Der vorgegebene berufliche Werdegang
Es scheint seit jeher kulturübergreifend so gewesen zu sein: Die soziale Herkunft entscheidet über den beruflichen Werdegang. Über Generationen hinweg stand außer Frage, dass der Nachwuchs Haus und Hof, Handwerksbetrieb oder Arztpraxis übernehmen würde. Doch inwieweit hat sich dieses Modell in den vergangenen Jahren besonders in Deutschland gewandelt? Welche Rolle spielt unser Schulsystem, das die Schulkinder nach der vierten Klasse auf verschiedene weiterführende Schulformen verteilt? Und können die Bemühungen der Politik echte Chancengleichheit schaffen?
Der Einfluss von Kita und Grundschule
Tatsächlich entscheiden vielfältige Faktoren über die späteren Bildungschancen des Kindes. Obwohl Genetik und Erziehung bereits früh über die Ressourcen der kindlichen Leistungsfähigkeit mitentscheiden, stehen die Chancen des Kindes zum Zeitpunkt des Schuleintritts noch nicht am schlechtesten. Abgesehen davon, dass Kinder von Personen mit Hauptschulabschluss deutlich seltener eine Kindertagesstätte besuchen als Kinder von Menschen mit höherem Schulabschluss, beginnt bereits in Kita und Grundschule ein unbewusstes Selektieren, das die Ungleichheit weiter befeuert. Tatsächlich verstärken sich die sozialen Disparitäten mit jeder weiteren Bildungsstufe (von Kita über Schule bis Studium). Kinder, die aus unteren sozialen Schichten stammen, erfahren bei gleicher Leistung nicht selten eine schlechtere Bewertung und Benotung als Kinder aus höheren Schichten. Dies gilt im Übrigen auch für die Empfehlungen, die am Ende des vierten Schuljahres für die weiterführenden Schulen ausgesprochen werden.
Die Bemühungen der Politik
Sowohl der Bildungsreformen der 1960er und 1970er Jahre, als auch die Bemühungen infolge der PISA-Studie im Jahre 2000 konnten rückblickend betrachtet keinen nennenswerten Einfluss auf die Benachteiligung von Kindern aus unteren sozialen Schichten erreichen. Dabei mangelt es nicht am Tatendrang der Regierung: Im Jahr 2020 berichtet das Bundesministerium für Bildung und Forschung, dass die Bildungschancen für Kinder von gering qualifizierten Eltern trotz weiterhin vorhandener sozialer Disparitäten gestiegen seien. Auch erreichten sie häufiger einen höheren Bildungsstand als ihre Eltern. Dies sei auch den großen Bemühungen der Politik geschuldet, die die Ausgaben für Bildung, Forschung und Wissenschaft im Jahr 2018 auf 310 Milliarden Euro angehoben hat, was einer Steigerung von 30% im Vergleich zu den Bildungsausgaben im Jahr 2010 entspricht. Auch der Bezug von BAföG wird nach wie vor rege genutzt.
Die Herstellung der Chancengleichheit als Langzeitprojekt
Trotz aller Ungleichheit bleibt festzustellen, dass es in Deutschland grundsätzlich möglich ist, aus der Schicht der sozialen Herkunft aufzusteigen, wenn auch unter deutlich größerer Anstrengung als Kinder höherer Schichten. Noch ist es der Politik trotz großer Bemühungen und der Bereitstellung vieler Milliarden Euro nicht gelungen, eine echte Chancengleichheit herzustellen. In kaum einem anderen OECD-Land findet derart früh und konsequent eine Aufteilung auf unterschiedliche Bildungswege statt. Kritiker stellen hier seit Langem die Frage, ob eine echte Chancengleichheit für alle soziale Schichten tatsächlich gewollt ist. Noch immer weist das deutsche Schulsystem seinen Schülern regelrecht ihren beruflichen Werdegang zu. Letzten Endes wird es wohl noch viele weitere Anstrengungen, sowie eine deutliche Umstrukturierung des Schulsystems bedürfen, um Bildung unabhängig der sozialen Herkunft zu gewährleisten.