Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 4. Oktober 2024 ein wegweisendes Urteil gefällt, das weitreichende Auswirkungen auf den Online-Verkauf von Arzneimitteln hat – auch auf rezeptfreie Medikamente. In einem lang erwarteten Urteil entschied das höchste europäische Gericht, dass Bestelldaten, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Arzneimitteln über Plattformen wie Amazon erfasst werden, als sensible Gesundheitsdaten im Sinne der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) eingestuft werden. Dies gilt auch dann, wenn die Medikamente für eine andere Person bestimmt sind. Damit setzt der EuGH einen klaren Fokus auf den Schutz von Gesundheitsdaten im digitalen Handel und verschärft die Anforderungen für Apothekenbetreiber, die ihre Waren über das Internet vertreiben.
Der Fall, der zu dieser Entscheidung führte, wurde von dem Münchener Apotheker Hermann Vogel initiiert, der bereits 2017 gegen zwei Apothekeninhaber aus Sachsen-Anhalt klagte, die apothekenpflichtige, aber nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel über den Amazon-Marktplatz verkauften. Vogel war überzeugt, dass der Verkauf solcher Produkte über Drittanbieter-Plattformen eine Reihe von Vorschriften verletze, insbesondere die DSGVO. Seine Argumentation basierte auf der Tatsache, dass Kundendaten, die bei der Bestellung von Arzneimitteln erhoben werden, Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der Besteller zuließen und daher besonders schützenswert seien. Nachdem die Gerichte in erster Instanz uneinheitlich urteilten, bestätigte das Oberlandesgericht Naumburg schließlich Vogels Auffassung und entschied, dass die Verarbeitung dieser Bestelldaten ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung der Kunden gegen die DSGVO verstößt.
Der EuGH bekräftigte nun diese Rechtsauffassung und stellte fest, dass Apotheken, die Arzneimittel über Plattformen wie Amazon verkaufen, zuvor eine ausdrückliche Einwilligung ihrer Kunden in die Verarbeitung ihrer Daten einholen müssen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um verschreibungspflichtige oder rezeptfreie Medikamente handelt. Entscheidend sei, dass die Bestelldaten als Gesundheitsdaten eingestuft werden können, da sie Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der betroffenen Person ermöglichen. Selbst wenn die Bestellung möglicherweise für eine dritte Person erfolgt, ändere dies nichts an der Sensibilität der Daten.
Darüber hinaus stärkte der EuGH das Klagerecht von Mitbewerbern in Datenschutzfragen. Apotheken können nun Wettbewerbsverstöße, die durch die Nichteinhaltung der DSGVO entstehen, auch gegenüber anderen Apotheken gerichtlich geltend machen. Diese Entscheidung erweitert den Kreis der möglichen Kläger, der bisher auf Aufsichtsbehörden und betroffene Verbraucher beschränkt war. Der EuGH argumentierte, dass die Möglichkeit, Wettbewerbsverstöße auf diese Weise zu ahnden, dazu beitragen könne, die Rechte der betroffenen Personen zu stärken und ein hohes Schutzniveau für personenbezogene Daten zu gewährleisten.
Das Urteil des EuGH hat weitreichende Folgen für Apothekenbetreiber, die ihre Produkte online verkaufen. Diese müssen sicherstellen, dass ihre Datenschutzmaßnahmen den Anforderungen der DSGVO entsprechen und dass sie klare, verständliche Einwilligungen von ihren Kunden einholen, bevor sie deren Daten verarbeiten. Andernfalls drohen nicht nur Bußgelder durch die Datenschutzbehörden, sondern auch wettbewerbsrechtliche Klagen durch Mitbewerber.
Hermann Vogel zeigte sich nach der Entscheidung des EuGH erleichtert. Er betonte, dass der Schutz der Gesundheitsdaten der Kunden im Mittelpunkt seiner Klage stand und er hoffe, dass das Urteil einen positiven Einfluss auf den Arzneimittelverkauf im Internet haben werde. „Es war ein langer Weg, aber ich bin froh, dass der EuGH die Apotheken in ihrer Vertrauensposition gestärkt hat“, erklärte Vogel gegenüber der Deutschen Apotheker Zeitung.
Nun liegt es am Bundesgerichtshof, die konkreten Verfahren in Deutschland weiterzuführen und eine abschließende Entscheidung zu treffen. Es bleibt abzuwarten, welche detaillierten datenschutzrechtlichen Anforderungen auf Apotheken zukommen, die ihre Arzneimittel online vertreiben.
Kommentar:
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist ein klares Signal: Der Schutz von Gesundheitsdaten hat auch im digitalen Handel oberste Priorität. Dass Bestelldaten beim Erwerb von Arzneimitteln über das Internet als Gesundheitsdaten eingestuft werden, ist ein wichtiger Schritt hin zu einem besseren Datenschutz in einem besonders sensiblen Bereich. Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass ihre persönlichen Daten – und dazu gehören unweigerlich auch Informationen über ihre Gesundheitskäufe – sicher verarbeitet werden. Der EuGH hat mit seiner Entscheidung nicht nur den Verbrauchern, sondern auch den Apotheken, die sich an die Regeln halten, den Rücken gestärkt.
Für Apothekenbetreiber bedeutet das Urteil jedoch auch eine erhebliche Herausforderung. Der Online-Verkauf von Arzneimitteln wird immer populärer, und viele Apotheken nutzen Plattformen wie Amazon, um ihre Reichweite zu vergrößern und neue Kunden zu gewinnen. Doch gerade dieser Vertriebsweg birgt nun ein nicht unerhebliches rechtliches Risiko. Ohne ausdrückliche Einwilligung zur Verarbeitung von Gesundheitsdaten könnte der Vertrieb schnell zu einem teuren Verstoß gegen die DSGVO führen – nicht nur durch drohende Bußgelder, sondern auch durch mögliche wettbewerbsrechtliche Klagen anderer Apotheken.
Gleichzeitig verdeutlicht das Urteil, dass Apotheken in der Verantwortung stehen, die sensiblen Daten ihrer Kunden nicht leichtfertig zu behandeln. Es reicht nicht, sich auf die Infrastruktur großer Online-Plattformen zu verlassen – die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen liegt in der Verantwortung jeder einzelnen Apotheke. Dies erfordert nicht nur technische Anpassungen, sondern auch ein tiefes Verständnis der datenschutzrechtlichen Vorgaben.
Das Urteil stellt den Online-Verkauf von Arzneimitteln nicht infrage, aber es verschärft die Anforderungen an Apothekenbetreiber erheblich. In einer Zeit, in der der digitale Handel immer wichtiger wird, könnte dies den Wettbewerb unter Apotheken verändern – und möglicherweise kleinere Anbieter benachteiligen, die nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen, um die DSGVO-Vorgaben im Detail umzusetzen. Trotzdem bleibt festzuhalten: Der Schutz der Gesundheitsdaten muss Vorrang haben, und die Entscheidung des EuGH trägt dazu bei, das Vertrauen der Verbraucher in den Online-Handel von Arzneimitteln zu stärken.
Von Engin Günder, Fachjournalist