Die Flexirente wurde vor einigen Jahren als wegweisendes Gesetz eingeführt, um älteren Menschen den Übergang in den Ruhestand flexibler zu gestalten. Sie sollte es Rentnerinnen und Rentnern ermöglichen, durch eine Teilrente und die parallele Weiterbeschäftigung im Beruf ihre finanzielle Situation zu verbessern und gleichzeitig dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Doch hat dieses Gesetz tatsächlich die erhoffte Wirkung erzielt?
Laut aktuellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung hat sich die Zahl der Rentner, die einer Nebenbeschäftigung nachgehen, seit der Einführung der Flexirente nur moderat erhöht. Während im Jahr 2017 rund 950.000 Menschen im Rentenalter erwerbstätig waren, stieg diese Zahl bis 2023 auf etwa 1,1 Millionen an. Allerdings war ein Großteil dieser Rentner bereits vor der Einführung der Flexirente beruflich aktiv. Die neuen Regelungen scheinen also nur begrenzt Anreize geschaffen zu haben, um Menschen, die zuvor nicht gearbeitet haben, für einen Nebenjob zu gewinnen.
Experten führen die begrenzte Wirkung auf mehrere Faktoren zurück. Einerseits sind viele Rentner finanziell abgesichert und sehen keine Notwendigkeit, weiterzuarbeiten. Andererseits fühlen sich viele durch die Regelungen zum Hinzuverdienst abgeschreckt. Zwar wurde die Hinzuverdienstgrenze gelockert, jedoch berichten viele Betroffene von bürokratischen Hürden und Unsicherheiten bei der Berechnung der Rentenbeiträge.
Auch die Arbeitgeberseite sieht das Gesetz kritisch. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bemängeln den Mehraufwand, ältere Arbeitnehmer flexibel zu beschäftigen. Ein weiteres Problem ist die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz für arbeitende Rentner. Viele Betroffene geben an, dass sie mit Vorurteilen konfrontiert werden, da ihre Arbeitsmotivation häufig hinterfragt wird.
Die Politik steht daher vor der Herausforderung, die Flexirente nachzubessern. So fordern Gewerkschaften und Sozialverbände, die Hinzuverdienstgrenzen komplett abzuschaffen und die bürokratischen Prozesse zu vereinfachen. Ebenso wird vorgeschlagen, steuerliche Anreize für Rentner und Arbeitgeber zu schaffen, um die Integration älterer Menschen in den Arbeitsmarkt zu fördern.
Kommentar:
Die Flexirente – ein Konzept mit Potenzial, aber auch erheblichen Schwächen. Auf dem Papier klingt die Idee, den Übergang in den Ruhestand individuell zu gestalten, zukunftsweisend. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die Umsetzung mit Hindernissen behaftet ist. Es bleibt die Frage, ob die Flexirente ein effektives Mittel ist, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, oder ob es lediglich ein symbolisches Gesetz ohne nennenswerte Wirkung bleibt.
Ein zentraler Kritikpunkt ist die Bürokratie. Gerade für Rentner, die ohnehin mit einer Vielzahl an Regelungen und Formularen konfrontiert sind, wirken komplexe Hinzuverdienstregelungen wie ein abschreckendes Hindernis. Statt Anreize zu setzen, entsteht oft das Gefühl, dass zusätzliche Arbeit mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist.
Auch die gesellschaftliche Wahrnehmung von arbeitenden Rentnern ist problematisch. Solange ältere Menschen, die arbeiten möchten oder müssen, als „Billiglöhner“ oder als Konkurrenz für jüngere Arbeitnehmer gesehen werden, wird sich der Gedanke der Flexirente nicht nachhaltig durchsetzen können. Hier bedarf es eines kulturellen Wandels, um die Arbeit im Ruhestand als normal und wertvoll zu betrachten.
Die Politik hat es versäumt, klare Anreize für Arbeitgeber zu schaffen. Steuerliche Vergünstigungen oder finanzielle Unterstützungen könnten Unternehmen ermutigen, gezielt ältere Arbeitnehmer einzustellen. Gleichzeitig wäre eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen essenziell, um die Gesundheit und Motivation der Betroffenen langfristig zu fördern.
Die Flexirente ist ein Ansatz, der nachjustiert werden muss. Sie bietet Potenzial, die Lebensrealität vieler Rentner zu verbessern und gleichzeitig einen Beitrag zur Lösung des Fachkräftemangels zu leisten. Doch dazu müssen die Hürden gesenkt und die gesellschaftliche Akzeptanz erhöht werden. Andernfalls bleibt das Gesetz ein zahnloser Tiger – ambitioniert, aber wirkungslos.
Von Engin Günder, Fachjournalist