Die Bundesregierung hat umfangreiche Steuerentlastungen in Aussicht gestellt, die Bürgerinnen und Bürger angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten finanziell entlasten sollen. Doch während diese Maßnahmen breiten Teilen der Bevölkerung zugutekommen dürften, warnen Experten zunehmend davor, dass vor allem Gutverdiener am Ende doch stärker zur Kasse gebeten werden könnten – eine Steuererhöhung durch die Hintertür.
Im Mittelpunkt der Kritik steht die sogenannte „kalte Progression“, ein Effekt, bei dem Lohnerhöhungen, die lediglich die Inflation ausgleichen, zu höheren Steuersätzen führen, ohne dass den Betroffenen tatsächlich mehr Geld zum Leben bleibt. Die Bundesregierung plant zwar, diese Progression durch eine Anpassung der Einkommenssteuersätze zu entschärfen. Doch diese Maßnahmen könnten durch andere steuerliche Anpassungen aufgefangen werden, insbesondere für Besserverdienende.
Ein zentraler Punkt ist die anhaltende Debatte um den Solidaritätszuschlag, der für große Teile der Bevölkerung bereits abgeschafft wurde, jedoch weiterhin von etwa zehn Prozent der Steuerzahler geleistet werden muss. Diese Gruppe umfasst in erster Linie Gutverdiener, die ohnehin einen großen Teil der Steuerlast tragen. Die Möglichkeit, dass der Soli für diese Gruppe bestehen bleibt, wird daher als zusätzliche Belastung empfunden, die mögliche Entlastungen schnell zunichtemachen könnte.
Darüber hinaus steht die Abzugsfähigkeit bestimmter Aufwendungen auf dem Prüfstand. Experten befürchten, dass Kürzungen bei Freibeträgen oder der eingeschränkte Abzug von Werbungskosten Gutverdiener stärker treffen könnten, als bislang angenommen. Diese steuerlichen Stellschrauben könnten den Effekt haben, dass die nominellen Entlastungen durch indirekte Steuererhöhungen wieder ausgeglichen werden.
Hinzu kommt die Frage der Unternehmenssteuern, die vor allem Selbstständige und Freiberufler betrifft. Während die Regierung auch hier Entlastungen verspricht, um die Wirtschaft zu stärken, bleibt unklar, in welchem Umfang diese tatsächlich umgesetzt werden. In Zeiten hoher Inflation und steigender Energiepreise könnten sich diese Erleichterungen als zu gering erweisen, um die steigenden Betriebskosten zu kompensieren. Auch die Einführung neuer Abgaben oder eine Verschärfung von Regelungen für Kapitalgesellschaften stehen weiterhin zur Debatte.
Schließlich steht die Befürchtung im Raum, dass die Steuererleichterungen nicht ausreichen könnten, um die Belastungen für Spitzenverdiener zu senken. Diese Gruppe trägt bereits einen großen Teil der Steuerlast und wird durch weitere indirekte Maßnahmen möglicherweise noch stärker belastet. Steuerexperten fordern deshalb klare Regelungen, die sicherstellen, dass Entlastungen tatsächlich bei allen Einkommensgruppen ankommen und nicht durch versteckte Mechanismen aufgezehrt werden.
Während die Bundesregierung betont, dass ihre Reformen breite Teile der Bevölkerung entlasten werden, bleibt abzuwarten, wie sich diese auf die verschiedenen Einkommensgruppen auswirken. Es könnte sein, dass für Gutverdiener die versprochene Entlastung am Ende durch höhere Steuerlasten in anderen Bereichen aufgehoben wird – eine Gefahr, die viele Steuerzahler besorgt.
Kommentar:
Die Steuerpolitik der Bundesregierung steht vor einem Dilemma: Einerseits sollen breite Bevölkerungsschichten angesichts der steigenden Inflation entlastet werden, andererseits darf der Staat nicht auf dringend benötigte Einnahmen verzichten. In dieser Gratwanderung droht insbesondere Gutverdienern eine unangenehme Überraschung.
Während die „kalte Progression“ als Problem erkannt wurde und deren Abschwächung ein richtiger Schritt ist, bleiben viele andere steuerliche Belastungen für Besserverdiener bestehen oder könnten sogar verschärft werden. Der Solidaritätszuschlag ist nur ein Beispiel für eine Abgabe, die längst abgeschafft gehört, aber weiterhin von einer kleinen, finanzstarken Gruppe gezahlt werden muss. Für diese Menschen könnten die versprochenen Steuererleichterungen schnell zur Farce werden, wenn im Gegenzug andere Belastungen zunehmen.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Steuerlast in Deutschland im internationalen Vergleich hoch ist. Wenn jetzt auch noch indirekte Steuererhöhungen drohen, steht zu befürchten, dass insbesondere die Leistungs- und Innovationsfähigkeit der Wirtschaft darunter leiden wird. Gutverdiener, Selbstständige und Freiberufler sind häufig diejenigen, die Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft ankurbeln – sie weiter zu belasten, könnte langfristig negative Folgen für das gesamte Land haben.
Die Bundesregierung muss daher für mehr Transparenz sorgen und sicherstellen, dass ihre Maßnahmen nicht durch versteckte Steuererhöhungen konterkariert werden. Es braucht eine ehrliche Debatte darüber, wie die Steuerlast fair verteilt werden kann, ohne bestimmte Gruppen übermäßig zu belasten. Steuerpolitik darf nicht zu einem Spiel mit versteckten Karten werden, das das Vertrauen in die Regierung untergräbt.
Von Engin Günder, Fachjournalist