Die ersten Ansätze, Faserverbundwerkstoffe in Bauanwendungen einzusetzen, gab es bereits in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Allerdings ist ein flächendeckender Einsatz von faserverstärkten Materialien im Bausektor bisher nicht erfolgt. Und das obwohl diese Werkstoffe gerade hinsichtlich Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit ein enormes Potenzial für innovative Bauweisen bieten. Ressourcenschonendes und CO2-neutrales Bauen wird immer wichtiger, da die Bauindustrie für einen Großteil des weltweiten CO2-Austoßes verantwortlich ist. Der Einsatz von innovativen Baumaterialien, wie z. B. Carbonbeton, kann damit ein Schlüsselfaktor für den Klima- und Umweltschutz werden.
Der CU Bau, das Fachnetzwerk des Composites United e.V. (CU), hat sich die Förderung der Akzeptanz und des flächendeckenden Einsatzes von faserverstärkten Werkstoffen im Bauwesen zum Ziel gesetzt. Dafür hat der CU Bau u. a. das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Innovationsforum „FiberBuild“ ins Leben gerufen, um ein branchenübergreifendes Netzwerk aufzubauen und den interdisziplinären Austausch zwischen der Faserverbundindustrie und dem Baubereich anzuregen. Während der 9-monatigen Projektlaufzeit wurden etwa in Workshops mit Akteuren aus beiden Industrien die Besonderheiten und Anforderungen der jeweiligen Branche mit ihren Werkstoffen, Technologien und Prozessen herausgearbeitet. Hemmnisse und Herausforderungen, wie z. B. Wirtschaftlichkeits- oder Sicherheitsaspekte, wurden identifiziert und Lösungsstrategien erarbeitet.
Faserverbundwerkstoffe als Schlüsselfaktor für den Klimaschutz
Mit einem Grußwort des BMBF eröffnete Frau Barbara Reddig vom Projektträger DLR die „FiberBuild“-Abschlussveranstaltung am 13. Januar 2022 und betonte, dass neben den vielfältigen technischen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, das enorme Potenzial für innovative Produkte, Dienstleistungen und neue Geschäftsfelder erst im Zusammenspiel von wissenschaftlicher Entwicklung, branchenübergreifender Kooperation und gesellschaftlicher Nachfrage entwickelt werden kann. Über 200 Interessenten waren der Einladung des CU Bau gefolgt und bekamen Einblicke in die Welt der Faserverbundwerkstoffe. Neben einer Studie zum Marktpotenzial dieser Materialien im Bauwesen sowie dem Konzept einer Ideen-Transfer-Plattform stellten Referenten aus dem gesamten DACH-Raum ihre bisherigen Erfahrungen mit Produkten aus faserverstärkten Werkstoffen für bspw. Brückenbauten und -sanierungen, Türme und Masten, Leichtbaudächer oder -fassaden vor. Diese Werkstoffe zeichnen sich insbesondere durch hervorragende strukturelle Eigenschaften bei vergleichsweise sehr niedrigem Materialeinsatz aus und bieten somit ökologische Vorteile. Durch die höhere Lebensdauer, reduzierte Wartungsaufwände, einfache Handhabung und geringere Transportlasten bieten sie in gleichem Maß auch ökonomische Vorzüge. Sie erlauben ebenfalls eine besondere Designfreiheit und die Integration von erweiterten Funktionalitäten, wie etwa die Schadensüberwachung durch integrierte Sensoren.
Zukunftsorientiertes Bauen erfordert Veränderungen
Am zweiten Veranstaltungstag lag der Fokus auf der Bauindustrie, welche aus verschiedenen Gründen innovativen Werkstoffen gegenüber nicht abgeneigt ist. Bauprodukte mit faserverstärkter Beton- oder Polymermatrix haben über eine Vielzahl an Referenzbauten bereits den Einzug ins Bauwesen angetreten; das zeigten die Vorträge, aber auch die virtuelle Messe eindrücklich. So wurden u. a. Schallschutzwände, Schalen- und Rahmentragwerke, Brücken und Bauanwendungen mit nichtmetallischen Bewehrungen vorgestellt.
Die Bauwirtschaft sieht sich aktuell mit der Forderung nach klimaschonenden und nachhaltigen Werkstoffen und Technologien konfrontiert. Benötigt werden material- und energieeffiziente Lösungen zur Reduktion von CO2-Emissionen. Faserverbundverstärkte Baustoffe können hier durch die bereits erwähnten Eigenschaften in vielerlei Hinsicht Lösungen aufzeigen. Außerdem setzen die stagnierende Produktivität sowie der andauernde Fachkräftemangel bei steigenden Personalkosten die Baubranche zusätzlich unter Druck. Hier bieten sich Ansatzpunkte über digitales, vollautomatisiertes Bauen sowie Produktionssysteme mit mehr Standardisierung bzw. einer Vorfertigung in der Fabrik. Leichtbauweisen mit Faserverbunden verfügen über einen hohen Vorfertigungsgrad, durch additive Fertigungsverfahren (z. B. 3D-Druck) können Planungsdaten zeit- und kosteneffizient direkt vor Ort in die Ausführung übertragen werden.
