Ausgangslage
Handwerk hat bekanntlich goldenen Boden; dennoch tut sich ausgerechnet das Fachhandwerk mit der Vermarktung von Dämmstoffen und WDVS dieser Tage überraschend schwer. Denn anders als erhofft, ist die energetische Gebäudesanierung bislang noch nicht so recht in Fahrt gekommen - obwohl zwei von drei Fassaden über keine hinreichende Wärmedämmung verfügen. Der Bedarf ist faktisch da - jedes Jahr wären hierzulande mehr als 40 Millionen Quadratmeter Außenwandfläche zu dämmen. Von der ursprünglich angepeilten Sanierungsquote in Höhe von jährlich mindestens zwei Prozent aller Bestandsgebäude ist die deutsche Bauwirtschaft jedoch noch meilenweit entfernt: Das Marktpotenzial nachträglicher Dämmungen wurde in den Jahren 2005 bis 2008 im Durchschnitt zu gerade einmal 0,76 Prozent ausgeschöpft. Dass die gebaute Wirklichkeit mit den ehrgeizigen Klimaschutz-Plänen der Politik nicht Schritt zu halten vermag, unterstreicht ein Blick in die Statistik: Insgesamt gibt es in Deutschland rund 38 Millionen Wohneinheiten (Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Wohnungen in Mehrgeschossgebäuden). Davon bedürfen etwa 24 Millionen Wohneinheiten einer energetischen Sanierung, um den baulichen Anforderungen auf dem Niveau der geltenden Energieeinsparverordnung (EnEV 2009) zu entsprechen. Doch das Dämmen energetisch sanierungsbedürftiger Immobilien muss für private Eigentümer auch bezahlbar sein. Genau da scheint der Hase im sprichwörtlichen Pfeffer zu liegen: Die Politik fordert, ohne in angemessenem Umfang zu fördern. Zwar wurde ein durchaus respektables Fördermittelpaket geschnürt; da sich Bund und Länder aber über die Kosten- und Lastenverteilung uneins sind, befindet sich der Zankapfel schon seit geraumer Zeit im Vermittlungsausschuss. Die Chancen auf eine Einigung und baldige Verabschiedung werden von Kennern des Berliner Politbetriebs als äußerst gering eingestuft - wodurch sich die Hängepartie ad ultimo verlängern könnte. Eigentümer sanierungsbedürftiger Immobilien müssen also weiter auf eine sicher kalkulierbare finanzielle Entlastung bei Investitionen in klimafreundliche Dämm- und Sanierungsmaßnahmen warten. Der Weisheit letzter Schluss kann das nicht sein. Die Politik ist hier eindeutig in der Bringschuld.
Ungemach bereitet seit geraumer Zeit eine bisweilen einseitig-negative Berichterstattung in den Medien. Diese nimmt es sowohl mit bauphysikalischen als auch mit rechtlichen Fakten nicht sonderlich genau. In diesem Zusammenhang stellte DAW-Geschäftsleitungsvorsitzender Dr. Ralf Murjahn fest: "WDVS ist kein heikles Produktsystem und ist auch definitiv kein technisches Risiko für Haus und Bewohner, sondern ein ausgereifter, millionenfach angewendeter und seit Jahrzehnten kontinuierlich verbesserter Weg zur thermischen Sanierung von Gebäuden aller Art!" Dass diese Feststellung ins Schwarze trifft, steht für Kenner der Materie außer Frage. Dem konstatierten Kommunikationsproblem, müsse mit Nachdruck und vereinten Kräften entgegengewirkt werden. Beim Caparol-Werkstofftag wurde deshalb intensiv über die bautechnischen und baurechtlichen Qualitätsanforderungen an WDVS diskutiert, um Argumente zu sammeln und die dringend notwendige Versachlichung der Diskussion über die Wärmedämmung mit weiteren technischen Argumenten zu unterstützen.
Quintessenzen
Den Aussichten für die energetische Modernisierung des Gebäudebestandes im Energie- und Klimakonzept der Bundesregierung widmete sich Dr. Frank Heidrich vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Er nahm sich unter anderem der von Moderator Franz Xaver Neuer aufgeworfenen Frage an, wie die von der Bundesregierung beschlossene Energiewende in der Praxis umgesetzt werden kann: "Wir haben die gesetzliche Verpflichtung, Niedrigstenergiegebäude Wirklichkeit werden zu lassen. Das geht nur mit Fassadendämmung durch WDVS", betonte Referatsleiter Dr. Heidrich.
Dipl.-Bauing. Oliver Berg, Leiter Fassaden- und Dämmtechnik bei Caparol, verdeutlichte Möglichkeiten und Wege, bei der Gestaltung eines WDVS auch ausgefallenen Bauherrenwünschen zu entsprechen: "Die Zustimmung im Einzelfall (ZiE) gestattet in der Praxis konkrete Abweichungen von der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) im Sinne der nationalen Anforderungen eines WDVS, ist allerdings nur unter bestimmten Auflagen oder Voraussetzungen zu erlangen."
