Die Drogeriekette dm hat einen Traum, und es ist nicht irgendein Traum. Es ist der Traum, Aspirin und Hustensaft zwischen Shampoo und Feuchttüchern zu verkaufen. Ein mutiger Schritt, könnte man sagen. Oder, wie manche es ausdrücken würden: eine Idee, so gewagt wie der Versuch, Weihnachtsplätzchen mit Ketchup zu garnieren. Aber gut, Fortschritt lebt bekanntlich von Experimenten.
Christoph Werner, dm-Chef und offenbar visionärer Querdenker, hat erkannt, dass der Gesundheitsmarkt noch nicht genügend auf den Kopf gestellt wurde. Warum sollte man sich in einer Apotheke beraten lassen, wenn man auch in der Drogerie „Gesundheit to go“ kaufen kann? Kein lästiges Fachpersonal, keine ermüdenden Erklärungen über Wechselwirkungen – stattdessen ein präzise sortiertes Regal, direkt neben dem Duschgel im Sonderangebot. Einfach, praktisch, bahnbrechend. Fast so bahnbrechend wie der Versuch, eine Selbstbedienungskasse mit einer künstlichen Intelligenz auszustatten, die Kundenkommentare wie „Warum kostet das so viel?“ souverän ignoriert.
Natürlich erinnert man sich bei dm noch an die vorherigen Abenteuer im Apothekenkosmos. Da waren die Abholstationen für Medikamente, die aussahen wie überdimensionale Cola-Automaten, und der verwegene Versuch, Apothekenkosmetik als Luxusgut zu verkaufen. Beides endete auf spektakuläre Weise unspektakulär. Nun also der Neustart. Und dieses Mal soll alles anders werden. Digitale Kompetenz trifft auf tschechische Warenlager und die unerschütterliche Überzeugung, dass Rezepte völlig überschätzt werden. Wer braucht schon eine verschreibungspflichtige Creme, wenn es auch Vitamin-D-Kautabletten in Familienpackungen gibt?
Während Christoph Werner von einer Revolution in Sachen Gesundheitsversorgung träumt, reagieren die Mitarbeiter in den dm-Filialen mit einer Mischung aus Skepsis und unfreiwilligem Humor. Denn sie wissen genau, dass der Weg vom Fototütenausgeben zur Medikamentenberatung ungefähr so kurz ist wie der von einem Sandkasten zur Mondlandung. Mit der sprichwörtlichen badischen Gelassenheit wird nun improvisiert: Regale mit „gesundem Sortiment“ werden demonstrativ ignoriert, und in der Mittagspause werden Witze darüber gemacht, wie man wohl einen Hustenstiller auf Deutsch ohne Zungenbrecher-Potenzial ausspricht. Die Kreativität kennt keine Grenzen: Manche Filialleiter erwägen bereits, das Gesundheitsregal mit Anti-Stress-Bällen auszustatten – nicht für die Kunden, sondern für die Mitarbeiter.
Natürlich gibt es auch kritische Stimmen. Besonders aus dem Lager der treuen dm-Kunden, die plötzlich in der Drogerie mit Medikamenten konfrontiert werden, obwohl sie eigentlich nur ein Shampoo für fettiges Haar kaufen wollten. „Ist das hier noch ein Geschäft oder schon eine neue Form von Gesundheitslotterie?“ fragt sich eine Kundin, während sie einen Hustensaft begutachtet, der sich nicht entscheiden kann, ob er nach Erdbeere oder Menthol schmecken möchte.
Die Frage, wie diese Geschichte endet, bleibt spannend. Vielleicht wird dm tatsächlich das Amazon der Drogerie-Apotheken-Welt. Vielleicht aber auch nur eine Fußnote in der Chronik gescheiterter Großprojekte, irgendwo zwischen fliegenden Autos und dem Berliner Flughafen. Sicher ist jedenfalls: Während Christoph Werner weiter an seiner Vision bastelt, erleben die dm-Mitarbeiter unfreiwillig einen Crashkurs in improvisierter Gesundheitsökonomie. Und das ist mindestens so unterhaltsam wie eine Weihnachtskomödie – nur mit deutlich mehr Aspirin im Regal.
Von Engin Günder, Fachjournalist