- Zulieferer-Branche erholt sich, Umsätze steigen, aber die Margen stagnieren.
- Rohstoff- und Energiekosten sinken nur langsam und belasten die Zulieferer wie gehabt.
- Deutsche und japanische Zulieferer besitzen weiterhin die Vormachtstellung, aber die größten Gewinner kommen erneut aus Asien.
- Höchste Profitabilität bei Halbleiter- und Reifenherstellern.
- Zustand der deutschen Zuliefererindustrie zunehmend bedenklich.
Wie in den Vorjahren, liegen die OEMs und Lieferanten bei der Marge weit auseinander. Die Autohersteller erreichen mit einer Durchschnittsmarge von 8,5 Prozent wie in den beiden vorangegangenen TOP 100-Studien einen neuen Bestwert, während die Zulieferer mit 5,9 Prozent lediglich das Vor-Corona-Niveau erreicht haben. Im vergangenen Jahr steigerte die Branche ihren Umsatz allerdings auf den neuen Rekordwert von 1,135 Milliarden Euro. Der wichtigste Faktor für das Wachstum war die gestiegene Nachfrage nach Neufahrzeugen in Nordamerika und Europa. Die weiterhin hohen Erzeugerpreise für Energie und Rohstoffe, konnten die Zulieferer nur in sehr seltenen Fällen voll an die OEMs verrechnen.
Innerhalb der Top 10-Spitzengruppe der größten Zulieferer-Unternehmen gab es in den vergangenen Jahren viel Bewegung. Bemerkenswert ist vor allem der kontinuierliche Abstieg von Continental. Das Unternehmen legt 2023 zwar bei Umsatz und Marge zu, wird aber, wie schon in den beiden Vorjahren um einen Rang nach unten durchgereicht und belegt mittlerweile nur noch Platz fünf. Im Jahr 2019 hielt Conti noch Position zwei hinter Bosch. 2023 ist es der koreanische Zulieferer Hyundai Mobis der an Conti vorbeizieht. Es gibt lediglich eine eherne Konstante in den Top 10: Bosch. Das Unternehmen bleibt Spitzenreiter und kann seinen Abstand zu Verfolger Denso ausbauen, ZF besetzt erneut die dritte Position. Und China? Ist mit dem großen Batteriehersteller CATL wie schon im Vorjahr an Platz sieben vertreten, ohne sich nennenswert weiter an Magna auf Platz sechs heranarbeiten zu können.
Ohne Frage, die rasante Entwicklung der chinesischen Zuliefererindustrie ist eine auch für Experten nicht vorhersehbare Entwicklung, wie Dr. Jan Dannenberg, Initiator der Zulieferer-Studie und Partner bei Berylls by AlixPartners hervorhebt: „Mit den TOP 100 zeichnen wir seit mehr als zehn Jahren ein Bild der Zuliefererindustrie, das die längerfristigen Entwicklungen wiedergibt. Vor 13 Jahren war es undenkbar, dass chinesische Unternehmen innerhalb so kurzer Zeit so eine große Bedeutung bekommen.“
Allerdings wächst die Zahl der chinesischen Zulieferer innerhalb der TOP 100 nicht sprunghaft. Im 2023er Ranking schafften es acht Lieferanten aus China in die TOP 100, in diesem Jahr ist ein neuntes Unternehmen hinzugekommen: Sailun, ein Reifenhersteller. Nicht nur in der Spitzengruppe der TOP 100 gibt es eine große Dynamik, auch in den Rängen dahinter. Seit 2019 sind immerhin 13 neue Zulieferer in die TOP 100 eingezogen, 62 Prozent von ihnen stammen aus dem asiatischen Raum, die Marktanteile verschieben sich langsam, aber nachhaltig zugunsten der Asiaten, vor allem der Koreaner und Chinesen. Blicken wir auf die erste Berylls-Zuliefererstudie zurück, wird deutlich, wie stark sich die Branche gewandelt hat. Bemerkenswerte 30 Prozent der Unternehmen, die heute zu den TOP 100 gehören (beispielsweise CATL, Infineon, LG, Renesas, Samsung), waren im Anfangsjahr nicht dabei. Geradezu explodiert ist die Zahlen der Batterie-, Halbleiter- und Elektronikhersteller. Bei klassischen Marktbereichen, wie Stahlteilen, Lenkung, Bremsen oder Reifen, waren die Veränderungen weniger ausgeprägt.
Noch ist die Vormachtstellung der deutschen und japanischen Lieferanten zwar ungebrochen, ihre Bedeutung erodiert allerdings. In den vergangenen Jahren hat das Segment der japanischen Unternehmen rund fünf Prozent am globalen Zulieferermarkt verloren, die deutsche Gruppe schrumpfte um zwei Prozent. In ihrer Gesamtheit stehen sie allerdings immer noch für etwa 40 Prozent der weltweiten Zuliefererindustrie.