Mit brandschutztechnischen und -rechtlichen Aspekten für WDVS setzte sich Univ.-Prof. Dr.-Ing. Nabil A. Fouad auseinander. Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige, der für die CRP Ingenieurgemeinschaft Cziesielski, Ruhnau + Partner in Hannover tätig ist, wies auf die grundlegenden Schutzziele hin, die die Musterbauordnung als oberste Maxime des Brandschutzes definiert. Danach ist der Entstehung eines Brandes durch baulich-technische Maßnahmen vorzubeugen und außerdem die Rettung von Personen durch die Feuerwehr zu ermöglichen. "Der Schutz von Sachen irgendwelcher Art ist ausdrücklich nicht Gegenstand des Brandschutzes in der Musterbauordnung", betonte Dr. Fouad, um daraus Konsequenzen für die Ausführung von WDVS an der Fassade abzuleiten: Die Bauausführung muss der Brandausbreitung entgegenwirken bzw. eine Ausbreitung über den Brandherd hinaus verhindern.
Wie die Standsicherheit von WDVS nachgewiesen wird, betrachtete Dr.-Ing. Thomas Schrepfer von der CRP Ingenieurgemeinschaft Cziesielski, Ruhnau + Partner in Berlin. "Für Außenwände aus Mauerwerk und Beton ist die ETAG 004 als Prüfnorm maßgeblich. Sie gilt für geklebte und/oder mechanisch befestigte WDVS, alle Dämmstoffe und jede Art von Putzen; ihre Berücksichtigung liegt im Verantwortungsbereich der jeweiligen Zulassungsstelle", so Dr. Schrepfer.
Was bei der WDVS-Montage keinesfalls passieren darf und welche rechtlichen Folgen insbesondere unerlaubter Materialmix für die Baubeteiligten haben kann, machte Professor Norbert Messer von der Fachhochschule Kaiserslautern in seinem rechtskundlichen Vortrag klar. Mit seiner Schilderung, dass sowohl ordnungs-, straf- als auch zivilrechtliche Konsequenzen von existenzgefährdendem Ausmaß drohen, wenn aus der mangelbehafteten Montage eines Bauprodukts erhebliche Sach- und/oder Personenschäden resultieren, unterstrich er die Notwendigkeit, sich mit der jeweiligen WDVS-Zulassung schon vor Baubeginn detailliert zu befassen. "Für mich ist nicht nachvollziehbar, warum ein Fachhandwerker auf der Baustelle bei der Montage eines WDVS andere Produkte verwendet als diejenigen, die vom Hersteller in der Zulassung angegeben worden sind. Eigentlich ist es doch ganz einfach: Man liest die Zulassung und hält sich bei der Ausführung exakt an das, was da steht. Dann kann doch im Prinzip gar nichts schiefgehen", mahnte der Jurist eine sorgfältige Anleitung aller Ausführenden an. Der Architekt und der Bauleiter tragen hierfür eine besondere Verantwortung; ebenso der Handwerksunternehmer, der seine Meister und Gesellen zu rechtskonformem Verhalten bei der WDVS-Montage anzuhalten hat.
Beispiele für gelungene Objekte mit Fassadendämmung, die auf einer Zustimmung im Einzelfall (ZiE) beruhen, präsentierte Caparol-Produktbetreuer Hardy Rüdiger. In seinem anschaulichen Vortrag griff er die zentrale Botschaft auf, die Oliver Berg eingangs bereits verkündet hatte - nämlich, dass WDVS höchst individuell gestaltet werden können und eben keineswegs unausweichlich zu uniformen Fassadenbildern führen müssen.
"Wo geht die WDVS-Reise in Europa hin?", fragte Dr. Thomas Lohmann, Leiter des DAW-Entwicklungszentrums WDVS/Trockenmörtel. Er berichtete über Harmonisierungsbestrebungen auf europäischer Ebene, die auf eine einheitliche WDVS-Norm für alle EU-Mitgliedsstaaten abzielen.
Fazit
Dass die Besonderheiten bei Wärmedämm-Verbundsystemen im Detail stecken, hat der 15. Caparol-Werkstofftag deutlich werden lassen. Um die Stärken zu erkennen und bei der Vermarktung bestmöglich zu nutzen, ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Zulassung unbedingt zu empfehlen. Dann bekommt der Fachhandwerker von seinen Kunden in Zukunft hoffentlich wieder öfter zu hören, was Karl-August Siepelmeyer, Präsident des Bundesverbandes Farbe Gestaltung Bautenschutz, schon in seinem einleitenden Grußwort bemerkte: "Mein Haus mit einer Fassadendämmung zu versehen, war im letzten Jahr mit Sicherheit die beste Entscheidung."
Bildtext
Beim Caparol-Werkstofftag 2012 (von links): Dr. Frank Heidrich (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung), Professor Norbert Messer (Fachhochschule Kaiserslautern), Holger Haring (Bundesverband Farbe Gestaltung Bautenschutz), Franz Xaver Neuer, Elmar Schmidt (beide Caparol), Manfred Haisch (stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes Ausbau und Fassade), Stefan Ehle (Vorsitzenden des Ausschusses für Technik, Werkstoff und Umwelt im Bundesverband Farbe Gestaltung Bautenschutz), Hardy Rüdiger, Oliver Berg (beide Caparol), Dr. Thomas Schrepfer (CRP Ingenieurgemeinschaft Cziesielski, Ruhnau + Partner), Dr. Thomas Lohmann (DAW), Prof. Dr. Nabil A. Fouad (CRP Ingenieurgemeinschaft Cziesielski, Ruhnau + Partner) und Karl-August Siepelmeyer (Präsident des Bundesverbandes Farbe Gestaltung Bautenschutz)