Eine aktuelle, groß angelegte Studie hat auf eindrucksvolle Weise gezeigt, dass genetische Faktoren eine viel größere Rolle bei der Lebensverlängerung spielen als bisher angenommen. Die in Nature veröffentlichte Untersuchung, die von einem Team um Dr. Andrea Di Francesco bei Calico Life Sciences LLC in San Francisco durchgeführt wurde, untersuchte den Einfluss von Kalorienrestriktion und intermittierendem Fasten auf die Lebensdauer von Mäusen. Anders als in früheren Studien, bei denen genetisch identische Tiere verwendet wurden, um Verzerrungen durch genetische Unterschiede zu vermeiden, setzte diese Studie auf genetisch vielfältige »Diversity Outbred«-Mäuse, um den Einfluss individueller Genetik besser zu verstehen.
Insgesamt wurden 960 weibliche Mäuse in fünf verschiedene Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe durfte uneingeschränkt fressen (Ad libitum), während zwei Gruppen entweder um 20 % oder um 40 % weniger Kalorien zu sich nahmen. In den beiden letzten Gruppen wurde intermittierendes Fasten praktiziert, entweder an einem oder an zwei Tagen pro Woche. Diese Ernährungskonzepte wurden ab einem Alter von sechs Monaten angewendet und über die gesamte Lebensspanne der Mäuse fortgeführt. Mehr als 200 Parameter zur Gesundheit und zum Verhalten der Tiere wurden im Verlauf der Studie gemessen.
Die Ergebnisse bestätigen frühere Untersuchungen dahingehend, dass sowohl Kalorienreduktion als auch intermittierendes Fasten die Lebensspanne verlängern können. Besonders die Gruppe, die eine um 40 % reduzierte Kalorienaufnahme hatte, zeigte eine bemerkenswerte Verlängerung der Lebensdauer um 36,3 % im Vergleich zu den Mäusen, die uneingeschränkt essen konnten. Allerdings traten auch negative Effekte auf: Die Tiere dieser Gruppe verloren im Durchschnitt 24,3 % ihres Körpergewichts, was zu einem deutlichen Verlust an fettfreier Körpermasse führte. Zusätzlich zeigten sich Veränderungen im Immunsystem, insbesondere in den Immunzellpopulationen, was möglicherweise die Anfälligkeit für Infektionen erhöhte.
Das intermittierende Fasten zeigte sich ebenfalls wirksam, allerdings war der Effekt auf die Lebensspanne weniger stark ausgeprägt als bei der Kalorienrestriktion. Besonders bei Mäusen, die bereits zu Beginn ein höheres Körpergewicht aufwiesen, führte das intermittierende Fasten nicht zu einer Verlängerung der Lebensdauer. Zudem gab es in der Gruppe, die zwei Tage pro Woche fastete, negative Auswirkungen auf die Bildung roter Blutkörperchen, was die Forschenden als problematisch einstuften.
Ein besonders aufschlussreiches Ergebnis der Studie war die große Variabilität in der Lebensspanne innerhalb der einzelnen Ernährungsgruppen. Diese Unterschiede deuten darauf hin, dass die genetische Ausstattung der Tiere einen größeren Einfluss auf ihre Lebensdauer hat als die diätetischen Maßnahmen selbst. Während einige Tiere von den Ernährungsinterventionen stark profitierten, war der Effekt bei anderen deutlich geringer. Auffällig war außerdem, dass ein höheres Körpergewicht in einigen Fällen sogar mit einer längeren Lebensdauer verbunden war, was die gängige Annahme widerlegt, dass eine Gewichtsreduktion automatisch zu einer höheren Lebenserwartung führt.
Die Ergebnisse dieser Studie sind insofern revolutionär, als sie deutlich machen, dass die genetische Veranlagung die Auswirkungen von Diäten und anderen Lebensverlängerungsmaßnahmen erheblich beeinflusst. Während die Kalorienrestriktion in der Vergangenheit als nahezu universell gültige Methode zur Lebensverlängerung galt, zeigt sich nun, dass genetische Unterschiede eine entscheidende Rolle spielen. Die Studie fordert damit einen Paradigmenwechsel in der Forschung zu Altern und Lebensverlängerung: Individuelle genetische Voraussetzungen müssen künftig stärker in den Fokus gerückt werden, um effektive Maßnahmen zur Lebensverlängerung entwickeln zu können.
Kommentar:
Die Ergebnisse dieser neuen Studie liefern uns wertvolle Erkenntnisse über die komplexen Zusammenhänge zwischen Genetik, Ernährung und Lebensdauer. Während Kalorienrestriktion seit Jahrzehnten als der vielversprechendste Ansatz zur Verlängerung der Lebensspanne galt, zeigt diese Untersuchung, dass genetische Faktoren eine noch größere Rolle spielen. Dies bedeutet, dass individuelle genetische Unterschiede bestimmen, wie gut oder schlecht eine Diät auf die Lebensdauer wirkt.
Für viele mag dies überraschend sein, denn bisher schien die Formel einfach: Weniger Kalorien, längeres Leben. Doch die Realität ist weitaus komplexer. Die Studie legt nahe, dass nicht jeder gleichermaßen von einer Kalorienreduktion oder einem intermittierenden Fasten profitiert. Tatsächlich kann ein strenger Diätplan bei einigen Individuen sogar nachteilige Effekte haben, wie die negativen Auswirkungen auf das Immunsystem und die Körpermasse der Mäuse in der 40-Prozent-Kalorienrestriktionsgruppe zeigen.
Besonders interessant ist die Entdeckung, dass ein höheres Körpergewicht in manchen Fällen paradoxerweise zu einer längeren Lebensspanne führte. Dies stellt die bisherige Annahme infrage, dass weniger Gewicht und eine geringere Kalorienzufuhr automatisch zu einem längeren Leben führen. Die genetischen Unterschiede zwischen den Mäusen spielen hier eine Schlüsselrolle und machen deutlich, dass ein pauschaler Ansatz nicht zielführend ist.
Diese Erkenntnisse sollten auch bei der menschlichen Ernährung und Gesundheit eine Rolle spielen. Während Diäten wie Kalorienrestriktion oder intermittierendes Fasten populär bleiben, müssen wir uns bewusst werden, dass ihre Wirksamkeit stark von der genetischen Veranlagung abhängt. Zukünftige Forschungen sollten sich daher verstärkt darauf konzentrieren, wie individuelle genetische Unterschiede die Wirksamkeit verschiedener Ernährungsansätze beeinflussen. Nur so können wir verstehen, welche Maßnahmen wirklich dazu beitragen, die Lebensspanne zu verlängern – und welche vielleicht nur bei bestimmten genetischen Voraussetzungen wirken.
Insgesamt ist diese Studie ein wichtiger Meilenstein, der uns zu einem Umdenken anregt. Es reicht nicht aus, allgemeine Empfehlungen zur Lebensverlängerung auszusprechen. Vielmehr müssen wir beginnen, die genetische Vielfalt zu berücksichtigen und individuelle Ansätze zu entwickeln, die auf die jeweiligen genetischen Voraussetzungen zugeschnitten sind. Dies könnte der Schlüssel zu einem tatsächlich längeren und gesünderen Leben sein.
Von Engin Günder, Fachjournalist