- Audi beschäftigt 2.033 Menschen mit Behinderung
- "Die Arbeit hat mich gerettet"
- Lernen bis ins Alter
Die AUDI AG wurde Anfang Dezember mit dem Integrationspreis "JobErfolg 2007 – Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz" ausgezeichnet. Personalvorstand Dr. Werner Widuckel nahm den Preis der bayerischen Staatsregierung in der Rubrik "Privatwirtschaft" entgegen. Die Auszeichnung würdigt beispielhaftes und herausragendes Engagement für Menschen mit Behinderung und deren Eingliederung in das Berufsleben. Menschen wie Waldemar Bergstreiser, Thomas Leibhard oder Karl-Heinz Arm:
"Ich bin so glücklich und dankbar, dass ich noch mal das Leben spüre, nicht als Zuschauer, sondern als Mitwirkender. Dass ich noch einmal aktiv sein darf und etwas bewegen kann", sagt Waldemar Bergstreiser. Er hat in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag gefeiert. Auf den ersten Blick scheint es keinen Unterschied zwischen ihm und seinen Kollegen zu geben, die in der Qualitätssicherung der CKD* Verpackung bei Audi tätig sind. Ein Mann mittlerer Statur, braunes Haar, aus dem leichtes Grau durchschimmert, er trägt einen Arbeitskittel. Und doch ist etwas anders, strahlt er ungewöhnlichen Tatendrang und Lebensfreude aus. Es ist der Glanz in seinen Augen, das unerschütterbare Strahlen, als er zu erzählen beginnt: "Es erfüllt mich, dass ich mein Geld verdienen darf und es nicht einfach nur so als Außenseiter der arbeitsfähigen Gesellschaft bekomme. Zu erleben, dass ich etwas leisten kann und meine Arbeit wertgeschätzt wird, war die beste Medizin auf meinem langen Weg der Genesung." Bergstreiser ist schwer behindert, auch wenn man ihm dies nicht ansieht. Was ist passiert?
November 1992. Bergstreiser war bei Audi in der A4 Montage tätig und verlegte Kofferraumauskleidungen. Er spürte Schmerzen im Oberbauch und ging mittags zum Arzt. Die Spätschicht sollte seine letzte Tätigkeit für die nächsten 7 Jahre sein. Diagnose: Leukämie. Lebenserwartung: 4 Jahre, wenn kein Knochenmarkspender gefunden wird. Der Vater zweier Kinder war damals 35 Jahre. Es folgt eine Chemotherapie nach der anderen. Als man 4 Jahre später eine Knochenmarkspenderin fand, war Bergstreiser zu schwach für die Operation. Die Ärzte gaben ihm keine Überlebenschance mehr. Seine Lippen zittern, seine Augen sind feucht als er erzählt: "In diesem Moment habe ich gelernt, wie wichtig es ist, nicht aufzugeben. Wenn man nur noch eine Wand sieht, muss man weiter nach oben klettern um drüber zu schauen, um neue Möglichkeiten und Perspektiven zu finden." Seine Frau fuhr ihn nach München. Er ließ sich als Proband auf eine neue Therapie ein, die anschlug. Nach drei Monaten Intensivstation konnte die Transplantation vorgenommen werden. Es ist der 19. Juni 1997. "Diesen Tag werde ich nie vergessen", sagt er. Nach sieben Monaten darf er die Intensivstation das erste Mal verlassen, wieder frische Luft einatmen, wieder Licht in sein Leben lassen. Er lernt erneut laufen, muss Vieles wieder entdecken. Es dauert weitere zwei Jahre bis man ihm erlaubt, zu arbeiten.
Sieben Jahre sind vergangen seitdem er das letzte Mal in der Audi Produktion tätig war. Eine taktgebundene Arbeit ist körperlich für Bergstreiser nicht mehr machbar. Personalwesen, Betriebsrat, Betriebsarzt, Schwerbehinderten-vertretung und Sozialbetreuung beraten bei Audi gemeinsam, um für Bergstreiser eine adäquate Alternative zu finden, die seinen Fähigkeiten und Qualifikationen entspricht und seinen körperlichen Einschränkungen Rechnung trägt. "Die Wiedereinstellung bei Audi war meine Rettung. Die Sozialarbeiterin hat die gesamte Zeit über Kontakt zu mir und meiner Familie gehalten. Und sie haben tatsächlich einen Arbeitsplatz für mich gefunden." Er lacht aus vollem Herzen und strahlt über das ganze Gesicht. Im November 1999 nimmt Bergstreiser wieder seine Arbeit auf. Er verpackt Kleinteile, die in das Audi Werk in Changchun (China) geliefert werden. Dort wo jährlich über 100.000 Audi A6 produziert werden. "Die Arbeit hat mich gesund gemacht. Ich hab mich endlich wieder wie ein ganz normaler Mensch gefühlt. Ich bin wertgeschätzt worden und habe mir gedacht, ich kann noch mehr in diesem Leben." Mit 46 Jahren beginnt Bergstreiser berufsbegleitend eine Meisterschule. Er drückt Freitag abends und samstags die Schulbank. "Ich war wohl der älteste Schüler", erzählt er lächelnd. Er ist stolz auf seinen Meisterbrief, den er mit 48 Jahren erhalten hat "Ich hab mich so gefreut, dass ich dies noch einmal in meinem Leben geschafft habe. Ich hatte fast vergessen, wie es ist, noch mal zu lernen. Ich musste sicher mehr tun als die Jüngeren, aber meine Familie hat mich immer unterstützt." Bergstreiser lacht und strahlt Zufriedenheit aus. "Audi hat mich mit einer höherwertigen Aufgabe belohnt. Hier hat man mir die menschliche Würde zurückgegeben. Ich bin so dankbar, dass ich wieder arbeiten darf." Für einen kurzen Moment bekommen seine Augen einen wehmütigen Blick als er sich an die Zeit seiner Krankheit erinnert.
