Schlafstörungen betreffen eine wachsende Anzahl von Menschen und werden dennoch häufig nicht als ernsthafte Gesundheitsgefahr erkannt. Im Vorfeld der 32. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) kamen führende Experten zusammen, um auf die tiefgreifenden Auswirkungen von Schlafproblemen auf die physische und psychische Gesundheit hinzuweisen und stärkere Präventionsmaßnahmen zu fordern. Prof. Dr. Georg Nilius, ein angesehener Schlafmediziner, stellte klar, dass gesunder Schlaf als zentrale Grundlage für Resilienz, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit unverzichtbar ist. „Viele Menschen sind sich nicht bewusst, welchen Einfluss Schlaf auf ihre gesamte Gesundheit hat“, betonte Nilius. Schlaf fördert nicht nur die Bewältigung täglicher Herausforderungen, sondern spielt auch eine entscheidende Rolle in der Krankheitsprävention.
Der Einfluss von Schlafstörungen erstreckt sich auf ein breites Spektrum von Gesundheitsrisiken, angefangen bei körperlichen Erkrankungen bis hin zu psychischen Störungen. Prof. Dr. Helmut Frohnhofen, Leiter des alterstraumatologischen Zentrums am Universitätsklinikum Düsseldorf, erklärte, dass Schlaf ein „modifizierbarer Risikofaktor“ sei, insbesondere im Hinblick auf kognitive Beeinträchtigungen und Demenz. Eine gezielte Behandlung von Schlafstörungen könnte daher ein wichtiges Instrument in der Demenzprävention darstellen. Laut Frohnhofen könnten durch eine verbesserte Früherkennung und Therapie von Schlafstörungen langfristig auch erhebliche Kosten im Gesundheitssystem vermieden werden. Diese potenziellen Einsparungen resultieren nicht nur aus der geringeren Inzidenz demenzieller Erkrankungen, sondern auch aus dem reduzierten Bedarf an komplexen Behandlungskosten und Pflegeleistungen.
Die Expertenrunde wies jedoch auch auf die schwerwiegenden psychischen Risiken hin, die mit Schlafproblemen verbunden sind. Prof. Dr. Dieter Riemann, Vorstandssprecher der DGSM und renommierter Psychologe, betonte, dass sich das Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen bei chronischen Schlafproblemen um das Dreifache erhöht. Eine frühzeitige und zielgerichtete Therapie der Insomnie – insbesondere durch kognitive Verhaltenstherapie – könnte hier eine zentrale Rolle spielen und die Entstehung psychischer Erkrankungen verhindern oder zumindest hinauszögern. Die kognitive Verhaltenstherapie ist in der bevorstehenden Aktualisierung der DGSM-Leitlinie zur Insomnie weiterhin als Standardtherapie festgelegt, da sie eine hohe Wirksamkeit mit minimalen Nebenwirkungen aufweist. Dennoch erhält bislang nur ein Bruchteil der Betroffenen Zugang zu dieser Therapieform, was die Notwendigkeit alternativer oder ergänzender Angebote deutlich macht.
Eine dieser Alternativen sind digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die insbesondere bei der Behandlung von Schlafstörungen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die Experten zeigten sich in Bezug auf die Wirksamkeit dieser digitalen Begleiter positiv gestimmt. Zwar erreichen DiGA in der Regel nicht die Effektivität einer individuellen kognitiven Verhaltenstherapie, jedoch bieten sie den Nutzern die Möglichkeit, ihre Schlafsituation eigenständig zu dokumentieren und konkrete Rückmeldungen zu erhalten. „Für Menschen, die keinen Zugang zu einer Therapie haben oder auf einen Therapieplatz warten, bieten DiGA eine sinnvolle und zugängliche Option“, erläuterte Nilius. Vor allem für technikaffine ältere Menschen seien digitale Angebote durchaus attraktiv, so dass sie eine wertvolle Ergänzung im Gesamtangebot darstellen.
Eine kritische Einschätzung gab es hingegen zur Selbstmedikation mit pflanzlichen Präparaten. Pflanzliche Schlafmittel werden häufig in Eigenregie eingenommen, ohne dass zuvor eine medizinische Abklärung der zugrunde liegenden Ursachen erfolgt ist. Prof. Dr. Helmut Frohnhofen warnte eindringlich davor, dass Selbstmedikation ohne ärztliche Kontrolle das Risiko birgt, dass sich Schlafprobleme chronifizieren und die zugrunde liegende Ursache unbehandelt bleibt. Zudem variiere die Qualität solcher Präparate erheblich, weshalb die Experten dringend raten, diese ausschließlich in Apotheken zu erwerben, wo die Qualitätssicherung gewährleistet ist.