Ein großes Hindernis für innovative Bauprodukte ist fehlendes Know-how und unzureichende Erfahrung mit diesen Materialien. Auf der einen Seite sind Unternehmen aus dem Faserverbundbereich mit den sehr komplexen Planungsabläufen im Bauwesen und den technischen Anforderungen an Bauprodukte noch nicht vertraut. Auf der anderen Seite fehlt den Bauexperten das Wissen zu den Materialeigenschaften und Verarbeitungstechnologien für Faserverbunde. Das Netzwerk des CU Bau kann hier den Wissens- und Erfahrungsaustausch fördern.
Die größte Hürde für den flächendeckenden Einsatz von faserverstärkten Bauprodukten ist aber das Baurecht. Im Gegensatz zu bekannten, herkömmlichen Baumaterialien fehlen für faserverstärkte Werkstoffe grundlegende Normenwerke und bauaufsichtliche Regelungen. Daraus entsteht für jedes Projekt die Notwendigkeit einer Zustimmung im Einzelfall, einer gutachterlichen Stellungnahme sowie von experimentellen Untersuchungen. Dies ist mit zusätzlichen Kosten und Zeitaufwand verbunden, was einen Einsatz von neuen Werkstoffen natürlich erschwert. Dr. Rolf Alex (Deutsches Institut für Bautechnik – DIBt) erklärte in seinem Übersichtsvortrag die Komplexität der Zulassungsprozedur für neue Bauprodukte. Die Schwierigkeiten bei der Zusammenfassung in einer Norm entstehen auch durch die Werkstoffvielfalt und die unterschiedlichen Herstellungsprozesse. So sind verschiedene, kombinierbare Harz- und Fasersysteme am Markt, unterschiedliche Fertigungstechnologien sind ausschlaggebend für Toleranzen im Material.
Die ersten normativen Grundlagen entstehen aktuell auf Bemühungen des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb). Dr. Norbert Will (Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen sowie Obmann im DafStb-Ausschuss „Nichtmetallische Bewehrungen“) stellte den aktuellen Stand der Richtlinie „Betonbauteile mit nichtmetallischer Bewehrung“ vor. Diese konzentriert sich zunächst auf die normative Regelung von Neubauteilen mit Bewehrungsstäben und -gittern sowie Stabmatten. Der Gelbdruck soll bis Ende 2022 vorliegen. In den nächsten Schritten soll die Anwendbarkeit auf weitere Bereiche wie etwa Verstärkungen, Leichtbeton oder vorgespannte Bauelemente ausgeweitet werden.
„Wir haben an beiden Eventtagen gesehen, wie die Zukunft der Baubranche aussehen kann“, fasst Roy Thyroff, Geschäftsführer des CU Bau, zufrieden den Projektabschluss zusammen. „Für den Einsatz von nichtmetallischen Bewehrungen sind umfassende Kenntnisse zu Material- und Tragverhalten notwendige Voraussetzung. In anderen Industrien, wie der Luftfahrt oder dem Automobilbau, werden Faserverbund-Bauteile schon in Serie gefertigt, da Forschung und Testing dort schon viel weiter vorangeschritten sind. Das Fachnetzwerk CU Bau ist die richtige Plattform um diese Lücke auch für den Bausektor zu schließen. Wir werden branchenübergreifend und werkstoffneutral Wissenschaft und Praxis miteinander verbinden.“
Prof. Dr. Jens Ridzewski (IMA Materialforschung und Anwendungstechnik GmbH und Vorstandsvor-sitzender des CU Bau) ergänzt: „Die große Anzahl der Gäste bestätigt die Wichtigkeit des Projektthemas und unserer Ziele. Die Vorträge haben erneut gezeigt, dass Faserverbundwerkstoffe nicht nur exzellente Materialeigenschaften besitzen, sondern auch nahezu unbegrenzte gestalterische Freiheiten ermöglichen und eine wichtige Rolle bei den vor uns liegenden Aufgaben zur Umsetzung der Ziele zur CO2-Neutralität und Nachhaltigkeit spielen werden. Lassen Sie uns gemeinsam dieses Potenzial umsetzen!“
Weitere Informationen zum Projekt finden Sie unter: https://composites-united.com/projects/fiberbuild/
Wir danken dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie und dem Projektträger DLR für die Förderung und die Unterstützung des Projektes „FiberBuild“.