Auch wenn in Baden-Württemberg insgesamt deutlich weniger Fälle von MRSA – dem häufigsten und bekanntesten Vertreter der antibiotikaresistenten Bakterien – diagnostiziert werden als in den anderen Bundesländern,1 darf man sich auf diesen Zahlen nicht ausruhen. So steigt beispielsweise die Anzahl der Infektionen mit Tuberkulose-Bakterien, bei denen immer mehr Resistenzen auftreten, auch hierzulande stetig an.2 Wenn unsere herkömmlichen Antibiotika nicht mehr helfen und auch Reserveantibiotika nach und nach versagen, können schon leichte Infektionen und besiegt geglaubte Krankheiten wieder sehr gefährlich für uns werden.
Insbesondere dort, wo sich viele Menschen auf engem Raum befinden, können sich Keime gut ausbreiten. Dies gilt zum Beispiel für stark frequentierte öffentliche Toiletten, wie an Flughäfen,3 und im Besonderen für Krankenhäuser, wo sich infizierte, erkrankte und immungeschwächte Personen die Türklinke in die Hand geben. Neben äußerst sorgfältiger Hygiene kann eine frühzeitige Diagnose helfen, die Keimübertragung zu verhindern.
Diagnose – Geschwindigkeit ein wichtiger Faktor
Der Befund erfolgt, indem Probenmaterial von spezialisierten Diagnoselaboren untersucht wird. Je nach Testverfahren kann es mehrere Tage dauern, bis die Ergebnisse vorliegen. Da aus logistischen Gründen über diese Dauer oftmals keine Quarantäne des Patienten möglich ist, könnte sich ein hochansteckender Erreger rasant ausbreiten. Ein schnelles Verfahren zur Ermittlung von Erregern und ihren Eigenschaften ist daher wichtig, um zeitnah mit der richtigen Therapie zu beginnen und eine Ausbreitung im Krankenhaus zu verhindern. Dadurch werden weitere Resistenzbildungen eingedämmt. Die baden- württembergische Hain Lifescience GmbH hat unter anderem zum Nachweis von Tuberkulose moderne Testsysteme entwickelt, die die Zeit im Labor bis zum Vorliegen der Ergebnisse auf wenige Stunden verkürzen.
Dank einfach anzuwendender Systeme, die vollautomatisiert ablaufen und direkt vor Ort in den Stationen eingesetzt werden können, ist inzwischen auch die Diagnose auf der Station oder in der Notaufnahme möglich. Je nach Erreger gibt es hochspezialisierte Diagnosetools, die schon nach kurzer Zeit Ergebnisse liefern und damit eine zügige Isolation, bzw. eine spezifische Therapie ermöglichen. Das Freiburger Start-up-Unternehmen SpinDiag GmbH beispielsweise ermöglicht es Ärzten, Patienten bei der Krankenhausaufnahme effizient auf die 25 relevantesten Antibiotika-Resistenzen zu testen. So können betroffene Patienten in Isolation behandelt werden und eine Ausbreitung der Keime wird verhindert. Auch die Curetis GmbH aus Holzgerlingen hat eine Plattform entwickelt, bei der mittels unterschiedlicher Kartuschen relevante Erreger und Antibiotikaresistenzmarker für schwere Infektionserkrankungen, wie z.B. Pneumonien, Implantats- und Gewebeinfektionen sowie Infektionen der Blutbahn, einfach und schnell diagnostiziert werden können.
Neue Therapien gefragt
Was die Verordnungsmenge von Antibiotika in Deutschland angeht, befindet sich Baden- Württemberg im Mittelfeld. Diese wenig rühmliche Statistik wird vom Saarland angeführt.4 In der Behandlung stellen multiresistente Erreger (MRE) eine besondere Herausforderung dar, denn der hohe Antibiotikaverbrauch der letzten Jahrzehnte beschleunigte die Resistenzentwicklung. Reserveantibiotika – dies sind spezielle Antibiotika, die nur bei Infektionen mit resistenten Erregern angewandt werden – stellen in vielen Fällen die letzte Möglichkeit dar, und auch hierfür entwickeln die Bakterien bereits Abwehrmechanismen. Damit wir in naher Zukunft nicht ohne wirksame Antibiotika bleiben, arbeitet die medizinische Forschung mit Hochdruck an neuen Therapiemöglichkeiten. Dies ist nicht einfach, denn Stoffe, die Bakterien töten, gibt es zwar zuhauf, meist schädigen sie allerdings auch den Menschen. Doch 88 Jahre nach der zufälligen Entdeckung des Penicillins gab es am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) der Universität Tübingen einen erneuten Glückstreffer in der Antibiotika-Forschung: Die dortigen Wissenschaftler haben entdeckt, dass ein in der menschlichen Nase siedelndes Bakterium einen bisher unbekannten antibiotischen Wirkstoff gegen multiresistente Erreger produziert. Die Forschungsergebnisse sind im Wissenschaftsjournal „Nature“ veröffentlicht.5
„Antibiotika sind eine der wichtigsten Erfindungen in der Medizin und wir alle sind gefragt, verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen, damit wir Infektionskrankheiten nicht irgendwann schutzlos gegenüberstehen. Wir sind stolze Unterstützer all der kleinen, mittleren und großen Unternehmen, die in unserem Land unermüdlich forschen und Diagnose- und Heilmittel entwickeln, um Resistenzen bestmöglich entgegenzuwirken“, so Prof. Dr. Ralf Kindervater, Geschäftsführer der Landesgesellschaft BIOPRO Baden-Württemberg GmbH.
