Die in Zusammenarbeit mit Experten des FIR der RWTH Aachen erstellte Studie analysiert die ausgewählten Praxisanwendungen anhand von vier Kriterien, die je nach Grad ihrer Umsetzung im Projekt Aufschluss auf den Grad der Intelligenz des Systems geben. Diese Bewertungsdimensionen lauten:
- Grad der Informationsverarbeitung: Können Objekte ihre zugeordneten Daten selbst verarbeiten? Sind sie in der Lage, aus ihnen Informationen zu gewinnen oder gar auf deren Basis entsprechende Entscheidungen treffen?
- Ort der Informationsverarbeitung: Erfolgt die Informationsverarbeitung zentral oder bereits autonom in den beteiligten Maschinen bzw. Objekten?
- Aktorik: Ist ein Objekt in der Lage, das System physisch oder prozesstechnisch zu beeinflussen? Kann es selbst physische Aktionen auslösen oder gar mit dem Nutzer interagieren?
- Sensorik: Kann ein Objekt Prozessparameter über sich selbst erfassen? Ist es in der Lage, vielleicht sogar mehrere Werte miteinander in Verbindung zu bringen?
Eines der auf diese Weise untersuchten Industrie-4.0-Praxisszenarien ist die Automatisierung und Optimierung der Verarbeitungsprozesse beim Thüringer Beschichtungsspezialisten GBneuhaus mithilfe der Asseco-Lösung APplus. Das vom Asseco-Partner N+P Informationssysteme betreute Unternehmen veredelt unter anderem Brenner für Fahrzeugbeleuchtungen mit speziellen Nano-Beschichtungen, die durch eine mehrstufige Oberflächenbehandlung erzeugt werden. Da Kunden zunehmend höhere Ansprüche hinsichtlich Qualität und Flexibilität stellen und gleichzeitig immer größere Stückzahlen produziert werden müssen, fasste GBneuhaus den Entschluss, seine Abläufe mit APplus MES zu optimieren, einer integrierten Lösung von Asseco Solutions und N+P Informationssysteme. Letztere unterstützten das Unternehmen zudem mit allem notwendigen Know-how bei der Einführung der intelligenten Technik.
Die Werkstückträger für alle zu bearbeitenden Werkstücke werden seither mithilfe eines hitzegeeigneten Binärcodes markiert und im Fertigungssystem eingecheckt. Dies verbindet den im ERP-System vorliegenden Auftrag und die zugehörigen Informationen wie Arbeitsablauf und Vorgabewerte mit den einzelnen Schritten des Beschichtungsprozesses. Zu dessen Stationen gehören unter anderem Tauchbäder, Wärmebehandlungsöfen und Messplätze. Bevor das markierte Werkstück dort jeweils weiterverarbeitet wird, erfolgt eine automatisierte Identifizierung mithilfe des Binärcodes. Infolgedessen passen sich die Maschinen flexibel an die individuellen Anforderungen des Auftrags in Bezug auf Parameter wie Temperatur, Programm oder Dauer an. Dabei werden auch die Ist- und Sollwerte überprüft - stellt das System Abweichungen fest, wird das Werkstück automatisch als Ausschuss aus dem Prozess aussortiert, und so die gewünschte Produktionsqualität sichergestellt. Alle während der Beschichtung gesammelten Verarbeitungs- und Prozessdaten - einschließlich derjenigen zur Ausschussware - werden in APplus MES automatisch protokolliert. Diese können dann direkt für weitere Aufgaben wie etwa die Ausstellung von Zertifikaten oder auch zu Analysezwecken für Prozessoptimierungen verwendet werden. Insgesamt konnte GBneuhaus dadurch die Fehlerquote sowie Doppelbearbeitungen deutlich reduzieren. Durch diese Maßnahmen sowie die erreichte Reduzierung der Rüst- und Stillstandszeiten konnte GBneuhaus die produzierte Stückzahl um 80 Prozent erhöhen.
Erkenntnisgewinn für Anwender und Hersteller
Auf Basis der verwendeten Systematik stuft die FIR-Studie das Projekt der GBneuhaus als eines der fortschrittlichen Industrie-4.0-Systeme ein, die auf Basis integrierter Sensorik eine automatische Überwachung der Prozessparameter ermöglichen. So erreicht das System in Bezug auf den Grad der Informationsverarbeitung die Höchstwertung, da beteiligte Objekte aus den zugehörigen Parametern nicht nur Informationen gewinnen, sondern auf deren Basis auch Entscheidungen treffen können, wie etwa ein fehlerhaftes Werkstück aus dem Verarbeitungsprozess auszuschließen. Dazu verwendet das System eine recht ausgereifte Aktorik, die es dem System ermöglicht, physische Aktionen auszulösen, die keine Beteiligung des Nutzers erfordern.
"Mit Leuchtturmszenarien wie diesen wollen wir vor allem auch in kleinen und mittleren Unternehmen den Weg für den Einsatz der smarten Technologien ebnen. Denn gerade sie benötigen für ihre Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen und Nutzenkalkulationen belegbare Informationen über tatsächlich erzielte Resultate", so Thorsten Reuper, CTO der Asseco Solutions. "Zudem macht eine derart detaillierte Analyse der aktuellen Praxisprojekte nicht nur die Möglichkeiten von Industrie 4.0 für den Mittelstand transparent; vielmehr liefert sie auch den Anbietern Hinweise darauf, wo weitere Potenziale liegen, die in Zukunft noch erschlossen werden können. Das hilft uns, die Technologie noch leistungsstärker zu machen."
[1] BITKOM & Fraunhofer IAO (2014): Industrie 4.0 - Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland, abrufbar unter https://www.bitkom.org/...