In der gesundheitspolitischen Diskussion über die Folgen von Übergewicht und Adipositas wird zunehmend ein weiteres, weniger beachtetes Phänomen deutlich: Auch Menschen mit normalem Körpergewicht können an einer Fettleber erkranken. Laut aktuellen Studien sind bis zu 25 Prozent der Personen mit einem Body-Mass-Index (BMI) unter 25 von einer metabolischen Dysfunktion-assoziierten steatotischen Lebererkrankung, auch bekannt als MASLD, betroffen. Besonders alarmierend ist, dass diese Erkrankung bei normalgewichtigen Menschen häufig unbemerkt bleibt, da sie ohne typische Symptome von Übergewicht verläuft und die betroffenen Personen daher nicht als Risikogruppe wahrgenommen werden.
Das Problem dabei ist, dass eine Fettleber, selbst bei schlanken Menschen, zu schwerwiegenden Lebererkrankungen wie Fibrose, Zirrhose oder sogar Leberkrebs führen kann. Studien zeigen, dass die Schädigung der Leber bei den betroffenen normalgewichtigen Personen in der gleichen Weise fortschreiten kann wie bei übergewichtigen Menschen, was die Dringlichkeit einer frühzeitigen Erkennung und Therapie unterstreicht. Vor allem in den Feiertagen, die traditionell von reichhaltigen Mahlzeiten und übermäßigem Alkoholgenuss geprägt sind, geraten die Leber und ihre Funktionen unter zusätzlichen Stress. Experten warnen davor, dass dies das Risiko für eine Verschärfung der Erkrankung bei ohnehin schon gefährdeten Personen erhöhen könnte.
Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) macht in diesem Zusammenhang deutlich, dass die steigende Zahl an "schlanken" Fettleber-Patienten zu einer unterschätzten Gesundheitsgefahr geworden ist. „Der Begriff ‘schlanke Fettleber’ ist nicht nur irreführend, sondern gefährlich“, erklärt Professor Dr. Birgit Terjung, Ärztliche Direktorin der GFO Kliniken Bonn und Mediensprecherin der DGVS. „Da diese Personen nicht als klassische Risikogruppe wahrgenommen werden, bleibt die Erkrankung häufig unerkannt und unbemerkt.“ Viele Menschen mit normalem BMI, die dennoch einen hohen Körperfettanteil bei gleichzeitig geringer Muskelmasse haben, sind besonders anfällig für diese Art von Fettleber. Ein Phänomen, das als "skinny fat" bezeichnet wird und zunehmend auch in der medizinischen Forschung Beachtung findet.
Die betroffenen Patienten haben oft zusätzliche Risikofaktoren wie Bluthochdruck, erhöhten Blutzucker oder Störungen im Fettstoffwechsel. In Kombination mit einem ungesunden Lebensstil, der unzureichende Bewegung und eine unausgewogene Ernährung umfasst, verstärken diese Faktoren das Risiko für die Entwicklung von Lebererkrankungen und weiteren kardiovaskulären Komplikationen.
Aktuell gibt es nur begrenzte therapeutische Optionen für diese spezifische Patientengruppe. Ein kürzlich zugelassenes Medikament in den USA, Resmetirom, zielt auf die Behandlung von MASLD ab, allerdings fehlen noch Studien, die die Wirksamkeit dieses Medikaments speziell bei schlanken Menschen untersuchen. Auch der Einsatz von GLP-1-Analoga, die bei übergewichtigen Patienten vielversprechende Ergebnisse zeigen, bleibt bei der Behandlung der schlanken Fettleber eine offene Frage. Während sich der medizinische Fokus auf die Behandlung von Übergewicht und Adipositas konzentriert, wird die speziell auf schlanke Menschen ausgerichtete Forschung bisher kaum berücksichtigt.