Über Hain Lifescience:
Die Hain Lifescience GmbH, mit Sitz in Nehren im Landkreis Tübingen, besteht seit dreißig Jahren und beschäftigt weltweit rund 180 Mitarbeiter, davon über sechzig Prozent am heimischen Firmensitz. Das Familienunternehmen unter der Leitung der Brüder David und Tobias Hain entwickelt und vertreibt Testsysteme und Geräte „made in Germany“ für diagnostische Labore weltweit und schafft auch in Entwicklungs- und Schwellenländern die Grundvoraussetzungen für eine moderne Labordiagnostik. Mit den Produkten der humangenetischen Palette werden erblich bedingte Risikofaktoren für verschiedene Erkrankungen untersucht. Mit den mikrobiologischen Testsystemen lassen sich Krankheitserreger wie beispielsweise Tuberkulosebakterien und deren Resistenzen nachweisen.
Das Auftreten von resistenten Tuberkulose-Stämmen stellt ein global zunehmendes Gesundheitsproblem dar. Die von Hain Lifescience entwickelten modernen Streifentests ermöglichen eine schnelle und sichere Aufklärung der Resistenzsituation. Durch ihren Einsatz wird die Zeit bis zum Vorliegen der Ergebnisse von mehreren Wochen oder Monaten auf wenige Stunden verkürzt, wodurch die Patienten vom früheren Beginn einer wirksamen Therapie profitieren können. Deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schon mehrfach Empfehlungen für Hain-Lifescience-Produkte ausgesprochen – zuletzt im Mai 2016 für den Tuberkulose-Schnelltest GenoType MTBDRsl.
Über SpinDiag:
Die SpinDiag GmbH hat sich Anfang 2016 aus Hahn-Schickard, einem der führenden Forschungsinstitute für Mikrosystemtechnik, mit der Mission ausgegründet, ein System zum schnellen Screening auf antibiotikaresistente Keime zu realisieren. Bereits 2015 gewann das Gründerteam von SpinDiag für sein vorgestelltes Geschäftsmodell den ersten Platz in der Kategorie „Innovationen aus Wissenschaft und Hochschulen“ des Wettbewerbs Startinsland. 2016 kam SpinDiag unter die besten fünf beim Science4life Venture Cup, dem Businessplan-Wettbewerb für aufstrebende Start-ups. Anschließend gewann das Team den von B. Braun verliehenen Healthtech Award bei dem CODE_n new.New Festival und einen der drei Health-i Awards von Handelsblatt und Techniker Krankenkasse.
Das Freiburger Forscherteam entwickelte das System SpinDiag one, mit dem binnen einer halben Stunde eine vollautomatisierte Analyse durchgeführt werden kann, die gleichzeitig bis zu 25 Parameter zuverlässig detektiert. Damit kann direkt bei der Krankenhausaufnahme festgestellt werden, ob ein Patient relevante antibiotikaresistente Bakterien trägt. So können betroffene Patienten unverzüglich isoliert behandelt und die Ansteckungsgefahr für andere Patienten und das Personal gesenkt werden.
Über Curetis:
Ein übliches Antibiogramm, um die Resistenz eines Erregers zu bestimmen, dauert mehrere Tage. Die Curetis GmbH wurde 2007 von einem Team aus sechs Ingenieuren, Medizinern und Biologen als Start-up gegründet, um ein Verfahren zu entwickeln, welches Ärzten und Patienten wertvolle Zeit verschafft. Die seit 2012 verfügbare Unyvero-Plattform ist ein System in der Größe und Form eines Multifunktionsdruckers, in das verschiedene Kartuschen eingesetzt werden können. Die Geräte integrieren sämtliche Probenaufarbeitungs- sowie Analyseschritte. Mit jeweils unterschiedlichen Kartuschen können schwere Infektionskrankheiten innerhalb von nur 4 bis 5 Stunden einfach und schnell diagnostiziert werden. Ob im Krankenhauslabor oder direkt auf der Intensivstation.
Bisher stehen drei Unyvero-Kartuschen für die Analyse von Pneumonie, Implantat- und Gewebeinfektionen sowie für Blutkulturen zur Verfügung, weitere Anwendungen befinden sich derzeit in der Entwicklung. Zum Kundenstamm von Curetis zählen vor allem Krankenhäuser mit großen Intensivstationen. Über 120 Diagnosesysteme sind mittlerweile im Einsatz – unter anderem in der Uniklinik Tübingen. Das Unternehmen beschäftigt inzwischen mehr als 80 Mitarbeiter und hat bis dato EUR 44,3 Millionen (inkl. Mehrzuteilungsoption) in seinem Börsengang an der Euronext Amsterdam und Euronext Brüssel, sowie mehr als EUR 63,5 Millionen an Private-Equity-Mitteln eingeworben. Curetis hat internationale Kooperationsvereinbarungen mit Heraeus Medical und Cempra Inc. sowie Vertriebsvereinbarungen für sein Unyvero-System in vielen Ländern Europas und des Nahen Ostens sowie Asien abgeschlossen. Aktuell bewirbt sich Curetis um die Zulassung des Unyvero-Systems in den USA.
Quellen:
1 Statista, Durchschnittliche Zahl von MRSA*-Diagnosen in deutschen Krankenhäusern nach Bundesländern im Jahr 2013, basierend auf Recherchen der Zeit.
2 RKI - Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2015, verfügbar unter http://www.rki.de/....
3 https://www.welt.de/... (abgerufen am 14.11.16).
4 Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Versorgungsatlas Newsletter 2/2016, verfügbar unter http://www.versorgungsatlas.de/....
5 Andreas Peschel u.a.: Human commensals producing a novel antibiotic impair pathogen colonization. Nature, 27. Juli 2016.