Die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten ist ein kontrovers diskutiertes Thema. Während manche das sogenannte "Sonnenvitamin" als unverzichtbar für die Gesundheit bezeichnen, warnen andere vor unnötiger Supplementation und den Gefahren einer Überdosierung. Eine aktuelle Untersuchung von Öko-Test wirft ein differenziertes Licht auf die Thematik und stellt klar: Für viele gesunde Menschen, die sich regelmäßig im Freien aufhalten, bieten Vitamin-D-Präparate keinen nachweisbaren Nutzen.
Die Untersuchung umfasste 23 Produkte, darunter vier Arzneimittel und 19 Nahrungsergänzungsmittel. Diese wurden im Labor analysiert und nach wissenschaftlichen Standards bewertet. Die Ergebnisse verdeutlichen die Spannungsfelder zwischen medizinischem Nutzen, Produktsicherheit und Konsumentenverhalten.
Arzneimittel überzeugen – mit Einschränkungen
Die vier getesteten Arzneimittel erhielten im Hinblick auf ihre Wirksamkeit überwiegend positive Bewertungen. Studien bestätigen, dass diese Produkte für spezifische medizinische Indikationen geeignet sind, etwa bei nachgewiesenem Vitamin-D-Mangel oder zur Unterstützung bestimmter Erkrankungen. Besonders hervorgehoben wurden „Dekristol 1000 I.E.“ von Mibe und „Vitamin D3 Hevert Tabletten 1000 I.E.“, die die Bestnote „sehr gut“ erhielten. Sie erfüllen nicht nur alle relevanten Qualitätskriterien, sondern weisen auch klare Anwendungshinweise auf: Die Einnahme sollte ausschließlich nach ärztlicher Empfehlung und unter fachlicher Kontrolle erfolgen.
Allerdings wurden zwei Arzneimittel, die ebenfalls eine gute Wirksamkeit zeigten, aufgrund des Inhaltsstoffs Talkum auf „gut“ herabgestuft. Talkum, ein häufiger Hilfsstoff, wurde von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft, was eine Abwertung aus Verbraucherschutzperspektive nach sich zog.
Kritik an Nahrungsergänzungsmitteln: Hohe Dosierungen und fragliche Zusatzstoffe
Weitaus kritischer fiel die Bewertung der 19 Nahrungsergänzungsmittel aus. Diese sind für die tägliche Einnahme konzipiert und sollen laut Herstellern die Versorgung mit Vitamin D sicherstellen. Doch Öko-Test stellte fest, dass 15 dieser Produkte die Höchstmengenempfehlung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) von 20 Mikrogramm (800 I.E.) pro Tag überschreiten. Ein Präparat enthielt sogar 100 Mikrogramm Vitamin D pro Tag – das Fünffache der empfohlenen Dosis.
Überhöhte Mengen können gesundheitliche Risiken bergen, da überschüssiges Vitamin D nicht über den Urin ausgeschieden, sondern im Körper gespeichert wird. Langfristige Überdosierungen können zu Hyperkalzämie führen, einer gefährlichen Erhöhung des Kalziumspiegels im Blut, die Nierensteine und Organschäden verursachen kann.
Neben den Dosierungsproblemen bemängelte Öko-Test auch die Verwendung fragwürdiger Zusatzstoffe in einigen Präparaten. Nur zwei Nahrungsergänzungsmittel, „Hübner Vitamin D3 Tropfen 800 I.E.“ und „Pure Encapsulations Vitamin D3 1000 I.E. Kapseln“, erhielten die Note „gut“. Sie hielten sich an die empfohlenen Dosierungen und überzeugten durch eine hochwertige Zusammensetzung ohne bedenkliche Inhaltsstoffe.
Vitamin D: Natürlich oder künstlich?
Vitamin D spielt eine wesentliche Rolle für die Knochengesundheit, den Stoffwechsel und das Immunsystem. Es wird in der Haut durch Sonnenbestrahlung synthetisiert, wobei bis zu 90 Prozent des Bedarfs über die körpereigene Produktion gedeckt werden können. Nur wenige Menschen, etwa Senioren, Menschen mit dunkler Hautfarbe in nördlichen Breiten oder Personen mit chronischen Erkrankungen, benötigen tatsächlich eine Supplementation.
Die Ergebnisse von Öko-Test unterstreichen die Bedeutung eines bewussten Umgangs mit Vitamin-D-Präparaten. Gesunde Menschen, die regelmäßig ins Freie gehen und eine ausgewogene Ernährung einhalten, haben in der Regel keinen zusätzlichen Nutzen. Stattdessen wird empfohlen, Sonnenschein zu nutzen, um den Vitamin-D-Spiegel auf natürliche Weise zu stabilisieren.
Kommentar:
Die Diskussion um Vitamin D ist ein Paradebeispiel für die Gratwanderung zwischen berechtigtem medizinischen Bedarf und der Vermarktung von Nahrungsergänzungsmitteln. Die Ergebnisse der Öko-Test-Analyse machen deutlich, wie entscheidend eine differenzierte Betrachtung ist.
Für Menschen mit einem diagnostizierten Vitamin-D-Mangel oder spezifischen Erkrankungen kann die Einnahme eines ärztlich verordneten Präparats eine sinnvolle Maßnahme sein. Doch die großzügige Vermarktung von hochdosierten Nahrungsergänzungsmitteln schafft ein diffuses Bedürfnis in der breiten Bevölkerung, das nicht immer auf wissenschaftlichen Grundlagen beruht. Hier wird mit der Unsicherheit der Verbraucher gespielt – und das oft auf Kosten der Gesundheit.
Besonders besorgniserregend sind die überhöhten Dosierungen vieler Nahrungsergänzungsmittel. Wenn ein Produkt die empfohlene Höchstmenge um das Fünffache überschreitet, stellt sich die Frage nach der Verantwortung der Hersteller und der Notwendigkeit klarer regulatorischer Vorgaben. Verbraucher können oft nur schwer einschätzen, welche Mengen sicher sind, und laufen Gefahr, durch langfristige Einnahme gesundheitliche Schäden davonzutragen.
Auch die Verwendung umstrittener Zusatzstoffe wie Talkum zeigt, dass der Verbraucherschutz stärker in den Fokus rücken muss. Während Arzneimittel in der Regel strengeren Kontrollen unterliegen, weisen Nahrungsergänzungsmittel oft große Schwächen in ihrer Qualitätskontrolle auf.
Letztlich liegt es an den Verbrauchern, kritisch zu hinterfragen, ob ein Präparat wirklich nötig ist. Eine bessere Aufklärung und eine differenzierte Kommunikation durch Ärzte, Apotheker und öffentliche Stellen könnten dazu beitragen, unnötige Einnahmen zu vermeiden. Doch der wichtigste und zugleich einfachste Ratschlag bleibt: Zeit im Freien, kombiniert mit einer ausgewogenen Ernährung, ist für die meisten Menschen der Schlüssel zu einer ausreichenden Vitamin-D-Versorgung.
Von Engin Günder, Fachjournalist