen Verfahren gelten, unverständlich“, so die KBV in einer Stellungnahme.
Als alternativen Lösungsansatz schlägt die KBV eine sogenannte „institutionelle Vertretung“ vor. Demnach könnten Pflegeheime oder Pflegedienste im Auftrag der pflegebedürftigen Versicherten die Einlösung der E-Rezepte übernehmen und wären dabei automatisch in alle relevanten Informationen zur Verordnung eingebunden. Diese institutionelle Vertretung hätte über eine direkte Anbindung an den E-Rezept-Fachdienst Zugriff auf die benötigten Daten und könnte somit die Versorgung sicherstellen, ohne die Apothekenwahl einzuschränken oder Sicherheitsrisiken einzugehen. Hierdurch wäre gewährleistet, dass die entsprechenden Daten verschlüsselt und geschützt übermittelt werden und eine Überprüfung der Identität der Versicherten zuverlässig möglich ist.
Parallel zu den Plänen für pflegebedürftige Versicherte ist eine weitere Änderung des Apothekengesetzes (§ 12a ApoG) im Gespräch. Diese soll eine Ausnahme vom Abspracheverbot zwischen Ärzten und Apotheken bei Heimversorgungsverträgen ermöglichen, sodass Bewohner von Pflege- und Altenheimen gezielt versorgt werden können. Die Abda mahnt jedoch, dass eine routinemäßige Zuweisung an bestimmte Apotheken die Wahlfreiheit der Heimbewohner einschränken könnte. Es sei wichtig, dass die Möglichkeit für den Patienten, eine bestimmte Apotheke zu wählen, erhalten bleibt und nicht zu einer reglementierten Festlegung auf bestimmte Anbieter werde.
Die langfristigen Pläne der KBV sehen darüber hinaus vor, Pflegeheime ab Juli 2025 verpflichtend in die Telematikinfrastruktur (TI) zu integrieren. Eine frühzeitige Anbindung der Pflegeheime an die digitale Gesundheitslandschaft könnte dazu beitragen, dass Versorgungsprozesse effizienter und sicherer gestaltet werden. Die KBV betont, dass eine flächendeckende Digitalisierung und eine Verknüpfung der Pflegeheime mit der TI unerlässlich sind, um auch in Zukunft eine umfassende und sichere Versorgung pflegebedürftiger Menschen zu gewährleisten.
Kommentar:
Die Debatte um die favorisierten Apotheken für Pflegebedürftige wirft berechtigte Fragen auf und macht die Komplexität einer modernen Gesundheitsversorgung deutlich. Die Idee, bestimmten pflegebedürftigen Versicherten eine Auswahl an Apotheken als direkte Ansprechpartner zu bieten, mag auf den ersten Blick praktisch erscheinen, könnte jedoch im Detail weitreichende Konsequenzen für das gesamte Apothekenwesen haben. Ein zentrales Anliegen der Kritiker ist der Schutz der freien Apothekenwahl – ein Pfeiler der deutschen Gesundheitsversorgung, der sicherstellen soll, dass alle Versicherten die gleiche Wahlfreiheit genießen und die Versorgung nicht auf bestimmte Anbieter konzentriert wird. Die Abda und die KBV haben in diesem Zusammenhang einen wichtigen Punkt angesprochen: Die Wahlfreiheit der Versicherten muss in jedem Versorgungskonzept oberste Priorität haben. Wenn Apotheken ohne Versorgungsvertrag begünstigt werden könnten, gerät dieses Grundprinzip in Gefahr.
Ebenso gravierend ist das Thema der Datensicherheit. In Zeiten zunehmender Cyberbedrohungen dürfen neue Lösungen für die Gesundheitsversorgung nicht den Datenschutz und die Patientensicherheit schwächen. Die Erlaubnis zur Einlösung eines E-Rezepts lediglich auf Basis einer formlosen mündlichen oder schriftlichen Zustimmung zu ermöglichen, erscheint fahrlässig und könnte ungewollt die Tür für Missbrauch und Datenlecks öffnen. Ein gut gemeinter Ansatz könnte so schnell zu einer Schwachstelle im System werden, was für die Beteiligten fatale Folgen haben könnte.
Die vorgeschlagene institutionelle Vertretung als Alternative zum favorisierten Apothekenmodell bietet dagegen ein deutlich besser durchdachtes Konzept. Mit der Verantwortung in den Händen der Pflegeeinrichtungen, die zudem in die Telematikinfrastruktur eingebunden sind, wird sowohl die Wahlfreiheit der Versicherten gewahrt als auch die Sicherheit des Verfahrens gestärkt. Die Anbindung an die TI und eine verlässliche Identitätsprüfung sind elementare Bestandteile für die Integrität und Effizienz eines modernen Gesundheitswesens. Es bleibt zu hoffen, dass diese Lösung als praxistaugliche und sichere Alternative intensiv geprüft wird.
Einmal mehr zeigt sich, dass der Weg zur Digitalisierung des Gesundheitssystems zwar viele Chancen bietet, aber auch erhebliche Herausforderungen mit sich bringt. Die Politik ist nun gefordert, Lösungen zu entwickeln, die pragmatische Verbesserungen für die Versicherten bieten, ohne bewährte Standards und die Sicherheit zu gefährden.
Von Engin Günder, Fachjournalist