Fünf Jahre nach dem Auftreten des Coronavirus SARS-CoV-2 in Wuhan und der weltweiten Pandemie sind die Nachwirkungen auf Kinder und Jugendliche, insbesondere jene in der Phase der Pubertät, immer noch spürbar. Während die akute Gesundheitskrise überwunden scheint, zeigen neue Studien, wie stark die Schutzmaßnahmen und der monatelange Ausnahmezustand die Entwicklung junger Menschen beeinflusst haben. Eine umfassende Analyse des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) dokumentiert, wie die mentale Gesundheit, die körperliche Aktivität und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen nachhaltig beeinträchtigt wurden.
Die Ergebnisse der Studie zeichnen ein besorgniserregendes Bild. Während der Pandemie stieg die Häufigkeit von Angstsymptomen und Depressionen unter Heranwachsenden erheblich. Besonders betroffen waren Jugendliche im Alter von 10 bis 14 Jahren, die sich in einer entscheidenden Phase ihrer emotionalen und körperlichen Entwicklung befanden. Gleichzeitig sank die tägliche Bewegungszeit um durchschnittlich 48 Minuten – ein Rückgang, der sich bis heute nicht vollständig normalisiert hat. Laut Helena Ludwig-Walz vom BiB haben viele Kinder und Jugendliche die Pandemiejahre nicht unbeschadet überstanden. Sie fordert, gezielte Programme zur Förderung der psychischen Gesundheit und zur Wiederherstellung körperlicher Fitness einzurichten, um langfristige Schäden zu vermeiden.
In der Praxis zeigen sich diese Defizite deutlich. Kinderarzt Ralf Moebus beschreibt, dass viele Kinder heute physische Entwicklungsrückstände aufweisen, etwa Schwierigkeiten beim Hüpfen oder Basteln. Übergewicht sei in dieser Altersgruppe stark angestiegen, ebenso wie psychosomatische Beschwerden. Die Jahrgänge, die während der Lockdowns in der Pubertät waren, hätten besonders gravierende Rückstände, die sich nur schwer aufholen ließen. Moebus äußert Kritik an der damaligen Corona-Politik, die Kinder und Jugendliche über lange Zeit von sozialen Kontakten und körperlicher Betätigung isolierte. Während ältere Menschen bereits wieder ihre Freiheiten genießen konnten, seien die Bedürfnisse der Jüngsten übersehen worden.
Auch in den Schulen hinterließen die pandemiebedingten Einschränkungen deutliche Spuren. Thilo Hartmann, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen, hebt hervor, dass die Klassenstufen sieben bis neun besonders stark betroffen waren, da sie über viele Monate hinweg vom Präsenzunterricht ausgeschlossen waren. Diese Schüler litten nicht nur unter erheblichen Lernrückständen, sondern auch unter psychischen Belastungen und Schwierigkeiten in ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Der Mangel an Lehrkräften habe die Situation zusätzlich verschärft, sodass viele Defizite bis heute nicht behoben werden konnten.
Rückblickend werden die Entscheidungen, Kinder und Jugendliche derart strengen Einschränkungen zu unterwerfen, zunehmend kritisch bewertet. Sowohl pädagogische Fachkräfte als auch Gesundheitsexperten bemängeln, dass die Folgen für junge Menschen nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Zwar wird anerkannt, dass der Schutz vor Infektionen zu Beginn der Pandemie oberste Priorität hatte, doch die langfristigen Schäden der Maßnahmen wurden erst spät wahrgenommen. Die Isolation führte nicht nur zu psychischen Belastungen, sondern auch zu einer verstärkten Nutzung digitaler Medien, die den Alltag vieler Kinder bis heute prägt. Gleichzeitig bleiben die Wartezeiten für psychologische und psychiatrische Betreuung so lang, dass viele Betroffene weiterhin ohne Unterstützung auskommen müssen.
Kommentar: Ein Weckruf für Politik und Gesellschaft
Die anhaltenden Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche, insbesondere in der sensiblen Phase der Pubertät, sind ein deutliches Signal, dass die Bedürfnisse der jüngsten Generationen in Krisensituationen stärker in den Fokus gerückt werden müssen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schnell Kinder und Jugendliche zu einer vernachlässigten Gruppe werden können, obwohl sie in ihrer Entwicklung besonders vulnerabel sind. Die langfristigen Auswirkungen der Isolation, der Schulschließungen und des Wegfalls sozialer Kontakte reichen weit über die Pandemie hinaus und verlangen nun ein gezieltes und entschlossenes Handeln.
Es ist unabdingbar, dass die Politik umfassende Förderprogramme auf den Weg bringt, die nicht nur Bildungsrückstände aufholen, sondern auch die mentale und körperliche Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stärken. Dazu gehören niedrigschwellige Angebote für psychologische Unterstützung, ein Ausbau der Kapazitäten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Initiativen zur Förderung von Bewegung und sozialer Interaktion. Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sollten eng zusammenarbeiten, um ganzheitliche Konzepte zu entwickeln, die den individuellen Bedürfnissen junger Menschen gerecht werden.
Die Lehren aus der Pandemie müssen zudem in die Planung zukünftiger Krisenbewältigungsstrategien einfließen. Es darf nicht erneut passieren, dass Kinder und Jugendliche unverhältnismäßig stark unter Maßnahmen leiden, während andere Bevölkerungsgruppen vergleichsweise gering belastet werden. Dies erfordert eine klare Priorisierung und eine stärkere Gewichtung der langfristigen Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Ebenso müssen Eltern, Schulen und Gesundheitseinrichtungen sensibilisiert werden, um die durch die Pandemie entstandenen Defizite frühzeitig zu erkennen und anzugehen. Kinder und Jugendliche brauchen ein Umfeld, das ihnen nicht nur Stabilität, sondern auch Raum für Wachstum und Erholung bietet. Letztlich ist die Frage, wie wir als Gesellschaft mit den Folgen der Pandemie umgehen, eine Entscheidung darüber, welchen Stellenwert wir der jüngsten Generation beimessen. Der Umgang mit den heutigen Herausforderungen wird zeigen, ob wir bereit sind, in die Zukunft unserer Kinder zu investieren – und damit in unsere eigene Zukunft.
Von Engin Günder, Fachjournalist