Eine weitere zentrale Diskussion drehte sich um die Rolle der Apotheken in der Prävention und Beratung bei Schlafstörungen. Prof. Nilius unterstrich, dass Apotheker eine wichtige Funktion als Berater einnehmen könnten, indem sie Kunden, die wiederholt pflanzliche Schlafmittel erwerben, auf die Notwendigkeit einer ärztlichen Abklärung hinweisen. Auch die Möglichkeit einer schlafmedizinischen Weiterbildung für Apotheker wurde erörtert. Eine solche Qualifizierung könnte Apotheker in die Lage versetzen, eine fachlich fundierte Beratung anzubieten und so zur Früherkennung und besseren Versorgung von Menschen mit Schlafproblemen beizutragen. Die Idee einer honorierten Beratungsleistung in Apotheken, ähnlich wie bei Präventionsleistungen in anderen Bereichen, wurde ebenfalls angesprochen. Dies könnte ein Anreiz sein, das Bewusstsein für die Bedeutung von Schlaf im Gesundheitssystem weiter zu stärken und die Apotheken als Anlaufstelle für Prävention und Beratung auszubauen.
Kommentar:
Schlaf wird oft als selbstverständlich betrachtet, dabei ist er eine der wichtigsten Ressourcen für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Die Experten, die auf der Pressekonferenz der DGSM sprachen, machen eindrucksvoll deutlich, wie weitreichend die Folgen von Schlafstörungen sein können – und dass sie mehr sind als ein vorübergehendes Problem. Schlafstörungen tragen nicht nur zu individuellen gesundheitlichen Belastungen bei, sondern haben auch schwerwiegende systemische Auswirkungen auf die Gesellschaft und das Gesundheitssystem. Eine Zunahme an Schlafproblemen bedeutet eine höhere Nachfrage nach medizinischer und psychologischer Betreuung, was die Kapazitäten im Gesundheitssystem stark beanspruchen kann. Dabei könnte eine gezielte Prävention und Frühbehandlung von Schlafstörungen viel Leid verhindern und das Gesundheitssystem langfristig entlasten.
Die Rolle der Apotheken als erste Anlaufstelle bei Schlafproblemen zu stärken, ist eine wegweisende Idee. In Apotheken kommen Menschen oft regelmäßig mit spezifischen Fragen zur Selbstmedikation und Prävention in Kontakt. Apotheker, die für Schlafprobleme sensibilisiert und geschult sind, könnten hier eine bedeutende Rolle in der Prävention einnehmen, indem sie Betroffene auf die Bedeutung einer frühzeitigen Abklärung und möglichen Therapieoptionen hinweisen. Die Einführung einer honorierten Beratungsleistung für Schlafstörungen würde Apothekern nicht nur einen Anreiz geben, sich weiterzubilden, sondern auch die Anerkennung dieser Beratungsleistung im Gesundheitssystem unterstreichen.
Die Diskussion um die Wirksamkeit von digitalen Gesundheitsanwendungen verdeutlicht zudem, wie wichtig es ist, moderne Techniken und innovative Lösungen in die Gesundheitsversorgung zu integrieren. DiGA bieten insbesondere für jene Patienten eine wertvolle Unterstützung, die sonst keinen Zugang zu therapeutischen Angeboten haben. In einer zunehmend digitalen Gesellschaft müssen solche Lösungen als feste Säule der Gesundheitsvorsorge etabliert werden. Dies gilt ebenso für die Verwendung von pflanzlichen Präparaten, die im besten Fall nach ärztlicher Konsultation und fachlicher Beratung erfolgen sollte. Eine engere Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Apothekern und digitalen Anbietern könnte den Weg zu einer effektiveren und ganzheitlichen Schlaftherapie ebnen.
Die Forderungen der DGSM sind ein wichtiger Impuls für die Gesundheitsvorsorge in Deutschland. Schlafstörungen dürfen nicht länger als banales Problem abgetan werden, sondern müssen als gesundheitlicher Risikofaktor ernst genommen werden. Die Gesellschaft muss die Bedeutung des Schlafs anerkennen und gezielte Maßnahmen ergreifen, um eine Kultur zu fördern, in der gesunder Schlaf wertgeschätzt und gefördert wird. Nur so können wir eine Zukunft gestalten, in der Menschen in ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit gestärkt und das Gesundheitssystem entlastet werden.
Von Engin Günder, Fachjournalist