In Bezug auf die Prävention und Behandlung bleibt den betroffenen Personen derzeit wenig anderes übrig, als ihre Ernährung umzustellen und regelmäßig Sport zu treiben. Bewegung und eine ausgewogene Ernährung sind nicht nur präventive Maßnahmen, sondern auch entscheidend, um das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen und mögliche Folgeschäden zu verhindern. Die DGVS fordert mehr Forschungsanstrengungen, um für diese Patienten zielgerichtete Therapien zu entwickeln und die Rolle der Darm-Leber-Achse zu untersuchen, da Interaktionen zwischen der Darmflora und der Leber neue therapeutische Ansätze eröffnen könnten.
Angesichts der steigenden Zahl der betroffenen Personen, die sich bislang keiner medizinischen Aufmerksamkeit bewusst waren, empfiehlt die DGVS, die MASLD bei normalgewichtigen Menschen stärker in den Fokus der Diagnostik und Prävention zu rücken. Ärzte sollten ihre Patienten auch ohne offensichtliches Übergewicht auf mögliche Risikofaktoren hin untersuchen. Die Öffentlichkeit muss stärker für das Thema sensibilisiert werden, um frühzeitig gegenzusteuern und diese bislang weitgehend unbekannte Krankheit besser zu bekämpfen.
Kommentar:
Die Entdeckung, dass auch Menschen mit normalem BMI an einer Fettleber erkranken können, fordert eine tiefgreifende Neubewertung der derzeitigen Gesundheitsstrategien. Lange galt Übergewicht als das Hauptmerkmal für das Risiko einer Fettleber, doch die aktuelle Forschung zeigt, dass auch dünne Menschen, die einen hohen Körperfettanteil und wenig Muskelmasse haben, betroffen sein können. Diese Erkenntnis verändert die Perspektive auf Prävention und Therapie und stellt die Frage, wie weit unser Verständnis von gesundheitlichen Risiken wirklich reicht.
Das Fehlen spezifischer Symptome bei schlanken Personen und die Tatsache, dass sie nicht als Risikogruppe wahrgenommen werden, macht eine frühzeitige Diagnose umso schwieriger. Wenn eine Erkrankung erst spät erkannt wird, ist der Weg zu schwerwiegenden Folgeschäden wie Fibrose und Leberkrebs oft bereits geebnet. Deshalb ist es umso wichtiger, das Bewusstsein sowohl in der Fachwelt als auch in der breiten Öffentlichkeit zu schärfen. Es braucht eine verstärkte Aufklärung darüber, dass Lebererkrankungen nicht nur das Problem von Übergewichtigen sind.
Zudem bleibt die Forschung auf diesem Gebiet unzureichend. Während Medikamente wie Resmetirom erste vielversprechende Ergebnisse zeigen, fehlt es an gezielten Studien, die speziell die Wirksamkeit dieser Medikamente bei schlanken Fettleber-Patienten untersuchen. Es bedarf dringend eines intensiveren wissenschaftlichen Engagements, um maßgeschneiderte Therapien für diese Gruppe zu entwickeln. Nur durch eine konsequente und umfassende Auseinandersetzung mit der „schlanken Fettleber“ und einer zielgerichteten Forschung können wir hoffen, die Zunahme dieser stillen Gefahr zu stoppen.
Vor allem aber muss die Prävention in den Vordergrund rücken. Ein gesunder Lebensstil, der gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung umfasst, ist der Schlüssel, um einer Fettleber vorzubeugen – und das gilt nicht nur für übergewichtige Menschen. Gerade in Zeiten wie den Feiertagen, in denen üppige Mahlzeiten und wenig Bewegung oft zum Alltag gehören, ist es wichtig, dass wir uns bewusst mit unserer Ernährung und Lebensweise auseinandersetzen. Nur durch solche präventiven Maßnahmen können wir verhindern, dass aus einer bislang unbemerkt fortschreitenden Krankheit schwerwiegende gesundheitliche Konsequenzen entstehen.
Von Engin Günder, Fachjournalist