Weil sich allerdings die Bedeutung der Warengruppen verschiebt, hin zur Batterie- und Halbleiterindustrie, besteht die Gefahr, dass die Position der deutschen Unternehmen weiter unter Druck gerät, denn sie sind kaum in diesem besonders zukunftsträchtigen Wachstumsmarkt vertreten. Ganz anders die chinesischen Unternehmen, die sich hier auf einem starken Wachstumspfad befinden. Dementsprechend erwarten die Berylls Experten im Jahr 2030 eine in weiten Bereichen neue Zusammensetzung der TOP 100. „2030 sehen wir bereits 17 chinesische Unternehmen innerhalb der TOP 100, nur 18 Jahre nachdem mit Weichai Power das erste Unternehmen in diese Spitzengruppe vordringen konnte. Es ist außerdem davon auszugehen, dass CATL 2030 den Spitzenplatz in unserem Ranking belegen wird,“ prognostiziert Dr. Alexander Timmer, Partner bei Berylls by AlixPartners.
Die guten Zahlen, die hinter dem aktuellen Ranking liegen täuschen allerdings über eine negative Entwicklung hinweg. Im Mittel stieg die umsatzgewichtete Marge der TOP 100 zwar um 0,7 Prozentpunkte auf 5,9 Prozent, das bedeutet aber auch, dass 50 Prozent der Unternehmen unterhalb dieser Marge liegen. Vor allem für den deutschen Mittelstand ist dies bedenklich. Dr. Jürgen Simon, Associate Partner bei Berylls by AlixPartners: „Wir sehen, dass die Marge bei den mittelständischen Lieferanten in Deutschland vielfach bei nur vier bis 4,5 Prozent oder sogar darunter liegt. Damit ist die dringend nötige Transformation der Unternehmen kaum zu stemmen.“
Problematisch für den Standort Deutschland ist auch, dass die Reifenhersteller als einzige Warengruppe nicht vom gestiegenen Fahrzeugabsatz im Jahr 2023 profitieren konnten. Das umsatzstarke Reifenersatzgeschäft ging im vergangenen Jahr um 1,9 Prozent zurück. Betroffen davon waren überdurchschnittlich hart die amerikanischen und europäischen Reifenhersteller. Bei Goodyear schrumpfte der Umsatz um 5,3 Prozent, bei Michelin um knapp ein Prozent. In der Folge gaben beide Unternehmen Werkschließungen bekannt, die in Summe für ein Drittel der Reifenproduktion in Deutschland stehen. In Asien zeigt sich erneut ein ganz anderes Bild. Hankook Tires weist ein Plus von 6,4 Prozent aus und führt dieses Segment bei den Zuwächsen an.
Diese Entwicklungen treffen auf ein zunehmend schwerer einzuschätzendes Marktumfeld. Protektionismus, Einfuhrbeschränkungen und Importzölle zwischen Europa, China und den USA werden für die Branche in diesem Jahr tonangebend sein. Als eine Folge daraus, erwarten die Berylls-Experten eine höhere Lokalisierung der Produktion und eine Steigerung der Autonomie in den einzelnen Weltregionen. In den traditionellen Warengruppen (beispielsweise Sitze, Interior, Metallverarbeitung, Fahrwerk etc.) wird eine Kostenführerschaft wichtiger denn je. Was unter anderem bedeutet, dass die Wertschöpfung am Standort Deutschland vermutlich weiter zurückgefahren wird, was zusätzliche Insolvenzen wahrscheinlich werden lässt. Auch, weil ein signifikanter Anstieg der globalen Pkw-Zulassungszahlen unwahrscheinlich ist und mit einer kurzfristigen Erholung der Erzeugerpreise nicht gerechnet werden darf.
Mit dem Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA erfolgt Ende des Jahres eine wichtige Weichenstellung, die auch die Zuliefererindustrie betrifft. Abhängig vom Ergebnis können sich die protektionistischen Effekte weiter verstärken.
Zulieferer, die sich momentan noch nicht auf den E-Antrieb fokussiert haben, besitzen derzeit Vorteile, denn die BEV-Absätze werden in Europa voraussichtlich erst Ende des Jahres oder sogar zum Beginn des Jahres 2025 wieder anziehen. Trotz kleiner Lichtblicke in der Zuliefererstudie 2024 ist offensichtlich, dass die Situation für die Branche weiterhin schwierig bleibt.
Die Tabelle zur Studie und weitere Informationen, finden Sie im Anhang.