Die Diskussion um das deutsche Rentensystem wird zunehmend von der Angst vor einem Kollaps des Umlageverfahrens geprägt. Die deutsche Bevölkerung altert schneller als erwartet, und während die Lebenserwartung weiter steigt, schrumpft die Zahl derer, die in die Rentenkassen einzahlen. In anderen europäischen Ländern hat man sich längst mit ähnlichen Problemen konfrontiert gesehen und entsprechend reagiert. Länder wie Schweden, Dänemark und die Niederlande bieten interessante Lösungsansätze, die Deutschland als Vorbild dienen könnten, um das eigene Rentensystem zu reformieren und für die Zukunft fit zu machen.
Schweden führte bereits in den 1990er Jahren tiefgreifende Reformen ein, die das Rentensystem flexibler und nachhaltiger gestalten sollten. Im Mittelpunkt steht das sogenannte „Notional Defined Contribution“-System, bei dem Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf individuellen Konten verbucht werden. Diese Methode sorgt für Transparenz und Bindung der Rentenleistungen an die eingezahlten Beiträge. Zudem ist das System so konzipiert, dass die Renten an die Lebenserwartung angepasst werden, was eine gerechtere Verteilung der Mittel ermöglicht. Die Schweden können zudem aus verschiedenen Komponenten ihrer Rente wählen, darunter eine staatliche Grundrente und eine private Zusatzvorsorge.
In den Niederlanden basiert das Rentensystem auf einem Drei-Säulen-Modell. Die erste Säule ist die staatliche Grundrente, die sich nicht an den individuellen Beiträgen, sondern an der Anzahl der in den Niederlanden verbrachten Jahre orientiert. Diese Grundrente wird durch eine stark ausgebaute betriebliche Altersvorsorge ergänzt, die von den Arbeitgebern organisiert wird. Arbeitnehmer können zudem privat vorsorgen. Besonders bemerkenswert ist die Kapitaldeckung, die im Gegensatz zum deutschen Umlagesystem eine höhere finanzielle Sicherheit gewährleistet. So profitieren niederländische Rentner von den Erträgen aus einem nationalen Pensionsfonds, der global investiert und langfristige Stabilität bietet.
Dänemark verfolgt einen ähnlichen Ansatz mit einer steuerfinanzierten Grundrente, die durch betriebliche und private Vorsorge ergänzt wird. In Dänemark liegt ein starker Fokus auf dem Prinzip der Eigenverantwortung, und das System fördert eine langfristige Vorsorge über den gesamten Arbeitslebenszyklus. Arbeitnehmer und Arbeitgeber tragen gleichermaßen zu den Pensionsfonds bei, die sich aus einer Mischung aus Kapitaldeckung und Umlageverfahren zusammensetzen. Darüber hinaus gibt es ein flexibles Renteneintrittsalter, das individuell an die Lebensumstände und Gesundheit der Bürger angepasst werden kann.
Deutschland hingegen setzt weiterhin stark auf das Umlagesystem, bei dem die aktuelle Generation von Beitragszahlern die Renten der aktuellen Rentner finanziert. Dieses Modell gerät jedoch zunehmend unter Druck, da immer weniger junge Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten, während die Zahl der Rentner steigt. Die Einführung einer kapitalgedeckten Komponente wird seit Jahren diskutiert, jedoch bislang nur zögerlich angegangen. Ein weiterer Streitpunkt ist die Einbeziehung von Selbstständigen und Beamten in das gesetzliche Rentensystem, die bislang oft ausgenommen sind.
Experten fordern seit Jahren umfassende Reformen in Deutschland. Dazu gehört unter anderem eine stärkere Förderung der betrieblichen Altersvorsorge, wie sie in anderen europäischen Ländern gang und gäbe ist. Auch die Förderung privater Vorsorge sollte ausgebaut werden, um die Abhängigkeit von der staatlichen Rente zu verringern. Doch die politische Umsetzung solcher Maßnahmen verläuft schleppend. Während andere Länder auf die demografischen Herausforderungen proaktiv reagieren, wird in Deutschland noch über Details gestritten.
Der Reformdruck wächst jedoch. Studien zeigen, dass das deutsche Rentensystem ohne tiefgreifende Veränderungen auf lange Sicht nicht stabil bleiben kann. Der soziale Frieden hängt maßgeblich davon ab, wie gut die Rente künftig abgesichert ist. Eine mögliche Lösung liegt in einem Mischmodell, das sowohl die Solidarität des Umlageverfahrens wahrt als auch eine private kapitalgedeckte Komponente einführt. Flexiblere Renteneintrittsmodelle und eine Einbindung aller Berufsgruppen in die gesetzliche Rente könnten ebenfalls helfen, das System langfristig zu sichern.
Kommentar:
Deutschland steht bei der Rentenreform am Scheideweg. Während die Herausforderungen durch den demografischen Wandel längst bekannt sind, fehlt es noch immer an einem politischen Konsens, um die nötigen Reformen anzugehen. Andere europäische Länder, die sich in einer ähnlichen Lage befinden, haben gezeigt, dass eine Mischung aus staatlicher Rente, betrieblicher Altersvorsorge und privater Eigenvorsorge der Schlüssel zu einem stabilen Rentensystem sein kann.
Der Widerstand gegen eine tiefgreifende Reform in Deutschland ist oft ideologisch geprägt. Viele Politiker scheuen sich, das bestehende System grundlegend zu verändern, aus Angst vor sozialer Ungerechtigkeit. Doch genau diese Haltung könnte sich als Bumerang erweisen. Ein starres Festhalten am Umlagesystem bedeutet, dass künftige Generationen noch stärker belastet werden, während die Rentenleistungen für heutige Rentner auf wackeligen Beinen stehen.
Eine kapitalgedeckte Rente ist kein Allheilmittel, aber sie bietet langfristig mehr Sicherheit als ein System, das allein auf der Solidarität zwischen den Generationen fußt. Gleichzeitig muss die Flexibilität für Arbeitnehmer erhöht werden. Wer länger arbeiten möchte oder kann, sollte dies tun dürfen, ohne Nachteile bei der Rentenberechnung zu haben. Die Reformen in Schweden, den Niederlanden und Dänemark zeigen, dass solche Modelle funktionieren – und dass es Zeit für mutige Entscheidungen in Deutschland ist.
Von Engin Günder, Fachjournalist