Die deutsche Wirtschaft steht vor einem Schicksalsjahr. Die Anzeichen mehren sich, dass 2025 ein verlorenes Jahr für den Industriestandort Deutschland werden könnte. Große Konzerne wie Volkswagen, Thyssenkrupp und die Meyer Werft kämpfen mit massiven Herausforderungen, die von den globalen wirtschaftlichen Unsicherheiten, dem technologischen Wandel und den Auswirkungen der Energiekrise angeheizt werden. Die Frage, die derzeit die politische und wirtschaftliche Debatte dominiert: Soll der Staat einschreiten und die angeschlagenen Industriegiganten retten?
Eine mögliche staatliche Rettungsaktion wird zunehmend von Experten in Frage gestellt. Stefan Kooths, Chefökonom des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), gehört zu den lautesten Stimmen, die vor staatlichen Eingriffen warnen. Er betont, dass Subventionen nicht nur kurzfristig die Situation verschlimmern könnten, sondern langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie weiter schwächen. „Staatliche Rettungspakete und Subventionen sind keine Lösungen, sondern Symptombehandlungen“, erklärt Kooths. „Die strukturellen Probleme, vor denen unsere Industrie steht, lassen sich nicht durch Finanzspritzen beheben.“
Besonders in der Automobilindustrie spitzt sich die Lage zu. Volkswagen, das jahrzehntelang als Flaggschiff der deutschen Wirtschaft galt, sieht sich einem immer härteren Wettbewerb aus Asien gegenüber. Die rasante Entwicklung der Elektromobilität, angeführt von chinesischen Herstellern, hat den deutschen Autobauern den Wind aus den Segeln genommen. Während in den letzten Jahren umfangreiche Investitionen in die Umstellung auf Elektromobilität getätigt wurden, sind viele dieser Maßnahmen noch nicht rentabel. Die Produktionskosten steigen, und die Nachfrage auf den europäischen Märkten stagniert.
Ähnlich düster sieht es bei Thyssenkrupp aus. Das Traditionsunternehmen kämpft mit Überkapazitäten im Stahlsektor und einem globalen Preisverfall. Der notwendige Umbau hin zu klimafreundlicher Stahlproduktion steht noch am Anfang, und ohne staatliche Unterstützung könnte das Unternehmen den Anschluss verlieren. Die Meyer Werft, die auf den Bau von Kreuzfahrtschiffen spezialisiert ist, leidet unter der anhaltend schwachen Nachfrage in diesem Sektor. Der Tourismus hat sich von der Corona-Pandemie noch nicht vollständig erholt, und viele Reedereien halten sich mit Neubestellungen zurück.
In dieser prekären Situation fordern einige Stimmen aus der Industrie lautstark staatliche Hilfen. Sie argumentieren, dass ohne Rettungsmaßnahmen ein massiver Arbeitsplatzabbau drohe, was schwerwiegende soziale und wirtschaftliche Folgen für die betroffenen Regionen hätte. „Wir brauchen jetzt schnelle und unbürokratische Hilfe“, sagte kürzlich der Vorstandsvorsitzende eines führenden Industriekonzerns. „Ohne staatliche Unterstützung sind viele Arbeitsplätze und Standorte in Gefahr.“
Doch für Ökonomen wie Kooths sind solche Maßnahmen nur kurzfristige Pflaster, die langfristig die nötige Erneuerung und Anpassung der Wirtschaft verhindern könnten. „Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass der Staat jeden Industriezweig retten kann, der ins Straucheln gerät“, so Kooths weiter. „Was wir brauchen, sind Rahmenbedingungen, die Innovation und Investitionen in Zukunftstechnologien fördern, nicht die Verlängerung überholter Geschäftsmodelle.“
Ein weiteres Problem: Die Finanzlage des Staates lässt nicht viel Spielraum für groß angelegte Rettungspakete. Die Verschuldung ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen, und die Energiewende sowie die sozialen Sicherungssysteme stellen den Staatshaushalt vor zusätzliche Herausforderungen. Weitere milliardenschwere Subventionsprogramme könnten die Schuldenlast des Landes weiter erhöhen und künftige Generationen belasten.
In dieser angespannten Lage muss die Bundesregierung abwägen, ob und in welchem Umfang sie eingreifen sollte. Die politische Debatte ist gespalten. Während Wirtschaftsminister Robert Habeck betont, dass die Bundesregierung die heimische Industrie nicht im Stich lassen werde, warnen Stimmen aus der Opposition vor überzogenen Rettungsmaßnahmen. Der Fokus müsse darauf liegen, die Wettbewerbsfähigkeit durch Reformen und Investitionen in zukunftsfähige Industrien zu sichern.
Letztlich steht Deutschland vor einer wegweisenden Entscheidung: Rettet man traditionelle Industrien durch massive Staatsinterventionen, oder lässt man den Markt seine natürlichen Anpassungsprozesse durchlaufen und setzt auf langfristige Innovation? Die Folgen dieser Entscheidung werden das Land über Jahre hinweg prägen.
Kommentar:
Die Diskussion um staatliche Rettungsmaßnahmen für Deutschlands strauchelnde Industriegiganten ist hochkomplex. Auf den ersten Blick scheint es verlockend, mit staatlichen Hilfspaketen einzugreifen, um Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft zu sichern. Doch die Realität ist weitaus vielschichtiger. Der kurzfristige Gewinn, der durch Subventionen erzielt werden kann, könnte langfristig einen erheblichen Schaden anrichten.
Stefan Kooths hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass Subventionen häufig dazu führen, dass ineffiziente Strukturen künstlich am Leben gehalten werden. Dies verhindert, dass sich Unternehmen den neuen Herausforderungen stellen und notwendige Innovationen vorantreiben. In einer Zeit des globalen Wandels, in der technologische und ökologische Transformationen den Markt radikal verändern, ist es entscheidend, dass Unternehmen sich anpassen und neue Geschäftsmodelle entwickeln.
Natürlich kann und sollte der Staat in extremen Krisensituationen eine stabilisierende Rolle spielen. Aber diese Rolle sollte darin bestehen, den Rahmen für zukünftiges Wachstum zu setzen – durch Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur – und nicht darin, alte Industrien zu subventionieren, die sich den Veränderungen verweigern.
Die Verlockung, kurzfristig Arbeitsplätze zu retten, darf nicht die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland gefährden. Es wäre fatal, wenn Unternehmen durch Subventionen den Anreiz verlieren, sich zukunftsfähig aufzustellen. Die Herausforderung für die Politik besteht darin, die Balance zu finden: notwendige Unterstützung in Krisenzeiten, ohne dabei die Innovationskraft zu ersticken.
Letztlich muss der Markt Raum für Anpassung und Erneuerung haben. Nur durch einen konsequenten Strukturwandel kann Deutschland seinen Platz als führender Industriestandort behaupten.
Von Engin Günder, Fachjournalist