"Es geht vieles von Dir als Mensch verloren. Du kannst nichts dagegen machen und bist ständig auf andere angewiesen. Darum genieße ich heute jeden Tag, an dem ich etwas anpacken kann. Und Audi ist für mich der beste Arbeitgeber." Das Unternehmen sei für ihn von Anfang an Wegbereiter gewesen. Bergstreiser kam mit seiner Familie 1989 aus Kasachstan nach Deutschland. "Ursprünglich wollten wir nach Augsburg zu Verwandten, aber Audi hat mir Arbeit gegeben und eine Wohnung. Die Chance durfte ich mir nicht entgehen lassen." Bergstreiser strahlt eine sagenhafte Lebensfreude aus und ist überzeugt, er hat noch viel vor sich. Er läuft durch "seine" Halle, in der rund 2.300 Stücke pro Woche verpackt werden, um sicher auf die große Reise zu gehen. Nun kommt Indien als neuer Zielort dazu, wo Audi in diesem Herbst mit der Fertigung des A6 begonnen hat.
Ihm kommt ein flotter Gabelstapler-Fahrer entgegen. Im Fahrerhaus sitzt Thomas Leibhard. Das Fahren macht ihm sichtlich Freude, er lacht über beide Ohren. Der 22 Jährige hat von Geburt an einen Herzfehler und ist mit einer Schädeldeformität zur Welt gekommen. Eigentlich hätte Leibhard Automobilmechaniker werden wollen, darf jedoch nicht schwer heben. So hat er eine dreijährige Lehre zur Fachkraft für Lagerlogistik bei Audi gemacht. Er bremst kurz, um uns zu begrüßen. "Ich war bei der Ausbildung in einer ganz normalen Klasse integriert. Wir waren in den Praxisphasen im ganzen Werk unterwegs, alle acht Wochen in einer anderen Abteilung. Das fand ich sehr interessant."
Am anderen Ende des Audi Werks in Ingolstadt arbeitet Karl-Heinz Arm. Der 39-Jährige bereitet Anlasser und Lichtmaschinen auf. Das Sprechen fällt ihm schwer. "Ich bin froh und dankbar, hier wieder eine Aufgabe gefunden zu haben. Ich habe sieben Monate nicht arbeiten können und in die A4 Montage konnte ich nicht zurück. Die Taktzeit hätte ich nicht mehr geschafft." Arm hatte Kehlkopfkrebs, so dass ihm der Kehlkopf entfernt werden musste. Der Grad seiner Behinderung ist mit 100 Prozent eingestuft. Er scherzt mit seinem Kollegen, Adrian Schneider (37), der dieselbe Tätigkeit am benachbarten Arbeitsplatz ausführt. Dass er mit einem behinderten Kollegen im Team arbeitet, spielt für ihn keine Rolle. Im Gegenteil "Ich nehme die Behinderung im täglichen Umgang überhaupt nicht wahr."
AUDI AG
- beschäftigt rund 45.000 Mitarbeiter an den deutschen Produktionsstandorten
- Menschen mit Behinderung: 2.033 (Stand 30.10.07)
- Beschäftigungsquote: 5,3 Prozent
- Aufträge an Werkstätten fürbehinderte Menschen: ca. 3,7 Mio. Euro (2006)
Die Bayerische Staatsregierung verlieh am 03.12.2007, dem Welttag für Menschen mit Behinderung, den Preis "JobErfolg 2007- Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz".
- Ausgezeichnet werden Unternehmen für beispielhaftes Engagement für Menschen mit Behinderung und deren Integration in das Arbeitsleben
- Audi erhielt den Preis der privaten Wirtschaft