Eine aktuelle Studie der University of Colorado Boulder und der University of California Riverside zeigt alarmierende Ergebnisse: Immer mehr junge Erwachsene verbringen einen Großteil ihrer Woche sitzend und setzen sich dabei erheblichen gesundheitlichen Risiken aus. Im Durchschnitt verbringen die Studienteilnehmer, mit einem Altersdurchschnitt von 33 Jahren, mehr als 60 Stunden pro Woche im Sitzen. Dies entspricht fast neun Stunden pro Tag und liegt weit über dem von Experten empfohlenen Maximum. Die gesundheitlichen Konsequenzen sind dramatisch, wie die Autoren um Professor Dr. Chandra Reynolds in der Fachzeitschrift „Plos One“ berichten: Langes Sitzen erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und beschleunigt das metabolische Altern, selbst bei jungen und vermeintlich gesunden Erwachsenen.
An der Studie nahmen über 1000 Menschen teil, darunter 730 Zwillingspaare, deren Gesundheitsdaten hinsichtlich Cholesterin, Body-Mass-Index (BMI) und weiteren Stoffwechselparametern ausgewertet wurden. Die Studie stellt fest, dass trotz regelmäßiger Bewegung das Sitzen eine starke und unabhängige Belastung für den Körper darstellt. Zwar erfüllten die Probanden die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von mindestens 150 Minuten moderater Aktivität pro Woche – doch diese Aktivität reichte nicht aus, um die schädlichen Effekte des langen Sitzens zu neutralisieren. Selbst Probanden, die täglich 30 Minuten intensiv trainierten, wiesen durch das viele Sitzen weiterhin erhöhte Cholesterin- und BMI-Werte auf, vergleichbar mit fünf bis zehn Jahre älteren, inaktiven Menschen.
Die Folgen des sitzenden Lebensstils zeichnen sich zunehmend im Gesundheitsbild der jungen Generation ab. Langes Sitzen stellt den Stoffwechsel um und aktiviert eine Reihe von schädlichen Stoffwechselwegen, die zu Entzündungen und Zellschäden führen können. Studienleiterin Reynolds erklärt, dass dies nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig das Risiko für chronische Erkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck erhöht. Die Studie zeigt, dass selbst moderate Bewegung, wie etwa 20 Minuten täglicher Spaziergang, die negativen Effekte nicht ausreichend kompensieren kann. Intensive Bewegung von 30 Minuten täglich zeigte zwar positive Effekte auf Cholesterin- und BMI-Werte, doch war der Effekt begrenzt, und die Schäden durch das lange Sitzen ließen sich nicht vollständig rückgängig machen.
Der moderne Lebensstil fördert diesen Bewegungsmangel weiter. Lange Arbeitswege, Videokonferenzen und digitale Unterhaltungsangebote führen dazu, dass der Alltag vieler junger Menschen zunehmend in einer sitzenden Position verbracht wird. Die Forscher empfehlen daher eine grundsätzliche Umstellung des täglichen Bewegungsverhaltens. Statt das Sitzen durch Training nach der Arbeit auszugleichen, sollten die Menschen versuchen, Sitzzeiten generell zu reduzieren und durch Bewegungspausen zu unterbrechen. Der Einsatz von Stehschreibtischen, die Einführung bewegungsintensiver Meetings und kurze Pausen, in denen leichte Aktivitäten wie Gehen eingebaut werden, könnten die langfristigen Gesundheitsrisiken deutlich senken.
Langfristig könnte eine solche Umstellung nicht nur zu einem besseren Gesundheitsbild beitragen, sondern auch die Produktivität steigern, da Bewegung auch positive Auswirkungen auf die geistige Leistungsfähigkeit hat. Der Vorschlag, den Arbeitstag durch kurze, regelmäßige Pausen zu unterbrechen, ist dabei nicht neu, wird aber in den meisten Unternehmen noch immer nur selten umgesetzt. Die Studie gibt Anlass zur Sorge, dass viele junge Menschen bereits heute ein erhöhtes Risiko für chronische Erkrankungen aufweisen und durch einen strukturell sitzenden Alltag vorzeitig altern.
Kommentar:
Langes Sitzen – das neue Rauchen? Diese Frage drängt sich auf, wenn man die Ergebnisse dieser Studie betrachtet. Die Idee, dass Sitzen ungesund sein könnte, ist nicht neu, aber die Deutlichkeit, mit der die Studie von Reynolds und ihrem Team die Risiken aufzeigt, ist erschreckend. Ein Großteil unserer Gesellschaft, insbesondere die jüngeren Generationen, hat sich an einen Lebensstil gewöhnt, in dem die Bewegung auf ein Minimum reduziert ist. Das scheint auf den ersten Blick bequem und zeitsparend, doch die Kosten dafür sind hoch. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen und eine beschleunigte Alterung des Körpers treffen nun bereits junge Erwachsene – Menschen, die in der Blüte ihres Lebens stehen sollten.
Die Studienergebnisse sind ein Weckruf, der nicht nur an Individuen, sondern auch an Unternehmen und Bildungseinrichtungen gerichtet ist. Arbeits- und Lernumgebungen müssen neu gestaltet werden, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich regelmäßig zu bewegen und sitzende Tätigkeiten zu unterbrechen. Firmen könnten etwa durch die Bereitstellung von Stehschreibtischen oder durch bewegungsfördernde Maßnahmen, wie „bewegte Meetings“, einen wertvollen Beitrag zur Gesundheit ihrer Mitarbeitenden leisten. Es ist nicht ausreichend, abends ins Fitnessstudio zu gehen, wenn tagsüber acht oder mehr Stunden sitzend verbracht werden. Ein echter Paradigmenwechsel ist erforderlich, um die dramatischen Gesundheitsfolgen zu vermeiden.
Gesundheit ist ein Gut, das es zu schützen gilt, und es ist wichtig, dass wir frühzeitig Verantwortung für unsere körperliche Verfassung übernehmen. Es ist höchste Zeit, dass sich sowohl Individuen als auch Organisationen dieses Themas annehmen. Die Gesundheit kann nicht auf später verschoben werden – sie wird im Hier und Jetzt durch tägliche Entscheidungen geprägt. Die Kosten der Untätigkeit sind bereits heute absehbar und könnten auf lange Sicht für viele Menschen fatal sein.
Von Engin Günder, Fachjournalist